~More Company~

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Wie angekündigt, steht Gio auch am nächsten Morgen in meinem Zimmer, begrüßt mich mit einem schiefen Grinsen und hat sich dann neben mein Bett gesetzt. Zu dem Zeitpunkt habe ich meine Chemo noch nicht angehängt bekommen, aber das Tablett mit meinem Frühstück steht vor mir und wartet nur darauf von mir gegessen zu werden. Vorsichtig beginne ich also ein wenig zu essen, kaue aber äußerst lange auf einem kleinen Stück Brot herum und kann Gios wachsamen Blick auf mir spüren.

„Isst du, weil du Hunger hast oder weil du essen musst?" fragt Gio irgendwann in die Stille hinein und überrumpelt mich damit ein wenig. Es verwundert mich, wie sehr er sich doch auszukennen scheint und genau deuten zu können, was gerade passiert und warum ich mich so verhalte wie ich es eben mache.

„Beides?" kurz halte ich inne und überdenke meine Worte noch einmal, dann spreche ich weiter.
„Okay, eher weil ich essen muss, Hunger habe ich immer noch nicht wirklich, aber ich habe meiner Ärztin versprochen das ich es versuche. Durch den Zyklus verliere ich schon genug an Gewicht und ich brauche die Kraft um die Behandlung gut zu vertragen."

„Vielleicht hilft es dir, wenn jemand mit dir frühstückt. Ich habe das immer mit...ich habe das mal gehört, dass das einem dann leichter fällt." Gio sieht akribisch auf seine Schuhspitzen und vermeidet meinen Blick.

Ich bin mir ziemlich sicher das er gerade etwas anderes sagen wollte, aber ich werde ihn nicht drängen mir mehr zu erzählen. Es scheint ihn zu beschäftigen und ich möchte ihn nicht vergraulen, denn auf eine gewisse Art und Weise mag ich seine Gesellschaft.

„Ich wüsste nicht wer mit mir frühstücken sollte, aber danke für die Idee." Kurz sehe ich nach unten auf die Bettdecke. So lieb Gios Idee auch ist, wer sollte denn morgens extra herkommen und mit mir frühstücken? Niemand würde dafür Zeit haben und ich werde sicherlich weder meine Familie noch Theo dazu drängen früh morgens hier aufzutauchen.

Als ich den Blick hebe, sehe ich das Gio den Kopf gehoben hat und mich mit gerunzelter Stirn ansieht. Es scheint fast so, als ob er nicht verstehen könnte, dass niemand sich diese Mühe machen würde.

„Also, wenn du möchtest, komme ich gerne vorbei." Bietet er mir dann nach kurzem Zögern an. Meine Augen weiten sich ein wenig. Das würde er wirklich machen? Diese Frage stelle ich ihm auch sogleich, ob er das wirklich ernst meint, denn eigentlich ist es für mich unvorstellbar dass er das für mich machen würde.

„Natürlich. Ich muss zwar immer schauen wann wir Training habe, aber wenn es passt, dann komme ich gerne vorbei." Ein breites Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht und auch ich kann ein Lächeln nicht unterdrücken.

„Das wäre schön." Murmele ich noch schüchtern, dann wird unsere Zweisamkeit schon unterbrochen. Eine Schwester betritt den Raum und hat meinen Medikamentencocktail dabei, sowie mein Mittel gegen die Übelkeit.

„So junger Mann, Sie müssten dann jetzt gehen." Sie spricht zunächst Gio an, welcher sofort aufspringt, denn ihre Stimmer klingt sehr streng. Ihr ist bekannt das ich während der Chemo gerne allein bin, aber irgendwas in mir sträubt sich dagegen, das Gio jetzt schon wieder geht.

„Es ist schon in Ordnung. Er kann bleiben, also wenn er möchte." Unsicher sehe ich Gio an, dessen Gesichtszüge sofort weicher werden.
„Ich bleibe gerne hier." Sagt er und wirft einen unsicheren Blick auf Schwester Martha, die sogleich ihr Einverständnis gibt.

Etwas entspannter lässt sich Gio wieder neben meinem Bett nieder und beobachtet interessiert, wie meine Infusionen angeschlossen werden. Ein kleiner Schauer läuft durch meinen Körper, denn die Flüssigkeiten sind nicht wirklich warm, aber nach einem Moment hat man sich daran gewöhnt.

Als wir wieder allein sind, lehnt sich Gio ein wenig in seinem Stuhl zurück und sieht mich zögernd an.
„Darf ich dir ein paar Fragen stellen?"

„Uhm, ja?" ein wenig unsicher bin ich ja schon, aber ich möchte wissen was er für Fragen hat. Ich kann mir zwar vorstellen das sie über meine Krankheit gehen werden, aber dann ist das eben so.

„Wie alt bist du eigentlich?" Damit habe ich jetzt nicht gerechnet, deswegen brauche ich einen Moment, um zu antworten.

„Ich bin sechszehn." Antworte ich also, bevor ich realisiere, dass ich gar nichts über ihn weiß, außer eben seinen Vornamen und dass er offensichtlich Fußballer beim BVB ist.

„Und du?" schiebe ich also noch hinterher und sehe ihn interessiert an.
„Ich bin vor ein paar Wochen siebzehn geworden." Meine Augen weiten sich verwundert.

„Und dann spielst du schon in der Bundesliga." Frage ich und bin wirklich erstaunt. Andere sind in diesem Alter noch verwirrt und wissen nicht was sie mit ihrem Leben anfangen sollen und er ist einfach schon Fußballprofi.

Ein wenig verlegen röten sich die Wangen von Gio.
„Naja, noch nicht so wirklich. Ich darf mit der ersten Mannschaft trainieren, aber ich spiele noch in der zweiten. Es ist also noch ein weiter Weg."

Gio spielt seine Leistungen ein wenig herunter, aber ich bin trotzdem fasziniert.
„Erste oder zweite Mannschaft ist doch egal, ich finde es großartig das du für deinen Traum kämpfst."

Die eben noch zarte Röte, wird noch ein wenig präsenter und ich muss schmunzeln, denn es sieht absolut süß aus, wie verlegen er ist.
„Danke." Nuschelt er dann mehr, als das er spricht und spielt ein wenig mit seinen Fingern.

Einige Minuten ist es still zwischen uns, aber es ist keine unangenehme Stille und so lehne ich mich ein wenig zurück und schließe meine Augen.

„Lu?" durchbricht irgendwann Gios Stimme das Schweigen.
„Ja?" murmele ich, öffne meine aber nur einen kleinen Spalt und sehe wie Gio sich unsicher durch die Haare fährt.

„Darf ich dich auch etwas über deine Krankheit fragen?" Jetzt sehe ich ihn doch an. Normalerweise würde ich nicht mit einem fast Fremden darüber reden wollen, aber Gio wirkt auf mich vollkommen vertrauenswürdig.

„Natürlich." Sage ich also und ziehe meine Beine etwas an, damit ich im Schneidersitz dasitze.

„Also die Station verrät ja schon ein bisschen was, aber kannst du mir sagen, was du hast?" Gio sieht nicht aus, als ob er sich wohlfühle würde, während er mir diese Frage stellt, aber darauf versuche ich nicht weiter einzugehen.

„Ich habe einen Tumor in meiner Lunge, der nicht gestreut hat. Durch die Chemo versuchen sie gerade das er schrumpft, damit sie ihn vollständig entfernen können." Meine Worte sind recht klar gewählt, denn ich möchte zum einen nicht mit Fachbegriffen um mich werfen und zum anderen ist geradeheraus meist die beste Taktik.

Ich sehe wie Gio schluckt, dann aber verstehend nickt. Er scheint wohl zu wissen, wie unberechenbar der Krebs in seinen unterschiedlichsten Formen sein kann. Wieder verspüre ich das Bedürfnis ihn zu fragen, woher er dieses Wissen hat, aber dann klingelt sein Handy und ich beiße mir auf die Zunge.

„Entschuldigung, das ist mein Wecker. Sonst vergesse ich wieder die Zeit und niemand freut sich, wenn ich zu spät zum Training komme." Erklärt Gio sich, sobald er das Klingeln abgestellt hat.

„Wir sehen uns dann morgen zum Frühstück?" fragt Gio noch mal nach, während er nach seiner Jacke greift.
„Ich würde mich freuen." Sage ich und senke meinen Blich wie so oft schon auf die Bettdecke zwischen meinen Fingern.

„Bis morgen Lu." Ruft er noch, dann ist er schon verschwunden.
„Bis morgen Gio." Murmele ich in die Stille und lasse mich in meine Kissen zurückfallen.

Ich genieße Gios Gesellschaft jetzt schon mehr als ich es vermutlich sollte. Eigentlich möchte ich nur so wenige Leute wie möglich in mein kränkliches Leben hineinziehen.

Also müsste ich versuchen Gio wieder loszuwerden, oder?



Eigentlich wollte ich mich hier nur über die Tore von Gio freuen, aber die Verletzung von Mateu überschattet meine Freude dann doch. Es sah schrecklich aus und hat sich grauenvoll angehört. Hoffentlich ist nicht alles kaputt gegangen und er wird irgendwann wieder im Profibereich spielen können...

Wir hören uns
WOLKE 🌻

Sunflower [Gio Reyna]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt