Kapitel 21

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„Die National Gallery?", überrascht sah ich ihn an, als wir vor dem großen Gebäude standen. Ich hätte ihm jegliche Art von Sport zugetraut, aber Kunst?
„So unvorstellbar?", fragte er lachend.
„Naja, ich hätte dich eher für den Sport-Typ gehalten.", antwortete ich ihm ehrlich. Sofort wurde mir bewusst, wie oberflächlich das war und wie große die Schublade, in den ich ihn damit gesteckt hatte.
„Wer sagt, dass ich nicht auch Sport mache?", mit einem schiefen Lächeln sah er mich an, als wir zum Eingang der National Gallery liefen.
„Lass mich raten, Tennis, Golf?", witzelte ich und erntete dafür ein belustigtes Kopfschütteln. „Yoga.", sagte er plötzlich ernst, woraufhin ich mich fast an meinem Wasser verschluckte. Nathan lachte, während ich fast an meinem Wasser erstickte.
„Nein.", sagte er schließlich, als ich mich wieder beruhigt hatte. „Ich mach seit ich 6 Jahre alt bin Krav Maga.", sagte er lässig und hielt mir die Eingangstür auf.
Woraufhin ich mich erneut an meinem Wasser verschluckte. Diesmal konnte ich dem Wasser aber gerade so den richtigen Weg weisen und hatte nicht das Gefühl, zu ersticken.
„Wieso Krav Maga?", wollte ich wissend, während er hinter mir durch die Tür lief und wieder an meiner Seite auftauchte.
Er zuckte mit den Schultern.
„Meine Eltern meinten, ich hatte als Kind viel Energie und Krav Maga schult die Sinne sehr gut. Irgendwann, habe ich es dann tatsächlich gerne gemacht. Mittlerweile trainiere ich fast täglich.", er zwinkerte mir zu und plötzlich hatte ich das Gefühl, niemand auf der Welt könnte mir schaden zufügen, wenn er bei mir war.... Wie auch. Er würde sicher alle mit einem Augenzwinkern ins Nirwana befördern. Welch ein Glück.
„Unterrichtest du auch?", fragte ich und stellte erst danach fest, welchen Hintergedanken diese Frage implizierte. Als er seine Augenbrauen hochzog und mich fragend ansah, wedelte ich mit den Händen. „Nein! Ich meine nicht... also...", versuchte ich mich zu erklären. Er lachte kurz.
„Ja. Ich unterrichte neben meinem Studium Kinder in Krav Maga und verdiene mir somit ein bisschen was dazu.", sagte er. „Aber wenn du willst, bringe ich es dir auch gerne bei.", fügte er belustigt hinzu.
„Haha.", antwortete ich.
Wir standen an der Kasse und Nathan kaufte zwei Eintrittskarten.
„Auf der rechten Seite finden sie die älteren Werke. Auf der linken Seite die jüngeren. Auch kleinere Künstler sind dabei. Viel Spaß.", sagte die nette Frau an der Kasse und schenkte uns ein freundliches Lächeln, bevor wir uns umdrehten und in den linken Gang einbogen.
Ein schier endloser Gang offenbarte sich uns, in welchem rechts und links an den Wänden die unterschiedlichsten Bilder hingen.
Von Landschaftsbildern, über Gemälde bis hin zu abstrakter Kunst. Es war es buntes Durcheinander aus allen möglich Stilrichtungen.
Manche Bilder waren bunt, andere schwarz weiß. Große, kleine, in goldene Rahmen gefasst oder ungerahmt. Ich bewunderte jedes einzelne und fühlte mich wie in einer anderen Welt.
Ein Bild faszinierte mich besonders. Es war ein abstraktes Gemälde einer Frau in den verschiedensten Grüntönen, welches in einen silber-glänzenden Rahmen gefasst war. Mein Augen flogen über jeden Zentimeter des Bildes und blieben bei ihren tiefen dunkelgrünen Augen hängen.
„Sie sieht traurig aus.", sagte ich leise, als ich Nathan hinter mir wahrnahm.
„Findest du? Ich finde eher, sie ist auf der Hut. Als wäre sie auf alle Eventualitäten vorbereitet." Ich legte meinen Kopf schief und suchte nach der Vorsicht in ihren Augen. „Hmm...", sagte ich. „Vielleicht ein bisschen. Ihre Augen sind sehr aussagekräftig.", fuhr ich fort. „Ihr Blick ist schwer zu deuten..."
„Und doch, war Trauer das erste was du gesehen hast.", er war nah an mich heran getreten und ich konnte seinen Atem in meinem Nacken spüren. Er sprach leise und seine Stimme lies einen kalten Schauer über meinen Rücken rieseln.
„Ich...", eigentlich hatte ich vor, mich zu erklären, doch seine Nähe raubte mir meinen klaren Verstand. Er lächelte und seufzte kurz, dann wandte er sich wieder ab und ging zum nächsten Bild.
Ich schüttelte kurz den Kopf und versuchte meine Gedanken wieder zu sortieren, dann folgte ich ihm.

Der Gang war fast zu Ende, als ich ein Bild sah, welches mir jegliche Farbe aus dem Gesicht trieb.
Es war eine Landschaft. Schottland? Es sah ähnlich aus wie Neist Point auf der Isle of Skye. Im Hintergrund sah man vereinzelte Klippen, doch der Blickfang war das endlos Meer, auf welchem ein kleines Boot trieb.
Ein tiefes Gefühl der Verbundenheit breitete sich in mir aus und ich war mir sicher, dass Bild schon einmal gesehen zu haben. Mit großen Augen starrte ich es an und wie in Trance, hob ich meine Hand um es zu berühren.

„Nein.", hörte ich eine Frauenstimme lachend sagen. „Ich muss das Bild heute noch fertig malen."
Ein Mann umarmte eine Frau von hinten, welche mit einem Pinsel in der Hand und einem weißen Kittel vor einer großen Staffelei, auf welcher eine Leinwand stand.
„Willst du nicht mit raus kommen?", sagte er bittend und küsste ihren Hals. „Clara ruft schon nach dir, hörst du?", sie lächelte und eine hohe Stimme drang an mein Ohr.
„Mama, Mama schau! Eine Möwe sitzt auf meiner Sandburg."
Die Frau lachte und legte ihren Pinsel auf der Ablage der Staffelei ab.
Der Mann lächelte sie liebevoll an und Hand in Hand liefen sie aus dem Haus...

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