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Der Regen tropft gegen die Fensterscheiben und findet bei einen kleinen Rinnsal hinunter zu der Fensterbank. Die Wolken sind tief und dunkel. Der Wind ist still. Es ist typisches Herbstwetter - nass und kalt. Betrübt schaue ich aus dem Fenster und blinzle ab und an mal eine Träne weg. Mikasa sitzt neben mir, hält meine Hand und streicht immer mal wieder über meinen Handrücken. Wenn es ihr etwas schlechter geht, versucht sie das mit Fürsorge zu kompensieren. Was für eine Ironie. Die Uhr über den Topfpflanzen tickt mir für heute viel zu laut. Ich blicke zu ihr auf, lese die Zeit ab und bemerke, dass Armin viel zu lange braucht, um sich fertig zu machen. Mikasa und ich haben beschlossen, bei Armin zu übernachten - unsere letzte gemeinsame Nacht. Ich stecke bereits in meinem schwarzen Anzug und das Mädchen in einem knielangen Kleid und einer schwarzen Strumpfhose. In einer dreiviertel Stunde beginnt die Beerdigung und wir haben noch einen langen Weg bis zur Kirche. Wo bleibst du Armin? Ich atme tief ein, bevor ich ruckartig aufstehe: "Ich sehe mal nach ihm." Mikassa nickt bloß, die Augen weiterhin auf den alten Holztisch gerichtet. Die Stufen knarrzen unter meinem Gewicht und lassen mich immer etwas zögern. Oben angekommen höre ich ein leises Schluchzen aus dem Bad und als ich die angelehnte Tür aufschubse sehe ich Armin, der weinend auf der Badewannekante sitzt. Seine zitternden Hände drücken eine ungebundene Krawatte, die ich an Armin noch nie gesehen habe. Ich gehe in die Hocke und nehme Armins Hände in meine. Er schreckt nicht zurück, aber schaut mich auch nicht an. Ich verziehe meinen Mund zu einem gequälten Lächeln und nehme ihm das Kleidungsstück aus der Hand. Anschließend lege ich dieses richtig um seinen Nacken und ziehe den Kragen zurecht. Armin lässt mich einfach machen und starrt immer noch auf den Boden. Erst als ich den Knoten gemacht und seinen Anzug zugeknöpft habe steht er ohne ein Wort auf und schaut sich im Spiegel an. Er zwingt sich dazu zu schmunzeln und lässt die Tränen sein Gesicht hinunterlaufen. Bevor er im schnellen Schritt das Badezimmer verlässt flüstert er ganz leise: "Das war seine Lieblingskrawatte." Ich brauche auch einen kurzen Moment, verstaue meine Hände in den Hosentaschen und begebe mich gleich darauf hinunter. Dort stehen Mikasa, die Armin beruhigend den Rücken streicht, und Armin bereit. Ich nicke und reiße die Haustüre auf, nehme mir einen Regenschirm und gehe hinaus. Die anderen folgen mir - Mikasa trägt den Schirm für unseren Freund und sich - und wir treten unseren Weg an. Wir befinden uns momentan am Rande einer großen Vorstadt. Die Kirche und der Friedhof sind dämlicherweise ein Stück entfernt. Dennoch sollten wir es rechtzeitig bis dahin schaffen.

Wir haben gerade unsere ersten Schritte gemacht, darauf bedacht in keine Pfütze zu treten, als ein Auto neben uns hält und das Fahrerfenster hinunter gelassen wird. "Soll ich euch mitnehmen?", fragt uns Erwin, der auch in einem Anzug und einer hübschen, schwarzen Fliege steckt. Verwundert sehe ich ihn an, aber kann keine Frage mehr stellen, da Armin bereits eingewilligt hat und bereits dabei ist einzusteigen. Nun sitzen wir zu dritt am Rücksitz und schweigen. Erwin mustert uns immer wieder mal durch den Rückspiegel. "Ich kannte Armins Großvater." Das war alles, was er zu uns zu sagen hatte. Als würde das diese seltsame Situation rechtfertigen. Ich seufze leise und blicke aus dem Fenster. Der Regen lässt langsam nach.

Während des Trauerzugs und der tatsächlichen Beerdigung hat sich mein blonder Freund wirklich gut geschlagen. Auch während des gemeinsamen Essens hat er nur ein paar Mal geschnieft. Nachdem die Hauptspeise abserviert und anschließend Kaffee und Kuchen verteilt wurde, ist die Menge an Menschen wieder etwas redseeliger geworden. Die schweren traurigen Gefühle schienen langsam zu verschwinden, wenn auch für einen Moment, und etwas Heiterkeit hat sich wieder eingefunden. Auch Mikasa und ich waren kurz in ein Gespräch verwickelt und so habe ich gar nicht bemerkt, dass Armin vom Tisch gegangen ist und nicht mehr bei uns gesäßen ist. Anfangs habe ich mir nichts dabei gedacht, allerdings war dann schon eine gewisse Zeit um und langsam aber sicher habe ich begonnen mir Sorgen zu machen. Zuerst huschte mein Blick nervös hin und her. Wo ist Armin? Meine Handflächen begannen nach und nach schwitziger zu werden. Ich habe mich noch gar nicht verabschiedet! Wo ist er?! Aus dem nichts habe ich begonnen den Atem anzuhalten, wenn er nicht schon sehr flach war. Armin? ... Armin! Jetzt komm doch wieder zurück! Meine Sitzhaltung war angespannt. Meine Unterarme habe ich auf die Tischplatte gedrückt, die Finger haben sich in meine Handfläche gegraben. Das Atmen f'llt mir schwer. Es kann doch nicht sein! Ich habe mich noch gar nicht verabschiedet! Komm zurück Armin! Ich muss noch 'Tschüss' sagen! Mein Kopf hat hin und her gewirbelt, hat den endlos langen Tisch von Trauergästen nach meinem Freund abgesucht. Aber ich habe es nicht geschaft konkret etwas wahrzunehmen. Ich habe mich nicht konzentrieren können. DIe Stimmen sind immer lauter geworden. Das Klackern von Tassen die in ihre Untertassen zurückgestellt werden. Die Schmerzen in der Brust, die vermutlich von meinem rasenden Herz ausgelöst werden. Das unerträgliche Klackern der Absätze von Schuhen und der permanente Geruch von Weihrauch in der Luft ist mir zu Kopf gestiegen. Ich habe begonnen zu weinen und zu hyperventilieren. Armin! Komm zurück! Das alles ist innerhalb von Sekunden passiert und als Mikasa gerade nachfragen wollte, was denn passiert sei, verkrampfe ich noch einmal ganz furchtbar, um gleich darauf aufzuspringen und total verotzt und mit verschwommener Sicht zum Ausgang zu rasen. Alles, was ich in diesem Moment wahr genommen habe war mir zu viel. Es war zu heiß, zu laut, zu stickig, zu klein, zu hell. Ich habe die Tränen an meinen Wangen gefühlt und das einzige was ich gedacht habe war: "Bitte komm zurück! Komm zurück! Geh nicht weg! Bleib da!" Es hat sich immer und immer wiederholt und das in so kurzer Zeit, dass ich gar nicht wirklich weiß, ob das tatsächlich so passiert ist. Ich war total aufgelöst und habe es nicht geschafft mit dem Wimmern aufzuhören, bis ich die Ausgangstür aufgerissen habe. Dort habe ich sowohl Armin als auch unseren Vertrauenslehrer erblickt. Meine Bewegung hat abrupt gestoppt und die Tränen versiegten auf einmal. Mein Kopf ist wieder klar geworden und mein Atem hat sich normalisiert.  Meine Knie sind weich geworden, aber haben nicht nachgegeben. Ich könnte schwören, ich hatte das Gefühl, jeden Moment umzukippen. Auch das ist alles von dem einen auf den anderen Augenblick passiert, als ich erkannt habe, dass Armin direkt vor mir gestanden ist. Der Ältere, mit dem sich mein Freund offenbar nur unterhalten hatte, hat mich angesehen, dann wieder seinen Gesprächspartner und hat sich anschließend verabschiedet. Der Blonde hat ihm kurz hinterher gesehen bevor er sich zu mir gewendet hat und meinte, dass ich blas aussehe. Ich habe nur genickt und konnte auch Mikasas Worten nicht viel Aufmerksamkeit schenken, als sie besorgt angelaufen gekommen ist. "Was war das eben? Geht es dir gut?", bin ich gefragt worden. Ich war noch ganz benommen und konnte mir selbst keine Antwort auf die frage geben. Noch bevor wir hinein gegangen sind, hat Armin die Situation ausgenützt und uns berichtet: "Ich bleibe hier. Es gibt eine Möglichkeit in der Stadt zu bleiben und mit euch gemeinsam in die Schule zu gehen!" Ich habe ihn mit meinen verheulten Augen angesehen und nur mehr ein "Das ist gut." heraus gebracht. Den restlichen Tag habe ich nichts mehr gesagt, was nicht großartig aufgefallen ist, weil Mikas und Armin sich nun prächtig über die weiteren gemeinsamen Pläne von uns dreien unterhalten konnten.

Wieso habe ich so überreagiert? Das war alles andere als rational von mir. Ich werde mich offensichtlich bessern müssen, was meine Empfindlichkeit angeht. Normalerweise bin ich sonst nicht so. Wie dem auch sei - Ich werde mich zügeln und meine Emotionsausbrüche besser kontrollieren.

Gebraucht (Eren x Levi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt