16: Unausgesprochener Kummer

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Oder: Wie man seine Freistunde am besten verbringt

Ich rannte los, konnte den Weg durch meine aufsteigenden Tränen nicht richtig erkennen. Das konnte doch nicht sein, das- „Vorsicht!"
Zu spät, ich stieß mit jemandem zusammen und hielt gerade noch mein Gleichgewicht. Überrascht erkannte ich Delia Aliston.
„Oh, sorry, ich wollte nicht-", ich stoppte in meiner viel zu leisen Erklärung und streckte ihr meinen Arm hin, weil sie im Gegensatz zu mir samt des Buches, das sie in den Händen gehalten hatte, auf dem Boden gelandet war. Warum machte ich das? Ich war wohl in Gedanken immer noch bei dem Ereignis eben.

Dankend kam Aliston mit meiner Hilfe wieder zum Stehen und sah mich besorgt an. „Ähm, ist alles in Ordnung?"
Zuerst verstand ich ihre Frage nicht, bemerkte dann aber etwas Nasses, das mir über die Wangen lief. Kaum hatte ich es festgestellt, wurden es nur noch mehr Tränen.

„Hey, was ist denn los? Komm, setz dich", sie griff nach meiner rechten Hand und zog mich mit sich an die Wand, wo ich mich dann neben sie auf den kalten Boden begab und meine Tränen weniger wurden, während sie beruhigend auf mich einredete. Ich war überrascht, wie gut sie mich so trösten konnte. Das kannte ich sonst nur von zwei anderen Personen, die mich wesentlich besser kannten.

Ich wischte mir die restliche Flüssigkeit von meinem Gesicht und rückte leicht zur Seite, da sie ihre Hand auf meinen Oberarm gelegt hatte und mir insgesamt einfach zu nah war. Sie schien es auch zu merken und entfernte sich etwas.

„Willst du darüber reden?", fragte sie schließlich. Wollte ich? Ich wollte mit irgendjemandem reden und Blaise bot sich als Dracos bester Freund nicht gerade dafür an.
Aber andererseits war sie weder meine Freundin noch ein Reinblut und außerdem kannte ich sie nicht wirklich. Klar, wir schliefen in einem Schlafsaal und saßen auch in vielen Fächern nebeneinander, aber die Zimmergenossen konnte man sich ja nicht aussuchen und Letzteres war auch erst so, seitdem Pansy und ich es nicht mehr taten. Ich verbrachte meine Freizeit eher mit den Jungs.

„Nein, Aliston. Das will ich nicht", flüsterte ich. Ich vertraute ihr einfach nicht. Dass sie mich so sah, war schon genug, ich konnte einem Halbblut doch nicht mein Herz ausschütten!
„Okay. Soll ich trotzdem bei dir bleiben?", fragte sie sanft. Ich war überrascht, dass sie so verständnisvoll reagierte und drehte meinen Kopf zu ihr.
„Ich kann auch gehen, wenn dir das lieber ist. Ich dachte nur, du möchtest vielleicht nicht alleine sein."

Als ich sie immer noch regungslos ansah, stand sie auf. Ich richtete meinen Blick auf die gegenüberliegende Steinwand und hörte, dass sie sich in Bewegung setzte. Als ihre Schritte immer leiser wurden, gab ich mir doch einen Ruck und rief: „Warte!"

Mit einem Hauch von Erleichterung sah ich, dass sie sich umdrehte und wieder zurückkam. Auch wenn sie ein Halbblut war, hatte sie Recht. Ich wollte jetzt nicht alleine sein. Es hätte sich irgendwer zu mir setzen können und sie bot es ja an. Ich wollte nicht, dass noch jemand mein Leid erblickte. Mehr nicht. „Du kannst ruhig hier bleiben."

Lange saßen wir nebeneinander in diesem Gang, größtenteils schweigend. Wenn ein Wort fiel, kam es aus ihrem Mund, um mich zu beruhigen. Denn auch wenn ich nicht darüber reden wollte, kreisten meine Gedanken um diese Besenkammer und ließen anfangs ab und zu ein paar Tränen über meine Wangen laufen. Ich war traurig, verletzt. Ich hatte mir Hoffnungen gemacht, mir Szenarien ausgemalt, wie es wäre, wenn wir nicht nur Freunde wären. Auch wenn ich nicht gewusst hatte, wie er empfand, ich hatte es gehofft.

„Komm mit", meinte Aliston irgendwann, nahm ihr Buch und stand auf.
„Wohin?", wollte ich wissen und begab mich ebenfalls auf meine Beine.
„Zum Mittagessen."
Also liefen wir los und ließen einen Korridor nach dem Anderen hinter uns. Plötzlich blieb sie stehen und griff nach meiner Hand, um mich am Weitergehen zu hindern. „Warte, erst hierhin."
Sie zog mich zu einer Tür und öffnete diese. Zum Vorschein kam das Bad für Hexen dieses Stockwerkes.
„Ich dachte, dass du wahrscheinlich nicht willst, dass jeder sieht, dass du geweint hast", erklärte sie. Als ich mein Spiegelbild erblickte, musste ich ihr schon wieder Recht geben. So wollte ich nicht zu den Anderen gehen.

Nach ein paar Minuten sah ich wieder ganz passabel aus und machte mich nach einem dankenden Blick wieder mit Aliston auf den Weg zur Großen Halle. Als gerade niemand in der Nähe war, hielt ich sie aber nochmal zurück. „Wir sollten nicht zusammen reingehen."
Sie war nun mal ein Halbblut und ich würde meine freie Zeit nicht nochmal mit ihr verbringen, deswegen sollte uns niemand sehen.

Aliston willigte ein und meinte, dass sie sowieso vor dem Essen in den Gemeinschaftsraum gehen wollte. Sie machte sich auf den Weg in die Kerker und auch ich ging weiter, bis ich beim Durchschreiten der großen Tür fast in Draco und Blaise reingelaufen wäre.
„Hey, da bist du ja", begrüßte Blaise mich. Ich wunderte mich etwas über die Aussage, aber schaffte es, lächelnd zu erwidern: „Habt mich wohl vermisst."
Dracos Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten.

Langsam liefen wir auf den Slytherin-Tisch zu und als wir uns gesetzt hatten, musste ich es einfach fragen, weil mich gerade eine der beiden Antworten brennend interessierte. Ob sie schmerzen würde oder nicht. "Wo wart ihr denn eigentlich?" Die Reaktion irritierte mich jedoch. "Wo warst du?"

Zwillingsdrama | Draco Malfoy FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt