Weihnachten war seltsam. Zwar hat sich jeder in meinem Umfeld dazu bemüht es so normal wie möglich zu machen, aber das ist im Krankenhaus eben nur bedingt möglich. Außerdem finde ich es nicht wirklich angebracht so zu tun, als ob alles in Ordnung ist, denn das ist es sicherlich nicht.
Die Station war mit glitzerndem Schmuck in allerlei Farben verziert, aber richtige Weihnachtsstimmung wollte bei mir nicht aufkommen. Auch die kleine Weihnachtsfeier im Spielzimmer half nur bedingt dabei meine Laune zu heben. Ja, jeder versucht es hier so normal und angenehm wie möglich für die Patienten zu machen, aber so ganz dringt das nicht zu mir durch.
Die leuchtenden Kinderaugen waren zwar wie Balsam für meine Seele, aber über die Feiertage war eine düstere Wolke in meinem Kopf aufgetaucht, welche sich nicht vertreiben lassen wollte. Zum ersten Mal seit meiner Diagnose fühle ich mich richtig am Boden und so als ob nichts meinen Tag erhellen könnte.
Zum einen war da das offensichtliche. Die Krebserkrankung schlaucht mich mehr als ich erwartet habe und auch vor anderen zugeben möchte. Natürlich wusste ich, dass das alles kein Zuckerschlecken wird, aber ein wenig leichter habe ich es mir schon erhofft. Ich fühle mich Mental einfach nur noch müde und so habe ich mich in letzter Zeit öfter in den Schlaf geweint als mir lieb ist.
Wenn meine Familie und auch wenn Theo zu Besuch ist, versuche ich stark zu sein. So zu tun, als ob ich fröhlich, alles damit sie sich keine Sorgen um mich machen. Nicht mehr als sowieso schon. Sie sollen sich nicht sorgen, sondern auch die guten und schönen Dinge betrachten. Es reicht, wenn meine Gedanken schwarz und düster sind.
Gio habe ich jetzt schon länger nicht gesehen. Er war noch ein einziges Mal bei mir und das war eben, um mir zu sagen das er jetzt erstmal nicht mehr kommt. Er ist über die Winterpause zu seiner Familie geflogen und dafür kann ich ihm auch gar nicht böse sein. Schließlich sieht er sie über die Saison hinweg eigentlich nie und ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, wie allein er sich manchmal auf einem anderen Kontinent fühlen muss.
Dennoch vermisse ich seine fröhliche Art, das so neue Kribbeln was seine Anwesenheit bei mir auslöst und wie leicht ich mich in seiner Gegenwart fühle. Zwar hat er mir seine Nummer gegeben, aber die Zeitverschiebung macht es uns schwer den Kontakt wirklich zu halten und so rückt der Ältere ein wenig in meinen Hinterkopf.
Da auch Theo über die Ferien mit seiner Familie weggefahren ist, war ich in den letzten Tagen ziemlich allein und hatte viel zu viel Zeit zum Nachdenken. Themen wie Schule, Familie und die Zukunft sind durch meinen Kopf gerauscht und bei manchen konnte ich ein wenig Klarheit schaffen, andere sind immer noch ein grauer Nebel.
In der Schule werde ich nach den Ferien angeben das Jahr nicht weiterzumachen. Ich fühle mich oft viel zu erschöpft, um den Stoff zu erledigen und außerdem würde ich sicherlich im Unterricht nicht mehr mitkommen.
Wenn ich im neuen Jahr wieder einsteigen sollte, dann werde ich auch eine andere Fächerkombination wählen müssen. Auch wenn diese Erkrankung vorbei sein sollte, dass Sportpensum eines Leistungskurses kann ich sicherlich nicht mehr stemmen.
Diese Entscheidung muss ich noch mit meiner Mutter besprechen, aber ich bin mir sicher, dass sie diese, ohne groß nachzufragen akzeptieren wird. Ihrer Meinung nach hätte ich das Jahr direkt auf Eis legen sollen, aber ich wollte es wenigstens versuchen.
Auch über meine Familie habe ich mir viele Gedanken gemacht, gerade nach ihrem Weihnachtsbesuch, denn mein Vater scheint nicht mehr wirklich Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
An Weihnachten hat er gearbeitet und auch sonst scheint er sich in endloser Arbeit zu vergraben und niemanden in unserer Familie mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Meine Mutter hat mal anklingen lassen das er sich Vorwürfe machen würde.
Er glaubt für meine Erkrankung verantwortlich zu sein, was er ja auch irgendwie ist. Ich würde ihm nie sagen das ich ihn für schuldig halte, aber ich denke er hat einen erheblichen Beitrag mit seinem Zigarettenkonsum in meiner Kindheit geleistet.
Meine Mutter sieht erschöpft aus. Auch sie scheint sich in Arbeit zu stürzen, aber dabei eben nicht zu vergessen das sie noch zwei Kinder hat. Nur Carlos ist umgeben von einer fröhlichen Aura. Er hat ja auch keine anderen Sorgen als seine Spielsachen im Kindergarten zu teilen.
Für ihn besteht die Welt aus Spielen und frei aufleben, aber er wird nicht für immer in dieser farbenfrohen Blase leben können. Auch er wird irgendwann die harte Realität erleben und auch wenn ich ihn gerne davor beschützen würde, muss er auch die negativen Seiten erleben, um zu reifen und zu wachsen.
Ich habe mich in den letzten Tagen ebenfalls mit negativen Themen auseinandergesetzt, auch wenn ich davon eigentlich konstant umgeben bin. In mir kam mal wieder der Gedanke mit dem Sterben, wie ich selbst dazu stehe und wie mein Umfeld darauf reagieren würde.
Mir selbst macht es nicht unbedingt Angst, es ist eher eine gesunde Art von Respekt. Ich werde gegen diese Krankheit so lange kämpfen, wie ich es kann, aber wenn meine Zeit gekommen ist, denke ich nicht das mir jemand böse ist, wenn ich diesen Kampf aufgebe.
Meine Familie und sicherlich auch Theo wären am Boden zerstört, würden eventuell sogar in ein tiefes Loch fallen und deswegen versuche ich stark zu bleiben. Sterben für einen selbst ist ohne weitere Verantwortung, aber der Schmerz, der bei den Hinterblieben verbleibt ist schon eine Hürde bei dem Gedanken daran loszulassen.
Ich habe öfter versucht meine negativen Gedanken beiseitezuschieben und mich auf all die Dinge zu konzertieren, die ich machen könnte, wenn all dieser Spuk vorbei ist. Wie ich Carlos aufwachsen sehe und mit Theo gemeinsam meinen Abschluss mache.
Irgendwann hat sich dann auch das Bild von mir und Gio in den Kopf geschoben. Wie wir gemeinsam auf Dates gehen und all die Dinge erleben, die Teenager eben so auf ihrem Lebensweg und mit der ersten Liebe durchleben. Dieses Bild habe ich allerdings schnell wieder aus meinem Kopf geschoben, denn es ist noch mehr eine Wunschvorstellung als alles andere.
Auch Silvester habe ich im Krankenhaus verbracht und durchs Fenster die bunten Raketen in Nachthimmel beobachtet. Theo und ich haben an diesem Abend lange einen Videochat offen gehabt, aber fast schon eingesperrt in einem Gebäude zu sitzen lässt nicht wirklich das Gefühl von einem neuen Jahr aufkommen.
Meine letzten „Neues Jahr, neues Glück" Vorsätze haben sich auf mein Schuljahr and der neuen Schule bezogen und es hat ja auch eigentlich ganz gut angefangen. Ich habe Theo gefunden und damit endlich mal einen Freund, auf den ich voll und ganz zählen kann.
Ja, die ständig lästernden Leute an der Schule sind nicht unbedingt das was ich mir erhofft habe, aber lieber ein richtiger Freund als hundert falsche, auf die man nicht zählen kann. Die Krebserkrankung war natürlich auch nicht geplant, aber daran kann ich eben nichts ändern und muss mir meinen normalen Lebensalltag zurückkämpfen.
Ich kann also in den nächsten Wochen weiter auf die Unterstützung meiner Familie und der von Theo hoffen. Und vielleicht würde Gio mir ja auch wieder einen Besuch abstatten, wenn er aus Amerika zurückkehrt.
Ich bin back! Allerdings nur mit einem Füll-Kapitel da mein Kopf mit vielem beschäftigt war, nur nicht damit an meinen Büchern zu schreiben, aber das wird (hoffentlich) bald wieder besser.
Wir sehen uns
WOLKE 🌻
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Sunflower [Gio Reyna]
FanfictionBessere Noten und neue Freunde, das sind die Vorsätze von Lu für ihre neue Schule. Allerdings hat sie da ihre Rechnungen ohne eine Zusammenbruch mit darauffolgender Krebsdiagnose gerechnet. Ihre Welt zerbricht in tausende Scherben, sie hatte doch so...