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Anscheinend hat Simon mehr mitbekommen als wir dachten, trotz seiner drohenden Bewusstlosigkeit. Er erzählt uns, dass der Plan dieser Menschen wohl tatsächlich darauf beruht, uns irgendeiner Macht zu opfern. Klingt zwar dümmlich aber kann verdammt gefährlich werden. Und wie bereits gesagt, ich will nicht sterben. Hoffnung und Wille sind zwei verschiedene Dinge. Das Erste habe ich kaum noch, von dem Zweiten umso mehr. Nun sitzen wir aber erstmal in diesem neuen Bunker hier. Dabei haben wir den von Dameon gerade erst verlassen. Ich hoffe, dass es wenigstens die anderen zurück geschafft haben aber aufmuntern kann ich mich damit nicht. Auch ihnen geht irgendwann das Essen aus oder die Nerven durch. Dann müssen sie auch raus. Oder sie verhungern. Nur Simon und Dameon haben unseren Plan vollständig im Kopf, halten ihn auch noch immer geheim und so wenig ich das nachvollziehen kann, umso weniger steht mir der Sinn nach einer Konfrontation. Aber der vorhergehende Gedanke erinnert mich dann doch an etwas.
"Das Walkie-Talkie!"
Schießt es mir auf einmal in den Sinn und ich fummle es aus meiner Tasche. Ohne es auf mögliche Schäden zu prüfen, hämmere ich auf den Verbindungsknopf ein aber diesmal endet das Rauschen nicht mit dem ersehnten knack.
"Der Funk reicht nicht so weit."
Murmelt Dameon mir gegenüber mit dem Kopf auf dem Bett in Simons Decke. Er macht sich nicht mal die Mühe aufzusehen. Die aktuelle Stimmung schwankt zwischen Müdigkeit und Depression. Seufzend schließe ich mich seinem Vorbild an und lasse den Kopf auf die Matratze fallen, welche ich aber glorreich verfehle und stattdessen mit der Stirn auf Simons Schienbein schlage. Er zuckt zusammen und flucht leise, ich hab die Kollision kaum gespürt und verweile kommentarlos. 

"Hast du eine Ahnung, wer dieser Assanon ist? Der Name ist mittlerweile ein paar Mal gefallen aber keine einzige Information zu ihm."
Sagt Dameon.
"Ehrlich gesagt überrascht es mich nicht, dass noch andere Menschen überlebt haben. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist enorm hoch, wenn man bedenkt, wie viele es insgesamt auf der Welt gibt. Für so einen fortgeschrittenen Bunker standen die Chancen weitaus schlechter, wobei ich es nicht als Glück labeln würde, dass wir hier gelandet sind."
"Worauf willst du hinaus?"
"Simon, hast du gar keine Angst? Wenn sie sagen, dass unser Opfer zum wohle der Menschheit erbracht wird, dass es etwas Gutes ist und wir die Sache positiv sehen sollen. Wirft man uns jetzt den Viren zum Fraß vor, um zu sehen, wie genau sie töten? Oder bringen sie uns um und gucken, ob die Viecher auch Aas fressen? Oder-"

"Okay, genug der Verschwörungstheorien!"
Unterbreche ich Dameon, der sich immer mehr in die Panik redet. Er denkt zu viel nach. Es sieht wirklich so aus, als wäre unsere Mutation zu Märtyrern unausweichlich, aber sind wir das nicht schon vorher gewesen?
"Dameon. Die Chance zu sterben besteht seit die Sonne nicht mehr scheint und das bleibt auch bestehen. Allein dass wir bis hierher gekommen sind ist viel wert, jetzt lass dich nicht so runtermachen. Denkst du echt, dass wir uns jetzt hilflos ausliefern?"
Ich werde mich nicht kampflos ergeben. Von mir aus schieße ich mich auch frei. Aber Dameon steht kopfschüttelnd auf.
"Ich bin nicht in der Stimmung für eine weitere halbherzige Motivationsrede. Im Endeffekt sind wir unterlegen und hilflos. Die Tatsache kannst du nicht widerlegen."
Und während er das sagt, macht er sich auch schon auf den Weg zur Tür. Vermutlich versucht er damit eine Antwort von mir zu vermeiden. Was auch funktioniert, da Simon schneller ist.
"Und wo willst du jetzt hin?"
"Ich sehe mich um, versuche mit ein paar Leuten zu sprechen. Vielleicht finde ich ja noch den einen oder anderen Hinweis, der uns später nützlich werden kann."
Eigeninitiative ist eigentlich schön und gut, doch würde ich mich wohler fühlen wenn ich wüsste, wo Dameon ist. Für einen erneuten Einwand bleibt aber keine Zeit und ehe ich mich versehe, ist Simon mit mir allein. Neugierig schiebe ich seine Decke ein bisschen zur Seite und nehme den Fuß unter die Lupe, an dem er verletzt wurde. Der Verband befindet sich zu meiner Überraschung knapp über dem Knöchel. Ging der Schuss nur in die Wade? Wobei das nur relativ ist.

"Du wirst eine Weile nicht laufen können. Ob sie uns so lange verschonen?"
Simons Blick zeugt von Misstrauen. Er scheint es allerdings auch nicht völlig auszuschließen.
"Das hängt wohl von dem ab, was sie mit uns vor haben. Ich denke nicht, dass eine Verletzung etwas daran ändert wenn wir sowieso sterben sollen."
"Na dann müssen wir dich so schnell wie möglich wieder auf die Beine bekommen."
Das Zimmer ist nicht gerade klein. Also stehe ich auf und erkunde die Schränke und Schubladen so lange wir noch allein hier sind. In dem ersten Schrank liegen haufenweise Kittel und Handschuhe. Auf das dadurch ausgelöste Kopfkino hätte ich sehr gut verzichten können, ist ja gruselig. Die Schubladen daneben sind gefüllt mit Ordnern, Heften und losem Papier mit schier endlosen Informationen und Zahlen. Daraus werde ich nicht schlau, sowas sollte ich Dameon überlassen. Der dritte Versuch ist dann schon erfolgreicher.
"Hier sind Tabletten. Gegen alles mögliche, die sind super ausgerüstet. Bei uns in der Fabrik hatten wir besten Falls etwas gegen Kopfschmerz oder einen Schnitt."
"Mia, kann ich dich etwas fragen, was nichts mit der ganzen Sache hier zutun hat?"
Fragt Simon deutlich leiser als vorher. Ich habe zuerst die Befürchtung, er würde nochmal das Bewusstsein verlieren aber dem ist nicht so. Trotzdem macht er auf mich einen bedrückten Eindruck.
"Natürlich. Was ist los?"

Es dauert bis er antwortet und ich wühle nebenbei in der Schublade herum, in der Hoffnung ein paar nützliche Schmerzmittel zu finden. Die Spritzen sehen witzig aus, ihre Spitzen sind abnormal lang. Ich glaube so fangen manche Horrorfilme an.

"Was hat Dameon dir alles erzählt? Was weißt du über ihn?"
Oh, Minenfeld. Meint er das bezüglich der Mission oder der Lüge, die er mir zu ihrer Vergangenheit aufgetischt hat?
"Nun, er lässt nicht viel über sich selbst ans Licht kommen aber ich habe das Gefühl, dass er jedem immer einen Schritt voraus ist. Obwohl es selten offensichtlich ist. Er ist genauso motiviert wie du, diese Uhr zu reparieren. Ihr beide zusammen gebt mir Hoffnung und ich bin euch dafür wirklich dankbar."
"Das freut mich zu hören aber darauf will ich nicht hinaus. Er hat dir sicher schon erzählt, dass ich nicht ganz ehrlich mit dir war."

Das Thema wird mir unangenehm. Demonstrativ halte ich eine der großen Spritzen hervor und zeige sie Simon.
"Schau mal, damit könnte man einem Stier den Todesstoß geben."
"Mia, komm schon. Bitte!"
Hat er gerade wirklich gebettelt?
"Was willst du von mir hören, Simon? Du hast mich belogen, schon wieder! Warum sollte ich dir jetzt einen Gefallen tun? Mag sein, dass diese Art von Geheimnis total trivial ist aber es geht mir ums Prinzip, okay? Dameon hat mir bloß erzählt, dass ihr euch schon vor dem Attentat kanntet. Warum also hast du mich belogen?"
Da das offenbar alles ist, über das Dameon mich in Kenntnis gesetzt hat, nickt Simon stumm und lässt seinen Kopf wieder ins Kissen sinken. Den Blick heftet er an die Decke. Ich habe meine Meinung mit der Diskretion geändert, ich will wissen was vor sich gegangen ist, bevor die Welt so in die Scheiße geritten wurde.
"Weil es peinlich ist, verstehst du? Ich will nicht darüber reden. Aber Dameon hat gesagt es tut ihm leid was passiert ist. Er hat Reue gezeigt."
"Wovon spricht du, verdammt nochmal!"

"Ich...ich habe ihm gestanden, dass ich ihn mehr mag als nur freundschaftlich und er hat mich abgewiesen."
Murmelt er und sieht mich nicht an. Ich habe ihn wohl weit genug in die Ecke gedrängt, damit er redet. Aber das...
"Du hast doch gefragt, was wir an dem Abend des Attentats gemacht haben. Ich habe gelogen und ihn zu selbigem genötigt. Ich war bei ihm und wir haben an dem Computerprogramm gearbeitet, dass er erwähnte. Dieser Teil ist wahr gewesen. Bis in die Nacht haben wir programmiert und irgendwann habe ich es einfach über mich gebracht. Aber Dameon hat gesagt, er würde nicht auf dieser Schiene fahren. Und zum ersten Mal wusste ich wirklich nicht, ob er es ernst meint oder nur Panik bekommen hat. Also bin ich gegangen. Eine Stunde vor der Apokalypse. Deshalb auch mein Stimmungswandel seit unserer Ankunft in dem Bunker."

Ich bin sprachlos, damit habe ich absolut nicht gerechnet. Sie waren nicht nur Freunde, da war mehr. Und Simon wurde das Herz gebrochen. Vorsichtig lege ich die Spritze weg und gehe zu ihm. Er lässt sich nicht unterbrechen.
"Aber im Van hat er gesagt, dass er seine Entscheidung als Fehler anerkennt...also gibt es vielleicht doch Hoffnung. Denkst du nicht auch?"
So sentimental habe ich Simon noch nie erlebt. Es schmerzt, ihn dermaßen niedergeschlagen zu sehen aber gleichzeitig weiß ich seine Ehrlichkeit zu schätzen. Ich stütze mich auf die Matratze und schließe meinen besten Freund in eine feste Umarmung. Ich kann ihm anders nicht helfen als mit Unterstützung. Und ich denke, diese freundschaftliche Liebe tut ihm gut. Gleichzeitig muss ich mir selbst eingestehen, dass mich die Enttäuschung nicht gänzlich verschont. Dameon ist meiner Meinung nach wirklich ein guter Fang aber dafür bin ich anscheinend ein paar Jahre zu spät dran.
Simon lässt die Umarmung zu, erwidert sie aber nicht. Das muss er auch gar nicht, hat er noch nie.

"Genug davon, hast du irgendwas Brauchbares gefunden? Medizin, Verbände, Krücken?"
"Hast du mir vorhin überhaupt zugehört?"
Frage ich belustigt und richte mich wieder auf.
"Nicht wirklich, nein."

Covered - in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt