Wenige Tage nachdem mir der Port eingesetzt wurde, hat dann auch mein erster Chemo-Zyklus begonnen. Dr. Reed hatte mich vorher noch über mögliche Nebenwirkungen informiert, aber diese werde ich alle in Kauf nehmen, um diesen Tumor zu besiegen.
Am Anfang war auch alles in Ordnung, die Flüssigkeit lief durch meinen Port problemlos in meinen Körper. Während die Medikamente durchlaufen, konnte ich mich meistens anderen Dingen widmen. Die Schulsachen die Theo mir vorbeigebracht hat durchzuarbeiten oder einfach mal nur ein gutes Buch lesen.
Optimistischer, dass das alles wohl doch nicht so schlimm sein kann, ging ich also auch am nächsten Tag zu meiner Behandlung und dann ging es irgendwie bergab. Kurz nachdem die neue Dosis an meine Körper angeschlossen war, begann ich mich zu übergeben.
Immer wieder musste ich meinen Mageninhalt entleeren, auch wenn dort schon gar nichts mehr drin war. Meine Ärzte und die Schwestern versuchten alles um meine Beschwerden zu lindern, aber es wurde nur bedingt besser.
Ich musste mich zwar nicht mehr bei jeder Behandlung übergeben, aber die ständige Übelkeit hat meinen Hunger drastisch abnehmen lassen. Mein Gewicht hat sich noch mehr reduziert und mittlerweile bekomme ich zusätzliche Nährstoffe über den Tropf, damit ich ein wenigstens ein bisschen Energie bekommen kann.
Nach meinem ersten Zyklus begannen mir dann die Haare auszufallen. Zunächst fiel es mir nicht wirklich auf, denn beim Bürsten fallen ja immer wieder ein paar Haare aus, aber irgendwann wurde es immer mehr und die ersten kahlen Stellen erschienen auf meinem Kopf.
Zu diesem Zeitpunkt bat ich Theo mir die restlichen Haare abzurasieren. Das tat er auch und so lief ich seit diesem Zeitpunkt stehts mit einer Mütze herum. Theo war einer meiner Stützen in dieser Zeit.
Er leistet mir so oft wie möglich Gesellschaft, macht seine Schulsachen erst spät abends oder nachts, damit er mir beistehen kann. Seine Augenringe machten meinen Konkurrenz, aber er lässt sich nicht davon abhalten bei mir zu sein.
Normalerweise dürfen Krebspatienten zwischen ihren Zyklen durchaus nach Hause, bei mir wurde aber davon abgeraten. Dadurch das mein Vater so ein starker Raucher ist und das durchaus in der Wohnung tut oder getan hat, wäre ein Aufenthalt zu Hause kontraproduktiv.
Auch wenn mein Vater in meiner Anwesenheit nicht rauchen würde, so wären in unseren Wänden schon zu viele Schadstoffe zu finden und würden mir so alles andere als guttun.
Das Krankenhaus ist also so etwas wie mein Temporäres zu Hause geworden und deswegen versuche ich das Beste daraus zu machen. Am Anfang war ich noch viel in meinem Zimmer, wollte niemand anderen kennen lernen, aber nach und nach habe ich mich nach draußen getraut.
Im Spielzimmer sind eigentlich immer Kinder zu finden. Kleine Kinder, die vermutlich nicht wissen was hier gerade passiert und trotzdem einfach spielen. Oft habe ich mich an die Tür gestellt und sie beobachtet. Ihr fröhliches Lachen förmlich in mich eingesogen und damit neue Kraft geschöpft. Wenn diese Kinder kämpfen können, dann kann ich das schon lange.
Außerdem erinnern sie mich mit ihren, zwar etwas eingefallenen, Pausbacken an Carlos. Meine Mutter bringt ihn nicht oft mit ins Krankenhaus, das schmerzt zwar, aber eigentlich möchte ich auch nicht, dass er mich so sieht. Ohne Haare, mit tiefen Augenringen und streng genommen nur noch Haut und Knochen.
Die Eltern sitzen im Spielzimmer immer am Rand und haben ihre kleinen Schätze fest im Blick. Vielen sieht man die Erschöpfung an, aber die glitzernden Kinderaugen helfen auch ihnen.
Irgendwann kam dann ein Kind auf mich zu, hat mir ein Buch hingehalten und ganz schüchtern gefragt, ob ich ihm etwas vorlesen würde. Erst war ich perplex, habe dann aber zugestimmt.
Zusammen haben wir uns in eine Ecke gesetzt und ich habe angefangen zu lesen. Meine Stimme klang am Anfang noch ganz belegt, denn viel geredet habe ich in letzter Zeit nicht wirklich.
Neugierig sind auch die anderen Kinder immer nähergekommen und haben sich im Kreis um mich versammelt. Haben ruhig meiner Stimme gehorcht und mich mit großen Augen angesehen.
Dies wurde zu einer Art Ritual, denn immer versammelten wir uns nun im Zimmer und entscheiden uns für eine neue Geschichte. Dadurch fühlte ich mich zum ersten Mal nicht mehr ganz allein.
Kurz vor meinem zweiten Zyklus wurde ein neuer PET Scan gemacht. Einfach zur Kontrolle, ob der Tumor mittlerweile geschrumpft war und in der Hoffnung das er nicht gestreut hatte.
Gestreut hatte er nicht, aber wirklich kleiner ist er auch nicht geworden. Dennoch sind Dr. Hansen und Dr. Reed zufrieden. Man sieht das der Tumor auf die Therapie anschlägt und deswegen sind sie recht positiv gestimmt.
Der zweite Zyklus haut mich genauso um wie der erste, aber dieses Mal war ich darauf vorbereitet. Schon vor dem Medikament habe ich etwas gegen die Übelkeit bekommen und somit musste ich mich zumindest nicht mehr übergeben.
Das Gewicht, welches ich zwischen den Zyklen wieder zugelegt hatte, verschwand allerdings auch wieder schneller als allen Beteiligten lieb war. Schlafen konnte ich dieses Mal auch nicht wirklich, irgendwas hielt mich immer wach, auch wenn es nur eine dauerhaft drückende Blase war.
Meiner Mutter hat mir erzählt das Carlos mittlerweile in den Kindergarten geht. Es ist schrecklich für mich zu wissen das er sich immer weiterentwickelt und ich kein Teil davon sein kann. Sie hingegen geht wieder in der Firma arbeiten, ich glaube das macht sie, damit sie die Rechnungen vom Krankenhaus bezahlen kann.
Eigentlich bekomme ich nur am Wochenende Besuch von meiner Mutter, unter der Woche arbeitet sie immer und hat somit keine Zeit zu kommen. Während der Woche ist immer nur Theo da, auch wenn er nicht mehr jeden Tag kommen kann, denn seine Mutter findet sein Verhalten zwar löblich, möchte aber nicht, dass er den Bezug zur Schule verliert.
Wenige Tage nach dem letzten Besuch meiner Mutter habe ich eine Sprachnachricht bekommen. Zunächst habe ich mich nicht darüber gewundert, aber beim Abspielen sind mir dann die Tränen gekommen. Carlos hat auf dieser Nachricht gesprochen, undeutlich, aber es war sein niedliches Gebrabbel, bei dem man ganz deutlich ein „Lu" gehört. In dieser Nacht hörte ich mir diese Nachricht immer wieder an.
Der nächste emotionale Tiefschlag folgte nur wenige Stunden später. An diesem Morgen herrschte auf der Station eine bedrückende Stimmung. Einer der Zwerge war in dieser Nacht von uns gegangen und hatte seine Erlösung im Schlaf gefunden.
Das Spielzimmer blieb für einige Tage ruhig, dann füllte es sich nach und nach wieder mit Leben. Der Tod ist hier immer hart, denn es sind doch alles nur Kinder. Einige von ihnen verbringen hier mehr Zeit als irgendwo anders und dennoch verlieren sie ihre Freude nicht.
Bald steht Weihnachten an, ich bin jetzt schon so lange hier und werde auch an diesem Fest nicht nach Hause dürfen. Carlos strahlende Augen werde ich nicht sehen können und dieses gemütliche Zusammensein nicht erleben.
Die Station ist zwar geschmückt, aber so richtig besinnliche Stimmung kommt nicht auf. Vorweihnachtszeit bedeutet auch Klausurenphase in der Schule. Klausuren kann ich natürlich keine schreiben, aber ich habe andere Aufträge bekommen, mit denen ich mir mögliche Noten holen kann.
Ich weiß noch nicht, ob ich nach dieser Erkrankung wieder in diesen Schuljahrgang zurückkehren möchte oder noch mal von vorne anfange. Viel Stoff habe ich zwar verpasst, habe aber auch das Gefühl gut mitzukommen. Darüber muss ich mir jetzt aber noch nicht wirklich Gedanken machen und deswegen versuche ich nicht zu viel zu Denken.
An einem Dezembermorgen ist es auf der Station noch wuseliger als sowieso schon. Es steht wohl irgendetwas besonderes an, aber so richtig mitbekommen, worum es geht, habe ich nicht. Vielleicht kommt eine Art Weihnachtsmann zu Besuch, um den Kleinen eine Freude zu machen?
Als ich jedoch einige Kinder mit schwarz/gelben Schals sehe, bekomme ich eine ganz andere Vermutung und verziehe mich in mein Zimmer, wo ich heute vermutlich auch bleiben werde.
Lu bekommt ihre erste Chemo und wir überspringen ein wenig Zeit. Im nächsten Kapitel treffen wir auf einen alten Bekannten, den ihr wohl alle schon sehnsüchtig erwartet (;Hoffentlich hat euch das Kapitel gefallen
WOLKE 🌻
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Sunflower [Gio Reyna]
FanficBessere Noten und neue Freunde, das sind die Vorsätze von Lu für ihre neue Schule. Allerdings hat sie da ihre Rechnungen ohne eine Zusammenbruch mit darauffolgender Krebsdiagnose gerechnet. Ihre Welt zerbricht in tausende Scherben, sie hatte doch so...