14 ~ Pferde und Wein

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„Geht es Ihnen gut, mein Sohn?" Überrascht sah Luan von seinen Papieren auf und in die hellen Augen des Kardinals. Schon seit dem Morgengrauen saßen sie zusammen in dem geräumigen Arbeitszimmer von Signor Giudicaro und studierten Luans vorläufige Berichte.

„Mir fehlt nichts." Vorsichtig räusperte sich Luan und fragte: „Sehe ich denn krank aus?"

„Ach nein, krank nicht", antwortete der Geistliche und lächelte. Doch das Lächeln verblasste und Sorge trat an dessen Stelle. „Aber es scheint mir, dass Sie nicht ganz bei der Sache sind."

„Ich habe nicht sonderlich gut geschlafen", gestand Luan schließlich. Mit einer Mischung aus Verlegenheit und Wut senkte er den Blick. Nicht sonderlich gut geschlafen war eine maßlose Untertreibung zu dem, was er wirklich in der letzten Nacht erlebt hatte. Kaum hatte er versucht, ein Auge zu zutun, war sie da gewesen. Die Inkarnation der Sünde selbst hatte ihn heimgesucht.

Um sich abzulenken, sortierte er die Dokumente vor sich neu. „Machen Sie sich keine Sorgen eure Eminenz, es ist nichts Ernstzunehmendes."

'Außer, dass ich mit einer leibhaftigen Dämonin gesprochen habe.'

Der Kardinal hörte seine Gedanken Gott sei Dank nicht und nickte sichtlich erleichtert. „Es wäre ein Jammer, wenn Sie Seiner Heiligkeit in einem Stresszustand gegenübertreten."

„Seiner Heiligkeit?", echote Luan und sah den älteren Mann erstaunt an.

„Sicher." Kardinal Giudicaro erhob sich und blätterte in einem kleinen Buch auf seinem Schreibtisch. „Nachdem ich Papst Clemens von Ihrem Engagement erzählt habe und wie viel Sie schon erreicht haben, wollte er sich persönlich mit Ihnen unterhalten."

Für einige Augenblicke herrschte in Luans Kopf gähnende Leere. Er wusste, dass er immer noch demselben Mann gegenübertreten würde, den er auch auf dem Vatikansgelände öfter begegnet war. Aber Luan war sich nicht sicher, was diese wichtige Position aus Lorenzo Corsini gemacht hatte. Macht korrumpierte, dagegen war kaum jemand gefeit. Trotz der Mehrheit der Kardinäle, mit der er gewählt worden war, musste der neue Papst immer mit Gegenspielern und Widersachern rechnen.

„Wann?", brachte Luan schließlich heraus.

„In fünf Tagen, also nächsten Dienstag. Kommen Sie zur Mittagszeit zu mir, wir werden uns dann gemeinsam auf den Weg machen." Luan nickte und notierte es sich auf einem Stück Pergament. Vorsichtig blies er die Tinte trocken und war kaum in der Lage, darüber nachzudenken. Es war eine unglaubliche Chance, die sich ihm hier bot.

~

„Aber Signora..." Unbehaglich trat Tullio von einem Fuß auf den anderen und sah Aleria bittend an.

„Was? Sprich nur, ich werde dir schon nicht die Zunge herausreißen lassen." Aleria war noch nie der Meinung gewesen, dass man andere durch Schmerz und Angst an einen binden sollte. Die treusten Gefolgsleute waren diejenigen, die freiwillig bei einem blieben. Dazu gehörte unweigerlich, dass der Anführer auch andere Meinungen gelten ließ. Sie ahnte ohnehin bereits, was der Mann ihr sagen wollte.

„Es entspricht nicht Ihrem Stand, wenn Sie so... gewöhnlich reisen." Dabei warf er einen eindeutigen Blick auf den gesattelten Rappen. „Zudem könnte ich es mir nicht verzeihen, wenn Ihnen etwas zustoßen würde."

„Tullio", sagte Aleria und sah ihn streng an. „Ich bin schon ein großes Mädchen und außerdem eine hervorragende Reiterin."

„Sicher Signora, aber..."

Mit einer entschiedenen Handbewegung schnitt sie ihm das Wort ab. Sie wollte ihn nicht einschüchtern, aber in diesem Punkt würde sie niemals und unter keinen Umständen mit sich reden lassen. Die Lilim waren in allen Bereichen ihres Lebens dazu gezwungen, sich den momentan vorherrschenden Sittenvorstellungen der Menschen anzupassen. Den Begriff Freiheit gab es für ihre Art also nicht mehr, dennoch gönnte sich Aleria hin und wieder ein Stücken davon. Auch wenn es nur so klein war wie der Ritt auf einem Pferd.

Aleria  ~ Liliths Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt