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Ich muss eingeschlafen sein. Wenn auch nur für ein paar Minuten. Mit einem lauten Knall wird die Tür zum Computerraum geschlossen und das Licht springt an. Ich hebe den Kopf von dem Stuhl unter mir und blinzle müde gegen die plötzliche Helligkeit an. Dameon steht mir gegenüber und wirkt so fertig wie ich mich fühle. 
"Gruppe Zwei ist da, alle wohlauf."
Seufzt er und kaut irgendwie abwesend auf einem seiner Fingernägel herum. Anscheinend hat sich die Lage nicht entspannt. Doch das heißt, dass meine Eltern ebenfalls heil hier angekommen sind! Eine Welle der Erleichterung befreit mich aus der Anspannung und ich lehne mich an den Schreibtisch. 
"Und Gruppe Vier?"
Genau wie Simon zuvor scheint er die Worte ganz präzise abzuwägen bevor er spricht. Doch im Gegensatz zu meinem Kumpel bringt er nichts zu Stande. Stattdessen schließt er die Augen und schüttelt kaum bemerkbar den Kopf. 
Die Stille danach ist schlimmer als wenn er mir einfach ins Gesicht schreien würde, dass etwas schlimmes passiert ist. Aber das tut er nicht. Dameon lässt mich selbst erstmal meine Gedanken sortieren. 

"Was ist passiert?"
Frage ich kraftlos. Ich kann mich hierauf nicht mental vorbereiten also wozu warten? So schnell wie die Erleichterung gekommen ist, ist sie auch wieder weg. Und mit ihr auch die Müdigkeit. Eher fühle ich mich als wäre ich gerade einen Marathon gerannt. Mein Herz hämmert in meiner Brust dass es fast weh tut.
"Was ist passiert!"
Schreie ich ihn an, nachdem die erste Frage ins Leere lief. Dameon zuckt zusammen und erwidert endlich meinen Blick. Das Mitleid in seinen Augen hat sein schier unbesiegbares Lächeln abgelöst. Während er die Geräte an seinem Gürtel abstellt, setzt er sich neben mich auf seinen Schreibtischstuhl. 
"Simon hat mir von den Schmetterlingen erzählt, die bei euch von etwas im Wald aufgeschreckt wurden. Die haben sich anscheinend kurz danach wieder versammelt, diesmal auf den Reklamen der Läden. Als die Gruppe starten wollte, hat einer von ihnen wie es aussieht die Lampe nach oben gerichtet und damit die ganze Schar erschreckt. Gruppe Zwei konnte die Reklamen über den Baumkronen noch sehen und ebenfalls den auslösenden Lichtkegel. Aber sie waren bereits zu weit weg um zu reagieren. Es tut mir leid."
...
...
Gruppe Drei allesamt ausgelöscht. Niemand der mir nahe stand aber trotzdem ein schwerer Verlust. Und das nicht nur für mich.
"Mir auch, Dameon."
Meine Stimme bricht am Ende und ich kämpfe mit den Tränen der Verzweiflung. Wie konnte alles nur so schnell so schief gehen? Ich senke den Kopf und ein paar rote Strähnen fallen mir ins Gesicht. Sie verbergen die Tränen, die sich ihren Weg auf meine Hose suchen. Und obwohl ich den Jungen neben mir nicht mehr sehe weiß ich, dass auch ihn die Kräfte verlassen. Was passiert jetzt? Wie gehen wir jetzt vor? Die Jungs werden die Reparatur der Uhr nicht verzögern doch die Cover reichen bei weitem nicht für alle. Es ist Zeit wieder herzlos zu werden. 

"Nachdem wir etwas Schlaf bekommen haben, müssen wir die anderen auf ihre Nützlichkeit untersuchen um zu entscheiden, wer mit uns kommt."
Flüstere ich schwach und wische mit dem Saum des Shirts über meine Wange. Als Dameon nicht antwortet, drehe ich mich leicht in seine Richtung. Mit dem Kopf in den Armen vergraben ist er auf dem Tisch eingeschlafen. Die Position sieht alles andere als bequem aus und doch war er so schnell weg. Vielleicht war der Tag doch anstrengender für ihn als er sich hat anmerken lassen. Ich kenne Dameon keinen Tag und doch ist er mir bereits ans Herz gewachsen. Ich habe das Gefühl ihn schon lange an meiner Seite zu haben. Leise tapse ich zu dem Schrank in der Ecke und suche nach etwas, was man vielleicht als Decke zweckendfremden könnte. Meine Wahl fällt auf einen großen, pinken und vor allem warmen Fellpullover. Während ich ihn Dameon über die Schultern lege, rekapituliere ich nochmal. In unserem Rucksack sind schwerlich mehr Cover als wir Leute in der Gruppe. Maximal Zehn oder Elf. Zweiundzwanzig haben den Bunker erreicht aber wie viele wir jetzt insgesamt sind weiß ich nicht mehr...Es macht keinen Sinn sich darüber den Kopf zu zerbrechen, grob geschätzt knapp über 50. Wie nach einem Zuckerschock fühle ich mich schlagartig ausgelaugt und schwach. Schwächer als zuvor.  Ich will nur noch schlafen. Doch kann ich den Blick nicht von dem schlafenden Dameon abwenden. Ich habe das Gefühl noch etwas sagen zu müssen. Mich entschuldigen oder ihm versprechen, dass es besser wird. Aber beides kann ich nicht, weil es beides nicht in meiner Hand liegt.

Covered - in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt