Aleria ~ Liliths Kinder (1)

21 ~ Das Leben einer Frau

'Das kann doch nicht wahr sein!', klagte Aleria in Gedanken und wäre sich am liebsten mit beiden Händen durch die Haare gefahren. Es juckte sie in den Fingern, diesen Mann anzufassen. Einerseits, um ihn zu erwürgen und andererseits, um ihm die Kleidung vom Leib zu reißen und sich an seinem muskulösen Körper wie eine rollige Katze zu reiben. Beide Wunschgedanken kämpften in ihr miteinander und machten es immer schwerer noch klar zu denken.

„Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie das Leben einer Frau aussieht?"

Verwirrt runzelte er die Stirn. „Warum?"

Aleria lachte kalt auf und begann auf dem Kies hin und her zu laufen. „Ja, warum auch. Schließlich sind Sie ein Mann und haben es nicht nötig." Mit fahrigen Händen strich sie sich über den Nacken.

„Ich werde Ihnen erzählen, wie es für die Menschenfrauen ist. Schon vom ersten Augenblick ihres Lebens sind sie entweder unerwünscht, weil sie ein Junge hätten werden sollen, oder sie werden als strategische Schachfigur eingesetzt. Denn den einzigen Wert, den eine Tochter für ihren Vater jemals haben kann, ist einen möglichst profitablen Gatten zu finden." Tausende Erinnerungen kamen in Aleria hoch und sie fragte sich, warum ihr der Kopf nicht platze. Wie konnte sie sich an ihr ganzes Leben erinnern, ohne von der Informationsflut begraben zu werden?

Tatsächlich schwieg Luan und sie setzte ihre Erklärung fort. „So wachsen die Mädchen also auf, werden schon von Kindesbeinen an zur Hausfrau, Braut und Mutter erzogen. Heute mag es vielleicht mancherorts schon anders sein, aber lesen und schreiben dürfen nur die wenigsten lernen. Und während sie heranwachsen, werden ihnen immer mehr Regeln auferlegt." Mit energischen Bewegungen begann Aleria die Punkte an den Händen abzuzählen. „Niemals darf sie sich beschweren oder klagen. Sie darf das Haus nicht ohne Erlaubnis des Vaters verlassen. Sie muss immer artig sein, nett und höflich und niemals laut werden."

Anklagend hob sie wieder den Blick und fühlte alten Hass in sich aufsteigen. „Und gnade ihr Gott, wenn sie älter und langsam zur Frau wird. Sobald sie Kinder gebären kann, wird sie verheiratet. Sie kann nur von Glück sagen, wenn ihr Mann ein bisschen rücksichtsvoll ist und sie in ihrer Hochzeitsnacht nicht wie ein betrunkener Stier besteigt. Sie ahnen gar nicht, wie viele verängstigte jungen Frauen ich in den Jahrtausenden bereits gesehen habe."

„Was genau wollen Sie mir sagen?", fragte der Priester nüchtern.

Aleria presste die Kiefer zusammen, damit sie nicht anfing zu schreien. „Frauen sind Sklaven der Männer."

Etwas in der Miene des Geistlichen veränderte sich, wurde starr und leblos. „Sie lügen und drehen alles nur so hin, wie Sie wollen."

„Sicher, natürlich. Wie alt sind Sie? Mitte dreißig? Und Sie wollen mir unsterblichem Wesen sagen, dass meine Beobachtungen in all den Jahrtausenden falsch waren."

Der Sarkasmus troff aus Aleria wie ätzende Säure, ließ sie verbittert und zynisch wirken.

'Und wenn schon, es ist die Wahrheit', rechtfertigte sie sich. Ehe der Priester ihr wieder ins Wort fallen konnte, kam Aleria auf den eigentlichen Punkt zurück. „Wissen Sie was mit Frauen geschieht, die sich den Vätern, Brüdern oder Ehemännern widersetzen? Sie werden bestraft." Aleria trat wieder näher zu ihm und drehte ihren Kopf so, dass er seitlich auf ihr Gesicht blickte.

„Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?" Es war nur ein kleiner Gedanke und schon formte sich ihr Ohr um. Ein Schnitt fraß sich durch ihr Ohrläppchen und ließ es genauso aussehen, wie das jeder Hure in ihrem Bordell.

„Sicher habe ich das schon einmal gesehen", antwortete Luan, aber längst klang seine Stimme nicht mehr überzeugt und selbstsicher.

„Dann wissen Sie sicher auch, dass Menschen mit solchen Ohren nie wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden können." Er nickte lediglich und Aleria befahl ihrem Körper, in seine vorige Form zurück. „Jede meiner Frauen ist so gekennzeichnet und jede von ihnen hat Dinge erlebt, die kein Lebewesen auf der Welt je durchmachen sollte." Ihre Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln.