Kapitel 52

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• N I C K •

Von der Müdigkeit überwältigt, gähne ich zum wiederholten Male innerhalb weniger Minuten. Davon fühlen sich die Frauen am Tisch wohl ganz offensichtlich gestört, da sie mir daraufhin einen genervten Blick zuwerfen.

"Wie wäre es, wenn du heute Abend früher ins Bett gehen würdest, Nicholas?", schlägt meine Tante vor, die es eher belustigend findet. Anders als ihre Tochter und ihre Nichte.

"Ich habe zurzeit ein paar Probleme einzuschlafen", gebe ich ernüchternd von mir und greife nach der mit Orangensaft gefüllten Karaffe, um mir ein weiteres Glas einzuschenken.

"Mein Liebling, du siehst auch gar nicht gut aus", merkt Granny besorgt an, was ich belächle.

"Danke, sowas hört man doch gerne", witzle ich, obwohl mir gar nicht zu scherzen zumute ist.

Es ist zum Verzweifeln. Seit ich das Familiengeheimnis der Fields erfahren habe, kann ich an nichts anderes mehr denken, als dass ich mich unbedingt bei Sam entschuldigen muss. Das bin ich ihm schuldig. Wenn es vielleicht nichts mehr aus uns wird - dafür ist wahrscheinlich einfach zu viel passiert -, aber wenigstens würde ich es gern noch klären, bevor wir dann endgültig getrennte Wege gehen.

Allein dieser Gedanke schmerzt.

Aber so oft, wie wir uns immer wieder streiten, hat es doch keine Zukunft ...

Ich blende die Gespräche am Küchentisch aus und greife nach meinem Handy. Meine Finger öffnen wie von selbst den Chat mit ihm. Meine beiden letzten Nachrichten an ihn habe ich, kurz nachdem sie abgeschickt worden, wieder gelöscht. Aus Angst, dass Sam sie liest.

Aus meinem Gedächtnis kann ich sie allerdings nicht ausradieren. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich die gestrigen Worte vor mir.

Nick [00:13 Uhr]: Wenn du nicht da bist, fällt mir das Schlafen so viel schwerer ...

Nick [02:39 Uhr]: Ich wünschte, du wärst jetzt hier in meinem Bett ...

Das ist so verdammt armselig. Ich weiß es ja selbst. Eigentlich muss ich ihm nur entgegen treten und mich mit ihm aussprechen. Aber es ist so viel leichter gesagt als getan. Ich schäme mich. Für alles, das ich ihm an den Kopf geworfen habe. Und für all das, was ich getan habe - nämlich nicht hinter ihm gestanden zu haben.

Immer wieder habe ich etwas getan, dass unserer Beziehung geschadet hat.

Sam wäre ohne mich definitiv besser dran ...

"Ich glaube, er hört uns nicht mal zu", sagt Thea, als ich in die Gegenwart zurückkehre. "Anscheinend ist es wichtiger, an seinem Verflossenen zu denken-"

"Was redest du denn da?", fahre ich sie grob an, obwohl sie ja recht hat. "Ich verschwende gar keinen Gedanken mehr an Samuel."

Meine Cousine wechselt einen vielsagenden Blick mit Paige, die daraufhin die Augen verdreht und von ihrem Sandwich abbeißt. "Rede keinen Unsinn, Bruderherz", sagt sie kauend. "Menschen, die man geliebt hat, kann man nicht so schnell vergessen ... Und ihr habt ja noch nicht einmal miteinander Schluss gemacht."

"Es fehlt aber auch nicht mehr viel bis dahin", entgegne ich ungehalten und nippe an meinem Glas Saft, um gegen meinen trockenen Hals anzukämpfen.

"Nun lass aber den Unsinn, Nicholas", ermahnt mich unsere Großmutter, während sie mir einen Teller mit fein geschnittenen Obst hinhält.

Ich nehme mir ein Apfelstück, lege es aber sogleich auf meinen noch gut gefüllten Frühstücksteller. "Wir streiten nur noch."

"Man streitet sich nur, weil man sich gegenseitig etwas bedeutet", entgegnet sie vergnügt, als es an der Tür klingelt. Sie stellt den Obstteller vor mir auf den Tisch, ich schiebe ihn aber von mir weg und verschränke launig die Arme vor der Brust.

Angel Eyes [boyxboy] | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt