43 ~ Castel Sant'Angelo

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Den Schmerz in seiner Faust, mit der er gegen die Haustür gehämmert hatte, verblasste in dem Moment, als Tullio öffnete und ihn gehetzt ansah.

„Wo sind alle?", fragte Luan harsch und drängte sich an dem Mann vorbei ins Hausinnere.

„Oben, im Wohnraum." Noch bevor der Diener seinen Mund geschlossen hatte, hechtete Luan bereits die Stufen hinauf und den Gang entlang. Sein Herz schlug schmerzhaft in seiner Brust und seine Lunge protestierte gegen jeden neuen Atemzug, doch Luan ignorierte es. Er musste den anderen unbedingt von seiner Vermutung erzählen.

Schwungvoll öffnete er die Tür zum Wohnzimmer und wurde von fünf Augenpaaren angestarrt. „Ich glaube ich weiß, wer Aleria gefangen hält", platzte es aus ihm heraus. In den Sekunden nach diesen Worten schien die Welt stillzustehen, denn kein Laut war zu hören.

Doch dann platzte die Blase und Elena keuchte: „Wer?"

„Bischof Gabriele Sebastinelli." Augenblicklich begannen die Furien und Enrico wild durcheinander zureden und forderten den Kopf dieses Bastards. Die Furien erhoben sich, blieben jedoch mitten in der Bewegung stehen, als ein Schrei die Luft zerriss.

„Ruhe, verdammt nochmal!", rief Lilith und stampfte mit dem Fuß auf. Ihre Kinder verstummten augenblicklich und sahen sich schuldbewusst nach ihr um. Mit wütendem Blick und in die Hüften gestemmten Händen stand sie da und musterte alle finster. „Seid ihr jetzt alle wahnsinnig? Wo wollt ihr hin?"

„Tut mir leid Mutter, aber ich glaube du bist schwachsinnig", sagte Martha und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir sollen den Hurensohn suchen und aufknüpfen."

Völlig unbeeindruckt von den respektlosen Worten ihrer Tochter schüttelte Lilith den Kopf. „Und was wollt ihr dann tun? Wir wissen nicht, wo Amra ist und ihr drei seid zu hitzig, um lange genug die Finger von diesem Mann zu lassen, dass er uns ihr Versteck preisgeben kann."

Überrascht blinzelte Luan und empfand Respekt für die Frau. Er selbst hatte für einige Sekunden, nachdem ihm diese Erkenntnis gekommen war, mit dem Gedanken gespielt, allein zu Sebastinelli zu gehen und ihn mit bloßen Händen zu erwürgen.

„Wie sollen wir deiner Meinung nach also herausfinden, wo Amra sich befindet?", fragte Enrico und klang dabei seltsam distanziert. Luan erinnerte sich an seine speziellen Fähigkeiten und fragte sich, ob er sich deswegen so unter Kontrolle hatte.

'Wenn sein Talent, durch Gedanken Feuer zu erzeugen, mit seinen Emotionen verknüpft ist, könnte ein Gefühlsausbruch eine Katastrophe auslösen.'

„Dieser Bischof muss einen Ort kennen, an dem er unentdeckt jemanden festhalten kann und das über mehrere Tage. Zudem darf dieser Ort nicht zu weit vom Vatikan entfernt liegen, sonst würde er auf jeden Fall Aufmerksamkeit erregen", dachte Sara laut nach. Ihre grünen Augen sahen Luan abwartend an und sie fragte: „Du bist hier der Spezialist, wenn es um solche Fragen geht. Keiner von uns kennt sich mit den Gebäuden der Kirche besser aus als du."

Hilflos, weil er selbst bereits an diese Möglichkeit gedacht hatte, zuckte er mit den Schultern. „Tut mir leid, aber mir fällt kein Gebäude ein, dass wie ein..."

Mitten im Satz brach er ab und glaubte, alle Luft wiche ihm schlagartig aus den Lungen. „Wie ein Gefängnis", schloss er schließlich und blickte in die Runde. Wieder hatte er das Gefühl, sich für seine eigene Dummheit das Fell über die Ohren ziehen zu müssen.

„Was Luan?", hakte Lilith nach und kam auf ihn zu.

„Engel haben doch immer wieder eine Rolle gespielt, nicht wahr?" Doch bevor jemand seine Frage beantwortete, fuhr er fort: „Zuerst Alerias Träume, dann die letzten Worte von Schwester Carla und schließlich die Nachricht, die ich auf dem Boden meiner Kammer gefunden habe."

Aleria  ~ Liliths Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt