31 ~ Lasst es beginnen

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Es war kurz vor Sonnenaufgang und Aleria lag wach in ihrem Bett. Gedankenversunken strich sie über die weichen Laken, beobachtete, wie das Zimmer immer heller wurde. Sie hatte kaum geschlafen und doch fühlte sie sich voller Energie, voller Leben.

'Seltsam', dachte sie und drehte sich auf den Rücken. Mit einer Hand auf der Brust ließ sie den vergangenen Abend in ihrem Geist Revue passieren.

Wenn sie sich Luan Cattaneos Zurückhaltung, seine grässliche Kutte und dieses lächerliche Keuschheitsversprechen wegdachte, war der gestrige Abend eine rundum perfekte Verabredung gewesen. Nachdem Aleria beschlossen hatte, ihn nicht mehr zu ärgern und sich keine unsinnigen Gedanken mehr über ihn und seine Meinungen machte, waren beide sehr entspannt miteinander umgegangen.

Aleria lachte leise vor sich hin. Es waren erst drei Wochen nach ihrem ersten Treffen vergangen und schon betrachtete sie den seltsamen Priester als ihren Verbündeten, als ihren...

'Was, Freund? Vertrauten? Kameraden?' Die fröhliche Miene verschwand von ihrem Gesicht. Angst überschattete die angenehmen Erinnerungen, versuchte sie in ihren grausamen Bann zu ziehen.

Energisch schüttelte Aleria den Kopf. 'Es ist dummer Zufall, dass ich mich ausgerechnet zu ihm hingezogen fühle. Es hätte auch jeder andere Mann in Rom sein können, der mich erkennt und dem ich meine Geheimnisse anvertraue. Es ist einfach Pech, dass er auch Priester ist.' Diesen Gedanken immer vor Augen drängte sie die Stimmen zurück, die sie vom Gegenteil überzeugen wollten.

Aber das entscheidende Argument hatte sie noch nicht angeführt: Sie hatte sich nicht derart zu Marcus hingezogen gefühlt. Sicher, er hatte sie fasziniert, aber eher, weil er ihr Schlüssel zur Freiheit sein konnte.

'Nicht, weil ich ihn unbedingt in mein Bett ziehen will', dachte sie und seufzte. Der Padre hatte sie am vergangenen Abend bis zur Brücke begleitet, an der sie sich Stunden zuvor getroffen hatten.

Aleria hatte sich doch noch einen Spaß daraus gemacht, Luan ein bisschen zu ärgern. Mit großen Augen hatte sie sich vor ihn gestellt, sanft gelächelt und ihn gefragt, ob er ihr einen Gute-Nacht-Kuss geben würde. Seine Augen waren sofort zu ihren Lippen gewandert und Aleria hatte gespürt, dass er sich ebenfalls danach sehnte. In seinem Blick hatten wieder derselbe Hunger und dasselbe Verlangen gestanden, dass sie auch an diesem schicksalhaften Morgen gesehen hatte.

Ihr war es ein Rätsel, woher er letztendlich die Willenskraft genommen hatte, einige Schritte zurückzuweichen. Aleria an seiner Stelle hätte keine Sekunde gezögert, wenn er ihr dieses Angebot gemacht hätte. Sie zuckte mit den Schultern.

'Ich habe ja auch nicht geschworen, meine Libido verkümmern zu lassen.' Dennoch, auch jetzt fühlte sie wieder dieses merkwürdige Ziehen in ihrer Brust, das sich nicht lindern ließ.

Bevor er annähernd fluchtartig zurück in seine heile Kirchenwelt geflüchtete war, hatten sie sich auf ein Treffen am nächsten Tag geeinigt. In dieser Zeit würde Luan die Namen und Arbeitsplätze der Verdächtigen auflisten. Aleria atmete tief ein und aus und rollte sich wieder auf den Bauch. Sie hoffte nur, dass ihre Suche Erfolg hatte und sie nicht wieder bei null anfangen mussten.

Ungebeten drängte sich Teresas blasses Gesicht in ihre Gedanken, zusammen mit dem kläglichen Schluchzen der Frauen.

'Keine Angst, ich werde diesen Mistkerl finden', versprach sie mit düsterer Entschlossenheit. Sie konnte bei Leibe nicht alle Verbrechen der Welt aufklären – schließlich war sie keine Samariterin, sondern eine Dämonin – aber diese Angelegenheit würde sie klären.

'Und wenn wir ihn gefunden haben, überlegen wir uns eine Strafe für ihn.' Der Hauch von Grausamkeit verwandelte ihr Lächeln in ein Zähnefletschen. War diese Angelegenheit erst einmal geklärt, konnte sie sich wieder ihrem normalen Leben widmen.

Aleria  ~ Liliths Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt