40 ~ Im Kerker

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Es war nicht die erste Zelle, in der Aleria in ihrem Leben aufgewacht war. Im Prinzip sahen sie alle gleich aus: Karge Steinwände, Gitterstäbe und nichts darin außer vielleicht einem schimmelnden Strohsack.

Ächzend rieb sich Aleria über die Stirn und zuckte zusammen, als rasender Kopfschmerz ihr die Sicht vernebelte. Vorsichtig richtete sie sich auf und sah sich in dem Raum hinter dem Gitter um. Er war ebenso düster und leer wie ihre Zelle, hatte nicht einmal ein Fenster. Lediglich durch schmale Spalte an der Decke fielen dünne Lichtstreifen herein und tauchten alles in ein diffuses Licht.

Nachdenklich blickte sie auf die Narbe, zu der der Schnitt des Dolchs an ihrem rechten Bein verkümmert war. Glatt und rosa verunstaltete es ihre gebräunte Haut.

'Noch ein Brandmal', dachte sie bitter und schloss für einige Minuten die Augen. Still fragte sie sich, ob das ihre letzte Narbe bleiben würde oder ob der heuchlerische Kleriker ihr noch mehr solcher Male zufügen wollte.

Mit wackligen Beinen stand sie auf und bemerkte erst in diesem Moment, dass ihre eine schwere Eisenkette um das Sprunggelenk befestigt war. Frustriert stieß sie die Luft aus den Lungen.

„Typisch", murmelte sie vor sich hin. Warum hatte dieser Bastard das tun müssen? Wäre sie nicht angekettet, könnte sie sich in ein Kind wandeln und so durch das Gitter schlüpfen.

Unabsichtlich berührte sie die Eisenstäbe und zuckte mit einem Schrei zurück. Sie fluchte in etlichen Sprachen, die bereits seit hunderten Jahren nicht mehr gesprochen wurden, und rieb sich über die Arme.

'So viel zu meinem brillanten Fluchtplan', dachte sie düster. Sie sah die silbernen Siegel, die um jede einzelne Stange herumgewickelt waren, und fluchte noch einmal. Abermals wünschte sie dem Bischof die Pest an den Hals, weil er so gut vorgesorgt hatte. Sie würde sich nicht einmal heraus teleportieren können.

„Na, wenigstens das", murmele sie vor sich hin und lächelte schief. Zu ihren Füßen lag ein Haufen Stoff, der sich als abgewetzte Nonnentracht herausstelle. Widerwillig schlüpfte Aleria in das Gewand. Sie konnte zwar nicht erfrieren oder sich eine Krankheit einfangen, aber Kälte und den rauen Stein fühlte sie sehr wohl.

Weil ihr nichts anderes einfiel, setzte sie sich mit dem Rücken zur Wand und starrte durch die Gitterstäbe an die gegenüberliegende Steinmauer. Aleria versagte es sich, sich selbst wegen ihrer Dummheit auszuschimpfen. Sie wusste sehr gut, dass sie überheblich und leichtsinnig gewesen war. Augenblicklich huschten ihre Gedanken zu Luan und zu den Furien.

Hatten sie bereits bemerkt, dass sie nicht da war? Machten sie sich Sorgen um ihr Wohlergehen? Bei den Drillingen war sich Aleria sicher, schließlich kannten sie sich schon seit Anbeginn der Zeit. Sie hatten vieles miteinander erlebt und sie standen sich sehr nahe. Bei Luan war sie sich nicht so sicher. Ihr Körper begann zwar hitzig zu kribbeln, wenn sie an ihre gemeinsame Nacht dachte, doch die Ernüchterung löschte schnell das Feuer ihrer Leidenschaft.

'Ein bisschen Sex hat noch keinen Mann dazu gebracht, länger zu bleiben', dachte sie betrübt. Aleria kannte die Menschen sehr gut. Sie hatte unzählige Frauen gesehen, die ihre Männer nicht hatten halten können und an dieser Tatsache zerbrochen waren. Müde schloss Aleria die Augen und lehnte ihren schmerzenden Kopf an die kühle Mauer.

'Ob ich wohl auch so verbittert werde?' Die Frage geisterte unbeantwortet durch ihr Gehirn und ließ sie schwer atmen.

„Wie konntest Du mir das nur antun?", wisperte sie schließlich und blickte zur Decke empor. „Mutter hat doch mit Dir ausgehandelt, dass Du uns Lilim in Ruhe lässt. Warum kannst Du dein Versprechen nicht einfach halten?" Aleria wusste, wie dumm es war ein Zwiegespräch mit Gott zu führen. Millionen Menschen taten es jeden Tag und wurden nicht erhört, warum sollte er dann einer Halbdämonin antworten?

Aleria  ~ Liliths Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt