Kapitel 22

13 1 0
                                    

„Clara! Hey, rede mit mir.", eine tiefe Stimme drang wie durch Watte an mein Ohr und eine Hand fuhr sanft über meine Wange.
Meine Augenlider flatterten und langsam öffnete ich die Augen.
Nathan hatte sich über mich gebeugt und hielt mich im Arm.
„Was...", begann ich.
„Du bist plötzlich ohnmächtig geworden. Ein Glück stand ich fast neben dir und hab dich aufgefangen.", sagte er leise. Dann schmunzelte er leicht. „Wie eine schlafende Prinzessin bist du mir in die Arme gefallen."
„Das... tut mir leid...", sagte ich peinlich berührt und versuchte mich aufzurichten. Nathan half mir und reichte mir eine Flasche Wasser. „Hier, trink." Sorge lag in seinen Augen. Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand und trank. Als ich sie ihm wiedergab, sah er mich fragend an. „Gehts dir besser?"
Ich nickte.
„Glaubst du, du kannst aufstehen?", fragte er.
„Ja.", antwortete ich kurz und Nathan half mir wieder auf die Beine.
„Hast du sowas öfter?", wollte er wissen. Und in dem Moment weiteten sich meine Augen und die Erkenntnis schoss durch meinen Kopf. Ruckartig drehte ich mich zu dem Bild, was ich als letztes betrachtet und berührt hatte. Die Erinnerung von der Frau an der Staffelei flammte wieder auf und ich suchte nach dem Namen des Künstlers.
„Clara?", hörte ich Nathan's Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah in seine wunderschönen Augen. „Alles ok?", er sah mich abwartend an.
„Ja! Also nein. Könntest du mir vielleicht noch eine Flasche Wasser holen?", bat ich ihn. So hatte ich ein paar Minuten allein. „Klar.", sagte er. Seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen, doch er lief ohne eine weitere Frage los zum Getränkeautomaten.
Als er aus meinem Blickfeld verschwunden war, drehte ich mich sofort wieder zu dem Bild und suchte nach dem Namen.
Jane Levinston.
Jane... Levinston.... Ist das?...
Tränen traten in meine Augen und mein Herz begann zu rasen. Ich wollte es nochmal anfassen, doch im letzten Moment, siegte die Vernunft. Ich konnte es mir nicht leisen, nochmal ohnmächtig zu werden. Schnell zog ich mein Handy aus der Tasche und machte ein Foto von dem Gemälde.
Nathan tauchte wieder in meinem Blickfeld auf und ich versuchte mich in einem Lächeln. Er zog die Augenbrauen leicht zusammen, was bewies, dass mein Versuch wohl gescheitert war. Wortlos reichte er mir die Wasserflasche.
„Danke.", sagte ich und nahm sie entgegen. So langsam wie möglich, trank ich die Wasserflasche aus, um Zeit zu gewinnen für die Erklärung, welche er wohl zeitnah einfordern würde.
Er richtete seinen Blick kurz auf das Bild meiner Mutter. Für einen kurzen Moment, sah ich ein Funkeln in seinen Augen, welches so schnell wieder verschwunden war, dass ich glaubte, mich zu täuschen.
„Geht es dir besser?", fragte er leise und schaute mich mit seinem intensiven Blick an. Ich nickte kurz.
„Ja. Ich habe wohl einfach zu wenig getrunken heute.", log ich. Er schien mir meine Lüge abzukaufen, denn er stellte keine Gegenfrage.
„Wollen wir noch in den anderen Gang?", fragte er und lächelte freundlich. Ich sah ihn kurz verwirrt an, nickte dann aber. Er griff nach meiner Hand und gemeinsam liefen wir durch den langen Gang zurück zum Eingang. Ich warf noch einen kurzen Blick über die Schulter zurück zu dem Bilder meiner Mutter, ehe es aus meinem Sichtfeld verschwand und wir in dem anderen Gang verschwanden.
So schön jedes einzelne Bild war, meine Gedanken kreisten um das Bild meiner Mutter.
Wieso hing ein Bild meiner Mutter in dieser Galerie? Und wo kamen die Bilder wieder her?
Die Fragen lenkten mich ab und ich bemerkt nicht, wie Nathan sich näherte. Ich zuckte zusammen, als er meinen Arm berührte. „Hast du Hunger?" Mit einem freundlichen Lächeln sah er mich an. Und wie auf Kommando knurrt mein Magen. Ich lachte. „Ja."
„Na dann. Ich weiß auch schon, wo wir hinfahren", mit einem schiefen Lächeln sah er mich an. Er winkelte seinen Arm an und hielt ihn mir entgegen. „Ich hoffe, du hast etwas Zeit?" Ich hakte mich bei ihm unter und sah ihn fragend an.
„Es ist ein Stück.", antwortete er. Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich hab Zeit." Mit einem strahlenden Lächeln sah ich ihn an und wir verließen die Galerie.

Eine reichliche Stunde später parkten wir an einem kleinen Restaurant, direkt am Strand von Canvey Island. Der Strand war fast weiß und das Meer meterweit vereist.
Nathan hielt mir die Tür auf. „Und?", fragte er. „Zu viel versprochen?"
Ich war so fasziniert, von diesem wunderschönen Ausblick, dass ich kein Wort heraus brachte und lediglich mit dem Kopf schüttelte. Er nahm meine Hand und führt mich in der kleine Haus. Wir liefen eine kleine Treppe nach oben und traten auf eine verglaste Terrasse. Die Sicht auf das schneeweiße, stille Meer war von hier oben noch viel schöner.
Verwundert sah ich mich um. Außer uns, saßen nur 2 Männer in einer Ecke und unterhielten sich angeregt. Als sie uns bemerkten, stockten sie kurz und musterten mich von oben bis unten. Einer der beiden erhob sich schließlich und kam mit einem Lächeln auf uns zu.
„Guten Tag.", sagte er freundlich.
„Hallo.", antwortete Nathan ohne den Mann aus den Augen zu lassen. „An der Tür stand, dass sie geöffnet haben."
„Ja. Natürlich. Suchen sie sich gerne einen Tisch aus. Ich komme sofort.", entgegnete er und fixierte Nathan ebenfalls. Dann wand er sich ab, lief an uns vorbei und verließ den Raum.
„Also?" Mit einer einladenden Handbewegung zeigt Nathan auf die freien Tische. „Wo möchtest du sitzen?", er lächelte mich wieder mit diesem schiefen Lächeln an, welches plötzlich meine Knie in Watte verwandelte. Schnell lief ich auf einen Tisch in der Ecke und setzte mich. Ein zweites Mal würde ich sicher nicht vor ihm umkippen.
Er folgte mir mit einem leichten Lächeln.
Mit einer fließenden Bewegung, ließ er sich auf dem Stuhl gegenüber des kleinen Tisches sinken und blickte auf das Meer hinaus. Seine Augen waren verträumt, aber gleichzeitig wachsam. Seine Lippen zu einem zarten Lächeln verzogen und seine Haare standen ihm wild vom Kopf ab. Ich musterte jeden Zentimeter seines Gesichts und realisierte leider zu spät, dass ich ihn angestarrt hatte. Er drehte seine Kopf und sah mich belustigt an. Langsam stützte er sein Kinn auf eine Hand und winkelte den anderen Arm an.
„Ja?", sagte er und fixierte mich mit seinen Augen. Das erste Mal an diesem Tag, blieb mir bei seinem Anblick fast das Herz stehen. Ich räusperte mich kurz und blickte auf meine Hände, bevor ich den Kopf wieder hob und ihm wieder in seine wunderschönen Augen sah.
„Alles gut.", versicherte ich ihm. „Erzähl mir etwas von dir.", versuchte ich von dieser peinlichen Situation abzulenken.
Er lachte kurz, dann nickte er. „Na gut. Was willst du wissen?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Alles?"
„Das wird dauern.", witzelte er.
„Wir haben ja Zeit, oder nicht?", nun lächelte ich ihn mit einem schiefen Lächeln an und wartete auf seine Geschichte.
„Also ich wurde am 13.Juli 1998 geboren...", begann er.
„Haha, sehr witzig.", unterbrach ich ihn und schaute ihn belustigt an. Er lachte ebenfalls. Ich entschied, ihm einige Fragen zu stellen, da ich befürchtete, sonst nichts aus ihm herauszubekommen.
„Wieso bist du aus New York wieder hier gezogen?", wollte ich wissen.
„Naja. Meine Eltern sind hier aufgewachsen und ich war noch sehr klein, als wir nach New York gezogen sind. Irgendwann hatte ich den Wunsch, wieder hier herzuziehen. Die Menschen und das Land kennenzulernen, wo ich geboren wurde.", erzählte er. Ich nickte.
„Und wieso seid ihr denn überhaupt auf das andere Ende der Welt gezogen?", fragte ich. Bevor er antworten konnte, kam der Mann, welcher uns begrüßt hatte, wieder.
„Was wollt ihr trinken?", fragte er und sah uns abwechselnd an.
„Ein Wasser, bitte.", sagte ich.
„Das gleiche.", sagte Nathan und sein Kiefer spannte sich an, als er dem Mann wieder in sein Gesicht blickte.
Der Mann nickte kurz, verschwand und tauchte 2 Minuten später mit unseren Getränken auf.
„Wollte ihr etwas essen?", fragte er schließlich.  Nathan sah mich an und wartete, bis ich dem Mann meinen Speisewunsch mitgeteilt hatte.
„Ich hätte bitte gerne die Gemüsepfanne mit Reis.", ich schenkte dem Mann ein freundliches Lächeln. Der Mann nickte und notierte sich meine Wahl auf seinem kleinen Zettel. Dann sah er Nathan an.
„Ich nehme das Rumpsteak mit Ofenkartoffeln, danke."
Der Mann nickte kurz und verließ den Raum wieder. Nathan richtete seinen Blick wieder auf mich.
„Also... wieso meine Eltern nach New York gezogen sind, wolltest du wissen, richtig?", er schenkte mir ein freundliches Lächeln und ich nickte.
„Mein Vater hat ein Jobangebot bekommen, welches er nicht ausschlagen konnte. Mittlerweile, leitet er die Firma, in welcher er damals angefangen hat. Meine Mutter arbeitete damals schon als seine Sekretärin, also hatte sie kein Problem mit dem Umzug, da ihr ihr Job sicher war. Ich war noch ein Baby, mich hat also niemand gefragt.", witzelte er. Ich musste lachen. „Und als ich dann 18 war, wollte ich nach Schottland zurück. Die Uni in Edinburgh hat mich angenommen, also bin ich gegangen."
„Und was studierst du in Edinburgh?" Ich trank einen Schluck von meinem Wasser und folgte seinen Erzählungen.
„Politikwissenschaften.", antwortete er.
„Oh wow. Du willst in die Politik, dass ist beeindruckend." Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an.
„Naja. Beeindruckend sind Ärzte sie Leben retten.", er wand seinen Blick kurz zum Meer.
„Du rettest ebenfalls Leben, wenn du für eine gute Politik kämpfst.", antwortete ich ihm. Wenn man sich die Politiker von heute ansah, konnte es nur besser werden. Nathan lachte leise. „Du scheinst eine klare Meinung zur Politik zu haben.", auffordernd sah er mich an.
„Indirekt. Ich glaube, dass vieles anders laufen würde, wenn man einige Dinge besser durchdenkt, bevor man sie festlegt.", ich zuckte unschuldig mit den Schultern.
„Aha. Und wie?", fragt er.
„Zum Beispiel, das Schulsystem. Viele Schulen haben immer noch festgelegt Schulkleidung. Man gibt den Kindern nicht die Chance, sich selbst auszuprobieren. Ihren eigenen Stil zu finden, das wird ihnen damit verwehrt. Alle sehen gleich aus, niemand kann äußerlich wirklich authentisch sein."
Nathan nickte kurz. „Aber es ist auch niemand weniger wert, da alle die gleiche Kleidung tragen.", sagte er.
„Das mag sein, aber so wird den Kinder nicht beigebracht, dass man gut so ist wie man ist, egal was man trägt."
„Aber in ihrer Freizeit können sie tragen, was sie möchten.", entgegnete er.
„Ja, aber da ist meist niemand da, der ihnen erklärt, dass auch wenn die Hose der anderen keine 300€ gekostet hat, sie als Mensch genauso viel wert sind.", antwortet ich selbstsicher. In dieser Sache war meine Meinung schon immer sehr klar. Ich hatte die Schuluniform immer gehasst und hatte sie direkt an dem Tag meines Abschlusses in einer Tonne verbrannt und einen Freudentanz darum hingelegt. Ich hasste die Uniform und die Leute auf der gehobenen Privatschule, die ich besucht hatte.
Doch ich bemerkte, dass Nathan nicht ganz meiner Meinung war und ich wusste, dass man über dieses Thema wirklich lange diskutieren konnte. Die Pro - und Contraliste war recht ausgeglichen.
Ich wollte das Thema wechseln und ihm eine weitere Frage stellen, doch er war schneller.
„Wieso bist du denn aus Edinburgh weggezogen?", abwartend sah er mich an.
„Hmm... das ist eine längere Geschichte...", ich ließ den Kopf hängen und richtete meinen Blick auf meine Hände, welche zusammengefaltet auf dem Tisch lagen.
Nathan legte eine Hand auf meine und schenkte mir erneut sein umwerfendes, schiefes Lächeln.
„Wir haben ja Zeit, oder nicht?"...

Im Schatten meiner Erinnerung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt