Aber der Schein trügt. Selbst nach einer halben Stunde brummt der Motor noch entspannt vor sich hin. Dameon kniet vor Simon, spricht mit ihm damit er um jeden Fall wach bleibt, und bindet ein Stück eines Umhangs um seinen Knöchel, den er im Van gefunden hat. Wirklich sauber sieht er nicht aus aber alles ist besser als Simon weiter bluten zu lassen. Aber der Schmerz ist noch immer groß, das sehe ich seiner angespannten Mine an.
"Ist das zu fest?"
Fragt der kleinere von beiden leise und lässt von dem sperrlich professionellen Verband ab. Simon zuckt lediglich die Schultern.
"Spricht mit mir."
Hakt er nach und rückt Simons Beine zurecht, damit er nicht die ganze Zeit auf der Bank hängt wie ein nasser Sack.
"Weiß nicht. Adrenalin-Taubheit?"
Presst er mühevoll hervor. Dass es den Schmerz betäubt ist eigentlich gut aber nach all der Zeit noch immer? Ich bin nicht in der Position mich zu beschweren und wünsche ihm in dem Moment so wenig Leid wie möglich aber das kann nur bedeuten, dass es den Knöchel hart erwischt hat.
"Wenn sich die ganze Sache entzündet, haben wir ein Problem."
Füge ich hinzu.
"Und außerdem hält der Schockzustand nicht so lange an. Das ist nicht das Adrenalin. Ich schätze der Knochen ist zerschmettert."
"Das Weib kann definitiv zielen."
Murmelt Simon, weniger am Gespräch beteiligt, eher zu sich selbst. Wo er recht hat.Laut quietschen die Räder des Wagens, als wir zu einem aprupten Stopp kommen. Dameon, der ja noch vor meinem Kumpel sitzt, wird durch die plötzliche Kraft gegen die Wand geschleudert, fängt sich aber noch knapp. Der Knall animiert Simon, die Augen wieder ein bisschen zu öffnen. Ich denke nicht dass der Blutverlust akut ist doch wäre auch mir das Risiko zu groß, wenn er jetzt einschläft oder das Bewusstsein verliert.
"Alles gut."
Knurrt Dameon leicht genervt von dem Schlag, bleibt aber einfach sitzen. Unter mildernden Umständen würde mich das Schauspiel zum schmunzeln bringen. Doch auch meine Gedanken sind nicht wirklich bei der Sache, denn eine Frage brennt mir auf der Zunge wie Feuer. Wer oder was ist Assanon? Wir müssen den Leuten da draußen den Anschein vermitteln, wir wurden von ihm geschickt. Dabei kann der kleinste Fehler fatale Auswirkungen haben. Wenn wir nun aber absolut keine Ahnung von irgendwas dahingehend haben, wäre es ein Wunder, wenn keiner Verdacht schöpft. Zögerlich dreht Simon den Kopf zur Seite und sieht nun direkt in meine Augen. Dunkle Ringe prangen unter seinen, auch seine Lippen sind ein wenig blau. Ich schlucke hart.
"Denkt ihr, dass sie uns töten?"
Die Frage verpasst mir einen schmerzhaften Druck auf der Brust. Hat er die Hoffnung verloren? Ist das Licht am Ende des Tunnels endgültig erloschen? Oder nur für den Moment? Mich belastet weniger die Frage perse, sondern die Tatsache, dass meine Antwort wahrscheinlich 'ja' wäre. Wir sind kaum aus der Fabrik gekommen, da haben wir ein Viertel unserer Leute verloren, die über die Monate zu unserer Familie geworden sind. Wir haben kaum einem Fuß aus dem Bunker gesetzt, schon wurden ein paar erschossen und gefangen genommen, die über die Zeit zu Dameons Familie geworden sind. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch unser letzter Faden reißt, der seit Beginn des Attentats unser Glück mit allen Lasten balanciert."Es tut mir-"
"Es tut mir leid..."
Ich setze diesen Satz zeitgleich mit Dameon an, doch nur er bringt ihn zu Ende. Wofür wollte ich mich entschuldigen? Den Schmerz und das Leid der Tage, die wir zusammen gelacht und geweint haben? Für die Zeit davor oder danach? Für Simons Verletzung, Dameons Verluste oder meine Trauer? Ich weiß es nicht, alles erscheint mir als wäre es meine Schuld, doch nichts kann ich wirklich verantworten. Aber auch Dameon spürt Schuld auf seinen Schultern lasten. Simon und ich sehen zu ihm doch sein Blick geht lediglich ins Leere.
"Zu diesem Vergnügungspark zu gehen war meine Idee."
Flüstert er.
"Ich wollte so gern nochmal irgendeine letzte gute Erinnerung schaffen, dass ich überhaupt nicht darüber nachgedacht habe, wie hoch die Chancen dafür stehen, uns alle damit zu Märtyrern zu machen. Denn kalkuliert hätte es wirklich nur schief gehen können. Das Riesenrad, die Achterbahnen, die Musik und Lichter. Aber genauso wusste ich, dass wir nach unserem Aufbruch wahrscheinlich nur noch Müll und Schmerzen erleben werden. Irgendwie wollte ich es nicht so enden lassen."
Verbittert lacht er und lehnt den Kopf an die Wand des Vans.
"Ich habe in letzter Zeit so viele Fehler gemacht. Bei meinen Programmierungen, bei meinen Anweisungen in dem Bunker und Gott weiß wo sonst noch. Einer der größten davon war es aber, dich abzuweisen..."
Flüstert er, seine Stimme bricht am Ende als er zu Simon sieht.
"An dem Abend vor dem Attentat, hast du gefragt, ob-"Heftig knallt es gegen die beiden Flügeltüren des Autos, als jemand von außen dagegen schlägt. Dameon beendet den Satz nicht, sondern schweigt wie wir anderen auch.
"Jetzt kommt endlich raus! Masken auf."
Meckert die Frau, die zuvor auf Simon geschossen hat und verstummt sogleich auch wieder. Ich löse meinem Gurt zuerst, lasse Dameon und Simon erst einmal sitzen und schiebe zögerlich die Klinke der Tür zur Seite. Erst als ich mich versichert habe, dass jeder seine Maske trägt, drückt ich die linke Tür ein paar Zentimeter auf und genehmige mir vorsichtshalber erstmal einen Blick nach draußen. Durch das Licht im Van, sehe ich außerhalb leider aber rein gar nichts außer der tiefschwarzen Nacht. Doch ist es weniger vorteilhaft, die Frau länger warten zu lassen, also trete ich kurz darauf gänzlich hinaus. Wie zuvor sind die Schmetterlingsmasken die einzige Lichtquelle. Ich zähle vier, alle sind da und warten. Hinter mir tritt nun auch Dameon mit Simon aus dem Wagen. Er stützt ihn aber erscheint mir selbst auch nicht mehr ganz stabil auf den Beinen.
"Atmet er noch?"
Fragt Sora monoton, was ich stumm abnicke. Wo auch immer wir sind, ich glaube nicht dass ich hier schonmal gewesen bin. Sie nickt und weist und an, gerade aus voran zu laufen. Ich greife Simons Hand auf der anderen Seite und lege mir seinen Arm über die Schultern, und zusammen gehen wir einfach blind voran.Als ich das knacken eines Walkie-Talkies höre, fällt mir erst auf, dass meins ja noch immer in der Tasche an meinem Gürtel verborgen ist. Wenn darauf jetzt jemand aufmerksam wird, sind wir geliefert. Denn am anderen Ende ist kein Assanon, sondern Rosalie. Ein kleines Kind, das sicher nicht gut genug improvisieren kann, um uns jetzt noch aus dem Mist zu ziehen. Doch legt sich der Schreck recht schnell wieder als Sora zu jemandem spricht und dann direkt den Funk wieder beendet. Auch Dameon seufzt kaum hörbar auf.
"Nicht erschrecken."
Flüstert jemand mit Schmetterlingsmaske neben mir und bevor ich ihn auch nur fragend ansehen kann, scheppert es lautstark hinter uns. Ich sehe gerade noch wie zwei riesige Metalltüren ihre massiven Zähne ineinander rammen und uns erneut von dem isolieren, was hinter uns liegt. Simon und Dameon fahren heftig zusammen und auch mir sieht man die Überraschung trotz Vorwarnung an. Nochmal eröffnet Sora den Funk.
"Jetzt bringt aber mal Licht ins Dunkel~"
Singt sie in das Gerät und zieht sich die Maske vom Kopf.Grelle, riesige Scheinwerfer springen über unseren Köpfen zeitgleich über eine enorm große Fläche verteilt an. Es ist, als wäre die Welt wieder erleuchtet, als wäre unsere Sonne zurückgekehrt. Und obwohl meine Augen wegen der plötzlichen Helligkeit brennen und schmerzen, kann ich den Blick nicht abwenden. Wir befinden uns in einer kilometerbreiten Glaskuppel. Durchsichtige solarplattenähnliche Scheinwerfer baden diese ganze kleine Welt in warmem Licht, Pflanzen stehen auf kleinen Äckern und blühen fröhlich vor sich hin. Bänke, Tische und kleine Holzhäuser stehen verteilt und vermitteln den Anschein einer heilen Welt.
Und direkt in der Mitte öffnet sich eine Stahlluke, aus der ein fremder Mann steigt, dicht gefolgt von Alex.
Er lebt also, Gott sei's gedankt. Nur ist sein Gesichtsausdruck weniger Friede Freude Eierkuchen als der des Mannes.
DU LIEST GERADE
Covered - in der Dunkelheit
Teen FictionEin paar Monate ist es nun her. Wie lange genau kann keiner sagen, weil die Sonne schon seit Jahrzehnten nicht mehr von allein scheint. Die letzte funktionierende Uhr, eine große Atomuhr, steht in einer Stadt weit weg von hier. Sie ist es, die unser...