4 ~ La Familia

120 11 0
                                    

Ausgelaugt und erschöpft verabschiedete sie sich nach einigen Stunden von Signor Lombardi. Der Mann war nett, keine Frage, doch er hatte ein Mundwerk wie ein Waschweib. Hätte sie nicht auf ihren Aufbruch gedrängt, säße sie wohl noch bis zum jüngsten Gericht bei dem Kunstliebhaber. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus.

'Hoffentlich kommt das Jüngste Gericht nicht so schnell.'

Dankbar ließ sie sich von Tullio in die Kutsche helfen. Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten und Aleria sehnte sich nach ihrem eigenen Zuhause. Ihre drei Halbschwestern mussten mittlerweile eingetroffen sein und Aleria war begierig darauf, sie zu sehen. Tullio schnalzte mit der Zunge und die Fahrt begann.

Nicht lange und auf der anderen Seite des Tiber erhob sich die Castel Sant' Angelo, majestätisch und uneinnehmbar, erinnerte sie noch an das alte Rom vor der neuen Zeitrechnung.

'Hüte dich vor den Engeln', wisperte es in ihrem Kopf.

'Unsinn', konterte sie und wandte den Blick ab. Nur weil dieses Gebäude Engelsburg hieß, musste es noch lang nicht sein, dass die geflügelten Statuen plötzlich zum Leben erwachten und über sie herfielen.

Die Zeit verstrich und Aleria wurde ruhiger, besänftigt durch das sanfte Schaukeln der Kutsche. Aber diese Ruhe währte nur kurz, denn sie sah einen Mann an der Mauer des Tiber stehen, den sie hier nicht erwartet hätte.

„Halten Sie an Tullio", rief sie dem Kutscher zu. Sie war schon halb aus der Kutsche gesprungen, bevor der Mann das Gefährt gestoppt hatte. „Fahren Sie nach Hause, ich komme nach." So schnell es die Etikette erlaubte lief sie zu dem Mann in dem moosgrünen Gewand, dessen Blick verträumt auf dem Fluss lag.

„Wenn Alekto und ihre Schwestern erfahren, dass du auch in der Stadt bist, hast du keine Ruhe mehr", waren ihre ersten Worte an den gutaussehenden Mann. Schneeweiße Zähne blitzen ihr entgegen, als er sie breit anlächelte. „Amra, schön dich zu sehen."

„Contessa Aleria De Santoro, wenn ich bitten darf", erwiderte sie und hielt ihm ihre Hand zum Kuss hin. Warm und vertraut fühlte sie seine Lippen auf ihrer Haut, seine Augen sahen sie mit einem amüsierten Funkeln an. Ihre Sinne waren noch immer empfindlich und sie spürte genau die Last der Jahre, die der Mann auf seinen Schultern trug.

„Oh, dieses Mal also einen Adelstitel. Gestatten, Enrico Brambilla. Aber du darfst mich selbstverständlich immer noch Elay nennen."

Aleria grinste ihn an und zog ihre Hand zurück. Ihr Halbbruder war fast zwei Meter groß, weswegen sie einen Schritt zurücktrat, um sich nicht den Hals zu verrenken. Elay war ebenfalls in Rom so fest verwurzelt wie Aleria selbst, sie hatte sogar gehofft, ihn irgendwo in der Stadt zu treffen. Dass es jedoch so schnell gehen würde, hätte sie nicht gedacht.

„Du siehst gut aus."

„Danke Signore, das Kompliment kann ich auch zurückgeben." Unverhohlen musterte sie seine sehnige Gestalt, das von schulterlangem blondem Haar umrahmte Gesicht und blieb schließlich wieder an seinen honigbraunen Augen hängen. „Ich darf raten: Du hast gewusst, dass ich hier vorbeikommen würde."

Enrico zuckte mit den Schultern und lächelte wieder. „Vielleicht. Ich würde mich gern später noch einmal mit dir treffen."

„Gern. Soll ich dich besuchen?"

Er nickte. „Sehr schön. Es geht auch ums Geschäftliche." Alerias Lächeln verlor seine Fröhlichkeit, denn Enrico hatte ebenso wie sie ein kleines Geheimnis, was seine Einkünfte anbelangte.

„Gibt es Probleme?", erkundigte sie sich schnell.

„Ich weiß nicht genau, möglich. Aber es hat Zeit, lass uns ein anders Mal darüber reden." Er bot ihr seinen Arm an und sie hakte sich unter. „Jetzt bringe ich dich nach Hause, sonst klingen mir sicherlich die Ohren, wenn die Schwestern herausfinden, dass ich dich unnötig aufgehalten habe."

Aleria  ~ Liliths Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt