29 ~ Erste Hinweise

71 12 3
                                    

Namenlose Unruhe plagte Aleria schon seit dem Sonnenaufgang. Rastlos tigerte sie durch das Haus und trieb damit alle um sicher herum in den Wahnsinn. Selbst Felica hatte sie mit einem freundlichen, aber bestimmten Lächeln aus ihrer Küche verbannt.

„Es gehört sich für eine Contessa nicht, hier zu sein", hatte sie gesagt und die Tür hinter Aleria verschlossen.

'Ach, scheiß drauf was sich gehört', hatte sie still gezetert und war wieder ins Obergeschoss gegangen. Aber selbst dort hatte sie es nicht lange ausgehalten und sie war in die Stallung gegangen. Tullio war bereits damit beschäftigt, den schwarzen Hengst vor die Kutsche zu spannen. Aleria beobachtete ihn bei seiner Arbeit und war sich bewusst, dass sie ihn damit nervös machte.

Manchmal fragte sie sich, ob alle Menschen es hin und wieder fühlen konnten, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Matteo wusste es, ihn konnte sie als Vergleichsobjekt nicht heranziehen. Aleria war sich sicher, dass der loyale Haushälter sie unter keinen Umständen verraten würde. Nicht nur, weil sie ihn auf sein Blut und das seiner Familie hatte schwören lassen. Zudem mochte der Verwalter ihres Bordells sie, ebenso wie Aleria ihn. Es tat gut, ab und zu von ihm wie eine normale Frau behandelt zu werden, die im richtigen Alter war, seine Tochter zu sein.

Aleria seufzte leise. Bei Tullio und vor allem Isabella hatte sie immer wieder das Gefühl, als können sie einen Blick unter ihre Tarnung werfen. Sicher hatten sie sich schon oft gefragt, wer die Familie De Santoro wirklich war. Außer Aleria gab es für sie keine Mitglieder dieser Familie, die Furien hatte sie als entfernte Cousinen ausgegeben.

'So lange sie nicht versuchen zu bohren, ist mir das eigentlich egal', dachte Aleria. Leises Miauen riss sie aus ihren Gedanken und sie sah an sich herunter. Eine kleine knochige Katze rieb sich hingebungsvoll an ihrem Rock und sah mit großen Augen zu ihr empor.

„Schreckliche Viecher", murmelte sie und hob das Tier hoch. Tiefes Schnurren belohnte sie und die Katze rieb ihren Kopf an Alerias Hals.

Die gestohlene Seele hatte Alerias Körper schon fast verlassen, dennoch spürte sie einen Hauch von Gefühlen. Sie genoss es das warme Fell und das schlagende Herzen in ihren Händen und wurde etwas ruhiger. Wenn sie ehrlich zu sich war, dann musste sie zugeben, dass sie von ihren Zweifeln beinah verschlungen wurde. Die Ungewissheit, ob Luan Cattaneo ihr helfen würde, machte sie wahnsinnig. Aber sie fürchtete sich auch davor, den Grund für diese Empfindungen herauszufinden. Aleria hatte Angst, dass sie diese Erkenntnis nicht mehr loslassen würde.

Aus der Ferne hörte sie die Glocken die zweite Stunde nach Mittag schlagen.

„Ich bin fertig Contessa", ertönte Tullios Stimme und Aleria zuckte zusammen. Tatsächlich stand ihr treuer Diener neben der fahrbereiten Kutsche und sah sie abwartend an.

„Wunderbar." Aleria setzte die Katze wieder auf den Boden, wo diese beleidigt miaute.

„Ich hole meine Sachen, dann können wir los." Sie hatte Mühe, nicht ins Haus zu rennen. Gemäßigten Schrittes ging sie die Treppen hinauf und holte die Bücher und die Schatulle. Auf ihrem Weg zurück begegnete sie Elena.

„Amra", sagte sie leise und hielt Aleria am Arm zurück. Der Blick ihrer grünen Augen war unergründlich, doch Aleria kannte ihn. Sie selbst sah manchmal so aus, als könnte man jedes ihrer Jahre in ihrem Gesicht ablesen.

„Fang nichts an, was du unmöglich beenden kannst." Aleria konnte einen Moment nicht atmen, denn sie hatte das grässliche Gefühl, ertappt worden zu sein.

Ihre eigenen Finger waren kalt, als sie Elenas Hand auf ihrem Arm berührte. „Es ist den anderen beiden vielleicht unfair gegenüber, aber dich habe ich immer am meisten geliebt." Impulsiv schlang Aleria die Arme um ihre Halbschwester.

Aleria  ~ Liliths Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt