35 ~ Blut und Narben

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„Nehmen die zwei dich eigentlich nie mit?", fragte Aleria und grinste ihre Halbschwester an. Elena verdrehte die Augen und griff nach einer Traube. Die Sonne war bereits untergegangen, doch die Steine der Dachterrasse strahlten noch immer eine wohlige Wärme aus. Beide Lilim lagen ausgestreckt auf dünnen Matten und sahen in den klaren Sternenhimmel.

„Sie haben es bereits aufgegeben, mich jedes Mal zu fragen. Martha und Sara wissen, dass ich nicht oft Lust dazu habe, mich unters Volk zu mischen."

„Nicht einmal für ein Theaterstück?"

Elena schüttelte den Kopf und lächelte vor sich hin. „Du hättest doch auch mitgehen können", konterte sie. Aleria zuckte mit den Schultern, ehe sie nach ihrem Weinglas griff.

'Ich sollte jede Gelegenheit nutzen, bevor morgen die Seele wieder aus mir weicht', dachte sie und nippte an dem süßen Getränk.

„Ich wollte dich nicht allein lassen."

„Das hast du aber schön gesagt Amra", erwiderte Elena in großmütterlichem Ton.

„Wenn du mir jetzt in die Backe kneifst, werde ich dich vom Dach werfen."

Die Furie begann zu lachen, ihre warme Stimme erfüllte die duftende Nachtluft. „Du weißt, dass du damit nichts erreichen würdest."

„Ja, aber es wäre mir eine Genugtuung", erwiderte Aleria und lächelte diabolisch.

Doch tief in ihrem Innern wusste Aleria, dass sie es dennoch nicht tun könnte. Konnten sie als Halbdämonen auch nicht sterben, sie fühlten dennoch Schmerz. Aleria würde ihrer Schwester nicht mehr zumuten, als sie als Lilim ohnehin empfand.

'Elena besonders', dachte sie betrübt. Zu wissen, was die Menschen um einen herum in den Tod treiben würde, war sehr belastend.

„Wann lernen wir ihn eigentlich kennen?", durchbrach Elena die Stille.

„Wen?"

„Den Priester natürlich, Luan Cattaneo." Etwas verkrampfte sich in Aleria und aufgrund des bohrenden Gefühls hinter ihrem Brustbein, musste es wohl ihr Herz sein. Sie war so verwirrt wie seit etlichen Jahrzehnten nicht mehr. Vor einem Monat war das Leben noch in Ordnung gewesen, normal eben. Aber jetzt wusste Aleria nicht mehr, wer sie eigentlich war und was sie wollte.

„Ihr habt hoffentlich noch nicht gebohrt, oder? Du und Sara?"

Betroffen erwiderte Elena ihren Blick und schüttelte feierlich den Kopf. „Natürlich nicht, wir haben es dir doch versprochen."

„Gut." Aleria drehte das leere Glas zwischen ihren Fingern. „Ich werde ihn fragen ob er sich traut, euch gegenüber zu treten."

Ein Kissen traf sie am Kopf und Elena funkelte sie böse an. „Wie würde es dir gefallen, wenn wir drei ständig Horrorgeschichten über dich erzählen würden?"

„Könnt ihr nicht, weil es von mir keine gibt."

„Pf... Aber nur, weil du schon immer eine furchtbare Langweilerin warst", murrte Elena und zog einen Schmollmund. Aleria konnte nicht anders und lächelte sie an. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag wieder und sie konnte sich erneut entspannen. Warum nur fühlte sie sich wie ein Stück Glas unter Spannung, wenn sie an Luan dachte? Als könnte bereits die Berührung einer Feder sie in Stücke zerspringen lassen.

'Hüte dich vor den Engeln', murmelte es in ihren Gedanken. Aleria atmete tief durch, legte sich auf den Rücken und betrachtete die Sterne.

'Wenigstens sie haben sich seit der Entstehung der Welt nicht verändert.' Schon seit Anbeginn der Zeit sah sie dieselben funkelnden Punkte, wenn sie nachts den Kopf in den Nacken legte. Der Gedanke beruhigte sie, dass dies auch in zehntausend Jahren noch so sein würde.

Aleria  ~ Liliths Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt