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Ich schlage meine Augen auf und gähne lautlos. Stirnrunzelnd realisiere ich, dass ich mich noch immer in Erens Bett befinde. Er hat den Rücken zu mir gedreht und seine Decke, die wir uns beim Einschlafen noch geteilt haben, für sich beansprucht. Ein weiteres Mal gähne ich und strecke mich leicht. Eine Straßenlaterne von  draußen leuchtet das Zimmer beinahe komplett aus, weswegen ich mich vorsichtig aus dem Stockbett begeben kann. Ich hocke mich hin und taste meine Jacke, die ich am Vortag gedankenlos über meine Tasche geschmissen habe, nach meinem Handy ab. Sobald ich es habe blicke ich auf den grellen Display, der mir die Uhrzeit verrät. 5:45Uhr, Freitag, 25. Januar. Oh man. Das ich hier schlafe, war eigentlich nicht geplant. Eren hat mich überredet. Während der Schulzeit nicht meine morgendliche Routine ausüben zu können ist neu für mich. Ich würde gerne sagen können, es würde mir nichts ausmachen, aber ich habe wirklich damit zu kämpfen. Vorallem, weil ich weder weiß wo ich mich duschen und wo ich zur Toilette gehen kann. Etwas genervt setzte ich mich auf das untere Bett und schließe meine Augen. Ich bin wirklich wie ein alter Mann. Als könnte ich mit ein bisschen Veränderung nicht klar kommen. Ist doch nur für jetzt. Im nächsten Moment schreit mein Handywecker, den ich ganz verdrängt habe. Erschroken lasse ich das Gerät fallen, was nun vermutlich einen jeden in diesem Gebäude geweckt haben wird. Schnell schalte ich den Lärm weg und stehe auf. Als ich aufblicke, schaue ich in zwei müde, grüne Augen. "Morgen ... ", murmmelt mein Freund und richtet sich auf. Auch er streckt sich wie ich zuvor und krabbelt aus dem Bett. Verschlafen kommt er mit seinen ausgestreckten Armen auf mich zu und umarmt mich fest. Obwohl ich ihn wirklich liebe, kann ich damit momentan gar nicht umgehen. Er ist mir zu nahe. Seine Umarmung fühlt sich an, als würde er mich zerdrücken wollen. Ich halte es gerade gar nicht aus. Ich muss hier weg. Mit einem Ruck stoße ich ihn von mir und schnappe mir im selben Moment meine Tasche. Eren ist so überrascht über meine Reaktion, dass er sich ganz leicht aus dem Weg schubsen lässt und dort wie angewurzelt stehen bleibt. "Levi?", kommt von ihm ganz verdutzt und leise. Ich achte nicht großartig darauf. Es ist, als würde mir die Decke auf den Kopf fallen. Mit schnellen Bewegungen habe ich meine Schuhe an und reiße die Türe nach draußen auf. "Lass mich nicht allein ... ", höre ich ganz klar von Eren, der gerade gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Mit den Worten "Ich brauche einen Moment für mich." lasse ich ihn zurück. Möglicherweise war das jetzt etwas harsch, aber ich bin ja gleich wieder zurück. Das Licht auf dem endlos langem Flur ist viel zu hell für eine so unchristliche Zeit. Hilflos trotte ich einige Minuten herum, bis ich endlich ein kleines Schild entdecke, das einen Eingang als WC deklariert. Erleichtert begebe ich mich in den Raum, der mich irgendwie an die Schultoiletten erinnert. Allerdings sind hier die Waschbecken mit einem druchgehenden Waschtisch verkleidet. Darauf stelle ich meine Tasche ab und durchforste sie nach einem Werbegeschenk, das mir vor ein paar Tagen jemand auf der Straße angedreht hat. Erleichtert finde ich die gut verpackte Zahnbürste mit der Kinderzahnpasta. Sie wird mir zwar viel zu süß sein, aber sie wird ihren Zweck erfüllen. Nachdem meine Zähne geputzt sind, richte ich mir meine Haare, indem ich meine Hände unter den aufgedrehten Wasserhahn halte und so über meinen Kopf fahre. Anschließend ziehe ich meine Kleidung etwas straff, sodass die schlimmsten Falten verschwinden und ich mich so beruhigt in die Schule begeben kann. Als ich mir meine Tasche zum Gehen umhänge, checke ich mich  noch einmal im Spiegel ab. Seufzend verlasse ich die Sanitäranlage und gehe wieder den Weg zurück, den ich gekommen bin. Dabei versinke ich in meine Gedanken und muss an gestern denken. Ich habe schon einmal mit jemandem geknutscht, aber dass das so heftige Reaktionen hervorrufen kann, wusste ich nicht. Was auch immer gestern Abend passiert ist - ich möchte es wiederholen. Womöglich habe ich mir das alles nur eingebildet. Es muss an Eren und an seinen Worten gelegen haben ... "Ich liebe dich." Soetwas in einer solchen Situation zu sagen ... das ist so klischeehaft und peinlich! Und das Schlimmste ist, ich habe mindestens genauso peinlich reagiert! Nein, nein, nein! Das war SO ... PEINLICH! Als ich bei Erens Tür ankomme, glühen meine Wangen und ich schüttle verzweifelt meinen Kopf, um meinen Scham loszuwerden und die Szene für jetzt zu vergessen. Ich schnappe einmal nach Luft bevor ich leicht grinsend das Zimmer betrete und mich für mein vorheriges Benehmen entschuldigen möchte. Doch ich komme nicht dazu, denn was ich vorfinde, ist nicht einfach nur Eren, der sich etwas sorgt oder was auch immer tut, was man hier tun kann, sondern einen Eren der total verheult in einer Ecke kauert und sich seine Ohren zuhält, während sein Wecker mit voller Lautstärke spielt. Dabei haucht er immer und immer wieder, kaum hörbar: "Hör auf, hör auf, hör auf." Ich schließe möglichst leise die Tür und schalte den Wecker ab, bevor ich mein Zeug irgendwohin schleudere, um mich gleich daraufhin vor Eren fallen zu lassen und ihm in seine Augen zu schauen, die halb offen und auf irgendetwas fixiert sind. Ich werde ihn kein weiteres Mal erschrecken.

Noch ehe er mich erblickt, fängt er ein Stück mehr zu weinen an und versucht sich weiter gegen die Wand zu drücken. Dabei tritt er mit seinen Füßen nach vorne und trifft mich, was unerwartet kommt und mich von einer knieenden in eine sitzende Position schubst. Eren öffnet überrascht seine Augen und sieht mich verängstigt an. "Le- ...vhi ...", schniefend kommt er auf mich zu und vergräbt sich in meine Schulter. Seine Hände decken noch immer seine Ohren zu und sein gesamter Leib zittert. "Mak, dass has aufhö-t!", schluchtzt er verzweifelt, ohne ruhiger zu werden. Ich bin mit dieser Situation total überfordert, obwohl ich doch damit gerechnet habe, dass eine solche Attacke jederzeit wieder auftreten kann. Vorsichtig lege ich meine Arme um ihn und drücke den angespannten Körper an mich. War ich das? Hat er zuvor nicht gesagt ich soll ihn nicht alleine lassen? "Es tut mir leid ... " flüstere ich, auch wenn er es nicht hören wird, "Es tut mir so unendlich leid ..." Nun füllen sich auch meine Augen mit Tränen, die meine Wangen hinunterlaufen. Ich spüre, wie Erens Tränenflüssigkeit und Rotz mein Hemd nässen, während der Raum mit Erens flehenden Lauten erfüllt wird.

Einige Zeit später, glücklicherweise hat sich der Braunhaarige wieder beruhigen können, sitzen wir nebeneinandner auf dem Boden, an das Bett gelehnt. Es wurde noch kein Wort gewechselt. Beide starren auf den Schrank, gegenüber von uns. Erens Hand, die meine schwach drückt, zittert noch ab und dann. Ich traue mich nicht ihn anzusehen oder zum Reden anzusetzten. Ich habe beschlossen, meinem Freund zu erzählen, was seine Kopfverletzung tatsächlich ausgelöst hat. Ich befeuchte meine Lippen, überlege noch, wie ich ein Gespräch dieses Ernstes beginnen soll, aber da kommt mir Eren zuvor: "Hast du es dieses Mal gehört, Levi?" Ich schüttle bloß langsam meinen Kopf und erkenne im Augenwinkel, das Eren bloß nickt. "Hab ich mir gedacht."-"Eren, ... diese Kopfverletzung ... " Ich drehe mich zu ihm und kann ihm so in die Augen schauen, "Ist dadurch entstanden, dass ich dich erschreckt habe und dir deshalb den Kopf gestoßen hast. ... Du hattest an diesem Tag doch genau dieselben Probleme, wie gerade eben, nicht?" Ich mache eine Pause, stelle sicher, dass er mir folgen kann. Er ist von meiner Beichte sichtlich überrascht, aber scheint es mir nicht übel zu nehmen. Viel mehr wartet er auf das, was ich als nächstets los werden möchte. "Eren .. Ich denke es wäre besser, wenn du dir professionelle Hilfe suchst." Mein Freund runzelt seine Stirn. Ich nehme beide seiner Hände in meine und sehe ihn eindringlich an: "Bitte geh zu einem Psychologen. Lass dir helfen. Das was du erlebst ist nicht normal ... und gefährlich!" Der Jüngere entzieht mir seine Finger, rückt beinahe schon geschockt, weg von mir und mustert mich ungläublich: "Was?" - "Ich bitte dich Eren. Ich weiß, es ist bis jetzt nur zweimal aufgetreten, aber selbst, bei dies-" - "Was sagst du da? Mir geht es gut." Nun bin ich der, der unverständlich meinen Patner anguckt. "Ere-" - "Mir geht es gut. Ich bin doch nicht verrückt! Wieso sagst du sowas?!" Der Braunhaarige hüpft auf und  stolpert ein paar Schritte zurück. Auch ich erhebe mich und versuche ihn zu beruhigen: "Ich sage doch nicht, dass du verrückt bist. Ich mache mir bloß Sorgen um dich. Du bekommst plötzlich Panikattacken und hast dich dabei schon einmal verletzt. Ich möchte nicht, dass dir das noch einmal passiert. Ein Psychologe ist nichts Schlimmes. Du kannst dir das dort doch mal nur anschaun und-" - "Ich brauche sowas nicht! Ich möchte nicht zu diesen gestörten Menschen! Ich bin rund um gesund. Zähl mich nicht zu diesen hirntoten Idioten! Sowas will ich nicht!" Ich starre ihn geschockt an. Was hat er denn gegen solche Menschen? Hirntot? Wieso ist er so voreingenommen? Woher kommt diese Abneigung? "Am Ende zählt man mich noch zu diesen Kranken, die mal bei so 'nem Seelenklemptner waren ... " Ich schaue ihn an. Hat er gerade ...? Es wirkt nicht so, als würde er seinen eigenen Worten glauben schenken, aber er hat es gesagt. Er hat soeben Menschen ohne jeglichen Grund beleidigt und verurteilt. Ungläubig starte ich einen letzten Versuch ihn zu einer Sitzung zu überreden: "Willst du mir sagen, dass das, was mit dir passiert normal ist?! " - "Ich bin nicht krank! Du warst doch derjenige, der mich alleine gelassen hat! Wenn du nicht so egozentrisch wärst, hätte ich dieses Problem gar nicht!" Geschockt reiße ich meine Augen auf, bevor ich meine Sachen schnappe und ihn im Vorbeigehen anremple. "Tut mir leid, dass ich mir Sorgen gemacht habe. Glücklicherweise entfernt sich das egozentrische Problem nun." Aufgebracht verlasse ich Eren. Er wirkt, als wüsste er, dass er etwas Falsches gesagt hat, aber das kann mir ja vollkommen egal sein. Sobald ich an der höchst verwirrten Aufsicht vorbei bin und das Gebäude verlasse, spüre ich einen leichten Stich in meinem Herzen. Wie kann man einer Person nur sowas an den Kopf werfen? Und seine idiotischen Aussagen sind auch total sinnbefreit. Was kann ich den dafür Hilfe gebraucht zu haben?

Wieso reagiere ich so empfindlich? Wusste ich nicht schon, dass er mit allen Mitteln versuchen wird eine Therapie zu vermeiden? Auf was bin ich eigentlich wütend: Die Tatsache, dass er mich anlügt oder dass er innerhalb dieser Lügen Menschen ... WiE MiCh ... wie die letzten Trottel dastehen lässt? Wieso schmerzt es so? Es gibt doch gar keinen Grund mich so schlecht zu fühlen - immerhin interessiere ich mich doch nur für mich selbst!

Gebraucht (Eren x Levi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt