Simon finde ich im Flur vor der Küche. Er hat sich mit Stoff und Kleiderbügeln eine Schiene für sein Fußgelenk gebastelt und übt nun, schmerzfrei zu laufen. Er scheint herausgefunden zu haben, wie er den Fuß optimal belasten muss. Sein Gang ist holprig aber es sieht nicht so aus, als hätte er Schmerzen dabei. Sobald er mich sieht, schmunzelt er ein klein wenig, was ich nur zu gut erwidern kann.
„Simon, weißt du wo Dameon ist?"
„Er kam ungefähr zehn Minuten vor dir zu mir. Die Pistolen werden wohl irgendwo am Eingang direkt gelagert, sind aber weggesperrt. Wie wir das Schloss öffnen können will er gerade herausfinden. Hast du den Nachschub bekommen?"
Ich nicke und knie mich vor ihn. Er trägt eine kurze Hose also kann ich mit Leichtigkeit sein Plättchen kontrollieren, indem ich das Hosenbein etwas nach oben schiebe. Es ist noch fast voll also muss ich mir vorerst keine Sorgen machen, was das Wechseln betrifft.
„Na, wen haben wir denn da! Zwei unserer süßen Verbrecher. Sag nicht, du betrügst deinen kleinen Freund mit dem hier!"
Sora kommt gerade im ungünstigsten Moment aus der Küche und erwischt uns in der ebenso ungünstigsten Position. Sie grinst belustigt und verschränkt süffisant die Arme vor der Brust. Schnell stehe ich auf und versuche die Scham zu verbergen. Wie komme ich da wieder raus? Jetzt habe ich nicht nur einen Ruf als Kriminelle sondern als Schlampe gleich mit.
„Dameon ist nicht-...ähm...Ja okay, von mir aus. Bitte verrate ihm nichts."
„Natürlich nicht, wir Frauen haben doch alle unsere geheimen Vorlieben und Gelüste."
Oh Gott steh mir bei.
„Wie geht's eigentlich deinem Knöchel, du Frauenheld?"
Diese Frau kann uns sehr gefährlich werden. Hoffentlich ist sie nicht auf eine längere Unterhaltung aus. Der Smalltalk ist schlimm genug. Dabei hat Sora bis jetzt nicht mehr als ein paar Sätze dazu beigetragen. Simon geht das Risiko ein und würdigt sie keiner Antwort. Zum Glück interessiert es sie herzlich wenig, doch macht die Frau keine Anstalten, weiter zu gehen. Und dann kommt auch noch Dameon um die Ecke gerannt und will anscheinend zu Simon. Sobald er Sora sieht, bleibt er aber schnell stehen. Der Blick von ihm spiegelt die vorherrschende Stimmung perfekt.
„Wie schön, dann sind wir ja vollzählig! Die Gruppe der Dreiecksbeziehung kann zum Tagesplan übergehen. Das Wort hat die Präsidentin."
Mit einer wenig eleganten Geste zeigt Sora auf mich. Dameon blickt nur verwirrt zwischen uns hin und her.
„Nun, ich habe die beiden Turteltauben gerade in einem sehr intimen Moment erwischt."
Säuselt sie und wartet gespannt auf Dameons Reaktion. Verräterin. Moment, was denke ich?
„Ihr habt was?! Das kann doch nicht dein verdammter Ernst sein! Anscheinend wird der Mensch in ausweglosen Situationen tatsächlich auf die niedersten Gelüste reduziert. Wie erbärmlich."
Autsch?
„Wundervoll! Dann lasse ich euch mal allein. Aber haltet mich auf dem Laufenden!"
Lachend macht sie sich nun doch vom Acker. Also was Diskretion betrifft hat sie Anstand, wie paradox. Dameon wartet noch kurz und schüttelt dann verwirrt den Kopf.
„Okay? Ich hinterfrage das später. Eigentlich bin ich hier, um euch zu warnen. Gerade eben hat jemand via Funk die Info bekommen, dass Assanons Gefangene hier gleich einlaufen! Die Nachricht verbreitet sich, man sucht nach uns!"
Nein, Nein, Nein! Verdammter Mist! Das ist ganz schlecht!
„Dameon, hilf Simon auf dem kürzesten Weg hier raus aus dem Bunker. Wenn ihr irgendwie auf dem Weg an Waffen kommt dann holt sie euch. Wenn nicht dann geht kein Risiko ein! Ich hole die Schmerzmittel.Ohne Zeit für Widersprüche zu lassen, renne ich zurück in das Krankenzimmer. Anstelle rechtzeitig zu bremsen, stoße ich mit voller Wucht gegen die Schranktür und reiße sie auf. Tut höllisch weh aber spart Zeit. Eine Umhängetasche hängt an einem der Kleiderhaken an der Tür und ich nehme sie im Vorbeigehen mit. Mit der Box darin habe ich die Hände frei und sprinte in Richtung der Bodenluke. Auf dem Weg stellt sich mir niemand in die Quere. Die Information über uns hat es also noch nicht bis hierher geschafft. Sobald ich um die letzte Ecke biege, sehe ich die Jungs. Sie zwängen sich hektisch in die silbernen Cover, die ich zuvor schon gesehen habe. Diesmal bleibe ich rechtzeitig stehen und drücke die Tasche vorsichtshalber an mich.
„Was zur Hölle tut ihr da?!"
Simon drückt mir auch eines der Cover in die Hand.
„Schnell, zieh das an. Wir sind alle zu freizügig, draußen kommen wir so nicht weit. Das hier erhöht unsere Chance ungemein und so erwecken wir noch kein Aufsehen. Die denken alle, wir würden uns für die Aufgabe bereitmachen. Hast du deine Pistole noch?"
Scheiße, nein. Ich habe keine Ahnung, wo die ist! Während ich in das Cover schlüpfe, klärt Dameon mich darüber auf, dass direkt neben der Luke ein in die Wand eingebauter Waffenschrank ist. Den Schlüssel hat er leider nicht bekommen können. Das Cover passt sich meinem Körper perfekt an und ich setze auch direkt die Maske auf. Meine Sicht ist überhaupt nicht eingeschränkt aber ich atme wie durch einen Schnorchel. Dameon zieht einen der Säcke aus dem leerstehenden Zimmer und huckelt ihn auf. Simon klettert schonmal sehr verzögert durch die Luke aus dem Boden und Dameon folgt. Das läuft alles überhaupt nicht nach Plan aber die Hälfte des Weges liegt bereits hinter uns. Dass das nur der leichte Teil war verdränge ich gekonnt.
„Mia!"
Gerade als auch ich die Luke passieren will, ruft jemand meinen Namen. Ich habe Angst, dass wir doch entdeckt wurden aber es ist Samantha, die auf mich zu sprintet. Sie trägt eine silberne Kette mit sich, an der ein metallenes Stäbchen hängt.
„Ich habe die Nachricht schon bekommen und gesehen, dass deine Pistole bei euren gewechselten Kleidern liegt. Ihr könnt doch nicht unbewaffnet abhauen!"
Meckernd drückt sie den Stab an die Wand und sofort öffnet sich scheppernd eine Stahlplatte in der Wand. Die Waffen! Da hängen genug für eine ganze Gruppe!
„Sam-"
„Halt die Klappe und nimm dir was du brauchst! Keine Zeit für Herzlichkeiten!"
Ich schnappe mir ein paar kleine Pistolen und mäßig handliche Gewehre und werfe sie zu den Jungs nach oben. Sobald nur noch große, schwere Geschütze übrig sind, wende ich mich ab. Im gleichen Moment zieht mich Sam in eine feste Umarmung. Ich wollte sie fragen, ob sie uns nicht begleiten will aber diese Umarmung ist ein endgültiges Lebewohl.
„Pass auf dich auf."
Zitternd lässt sie von mir ab und gibt mir meine vertraute Pistole. Bevor ich etwas sagen kann, knallt ein Schuss in meinen Ohren und neben mir zerbricht die Scheibe der Glastür in tausend Teile.
„Never for fun."
Flüstert Sam, stößt mich durch die Luke nach draußen und zieht ein großes Maschinengewehr aus dem Schrank. Sie gibt uns Deckung! Viele Schüsse preschen durch die Luft und Dameon zerrt mich auf die Beine.
„Los! Sie opfert alles für uns, lass das nicht umsonst sein!"
Es ist komplett dunkel, genau wie Sam es vorhergesagt hat. Wir rennen los, zusammen Richtung Ausgang. Doch dort sehe ich schon das nächste Unheil. Im selben Moment enden die Schüsse abrupt und Sam schreit qualvoll auf. Sie hat uns Zeit verschafft obwohl wir sie hintergangen haben. Um die Tränen zu unterdrücken, beiße ich mir fest auf die Zunge und schmecke kurz darauf Blut. Simon greift nach meinem Arm, das Rennen fällt ihm schwer. Mit etwas Gegendruck unterstütze ich ihn und laufe direkt auf die Gruppe zu, die gerade in Handschellen die Kuppel betritt. Die Verbrecher. Alle sind in tiefem Schwarz vermummt, ein völliger Kontrast in Anbetracht unserer neuen Klamotten. Vier Gestalten, vermutlich Aufpasser, tragen Taschenlampen bei sich und richten die Kegel genau auf uns. Hinter mir ertönt irres Gelächter und die Scheinwerfer der Kuppel springen an. Für wenige Sekunden muss ich die Augen schützen, sehe dann hinter mich und verschlucke mich beinahe an meiner Spucke. Drei Maschinengewehre werden im selben Moment auf mich, Simon und Dameon gerichtet und die wenigen mageren Bäume zwischen uns bieten kaum ein schützendes Schild. Sie laden noch.
„Das schaffen wir nicht!"
Schreie ich aus purer Panik. Dameon greift rücklinks in den Beutel mit den Waffen und zieht eine heraus.
„Dann müssen wir kämpfen!"
Er wirft mir die Waffe zu, mit meiner Pistole bin ich nutzlos. Zusammen bleiben wir stehen und auch Simon nimmt sich ein Maschinengewehr. Doch visiert er die eigentlichen Ziele nicht an.
„Nach oben! Feuert nach oben!"
Da kommt mir eine Idee. Die Waffen sind nicht nur auf uns gerichtet, sondern auch auf die Menschen hinter uns. Während die Jungs die Waffen entsichern, wende ich mich zu den Leuten von Assanon.
„Wenn ihr hier lebend wieder raus wollt, nehmt euch eine Waffe und geht uns zur Hand!"
Brülle ich gegen das Knallen der Schüsse neben mir an und zeige auf den Beutel. Ein paar von ihnen hechten tatsächlich nach vorn und bewaffnen sich, so weit es die Fesseln zulassen. Die Wachen sind zu perplex um zu reagieren aber tatsächlich geht uns sogar einer von ihnen auch zu Hand. Erst als der Sack völlig ausgeräumt ist, richte auch ich meine Waffe nach oben und schieße einfach blind ins Licht. Neben mir wird einer der vermummten von einer Kugel getroffen und fällt leblos zu Boden. Die schießen wie Blinde aber auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Ich bin so dankbar, dass mein spontaner Einfall nicht nach hinten losgegangen ist. Immer mehr dunkle Flecken verdrängen das gleißende Licht, aber wie soll die Dunkelheit uns retten? Auch ich folge einfach Simons Anweisungen wie die Assanonner meinen.
„Was genau tun wir da?"
Ruft eine raue Männerstimme durch den Lärm. Aber die Frage beantwortet sich von selbst. Ein lautes, beinahe ohrenzerreißendes Dröhnen zwingt sowohl uns als auch die andere Front in dem erbitterten Kampf zu pausieren. Eine gewaltige Platte an der Decke schaltet sich funkensprühend ab und reißt mitsamt Kabelsalat an der rechten Seite ab. Bedrohlich locker wackelt der Scheinwerfer, der selbst in dieser Entfernung noch sehr groß und deutlich erkennbar ist.
„Lauft!!!"
Kreischt eine Frau von der Gegenpartei und klettert so kopflos aus dem Bunker, dass sie die uns anvisierenden Gewehre dabei umwirft. Nochmal hallt das Jauchzen des schweren Metalls nieder, ein zweites Mal muss ich mir das nicht sagen lassen!
„Das Bunkerinnere wird dem Teil nicht standhalten! Alle raus aus der Kuppel sonst werden wir lebendig begraben!"
Dameon hat den weiteren Verlauf wohl auch schneller verstanden als ich und wir machen uns gar nicht erst die Mühe, die Waffen zurück in den Beutel zu packen. Zusammen, inklusive Verbrecher und einem der Aufpasser, stürmen wir zu den Türen, während auch die letzte Verbindung von Scheinwerfer zu Kuppeldecke reißt. Es handelt sich um Sekunden bis zur Kollision. Und doch fühlt es sich an wie eine Ewigkeit. Das große Tor ist wieder geschlossen aber der Wärter weiß sich zu helfen. Mit einem Fuß tritt er kräftig gegen eine Legierung, die ich zuerst für stahlharte Wand halte, sich aber sogleich als schlaffer Vorhang aus Metallstäben entpuppt. Dahinter muss ein Knopf verborgen sein, denn die beiden Mauern, die uns den Weg in die Freiheit verwehren, beginnen sich zu öffnen. Keine Sekunde zu früh. Mit einer erheblichen Erschütterung trifft die Riesenplatte die Erde und sinkt auch direkt ein wie in Treibsanft. Keiner der Menschen hat eine Chance der Gewalt zu entkommen. Und es breitet sich aus. Immer mehr Teile des Bodens sacken in sich zusammen und nähern sich uns stetig. Durch das Erdbeben verkeilt sich das Tor und kommt ratternd wieder zum Stehen. Der Schlitz reicht maximal für eine Person. Ohne zu zögern stößt mich jemand hinter mir voran, Dameon zwängt sich hinterher. Den Rest der Schlange sehe ich nicht. Zwei Meter mindestens muss ich überbrücken aber es geht reibungslos. Sofort strecke ich die Hand zurück in die Lücke und ziehe jeden in Sicherheit, der die Chance nutzt. Vier, Fünf, Sechs... Die Kuppel knackt und splittert.
Sieben, Acht.
Die Türen kippen stöhnend nach innen um und die Person, die mir gerade verzweifelt versucht die Hand zu reichen, stürzt mit ihnen. Ich muss weiter rennen, das Glas zerschellt. Weiter rennen, risse ziehen sich bis in den Wald vor uns. Das ist noch nicht vorbei.
Acht. Mehr nicht, nur Acht. Es kommt keiner mehr.
Über das Beben und Knallen und Scheppern höre ich mich nicht einmal mehr selbst denken. Neben und hinter mir schreien sich die anderen Dinge zu, auch sie sehen die sich eingravierenden Krater. Meine Ohren klingeln und mein Schädel schmerz höllisch. Einfach rennen.
Hinter mir stürzen die Trümmer des ehemaligen Hochhauses in die Kuppel und begraben alles auf und in dem Bunker unter sich. Das kann keiner überleben.
„Mia!!! -to-rt!"
Ein Auto. Dort steht ein Auto! Ein Van. Aber es braucht einen Schlüssel. Der fehlt!Einer der Verbrecher schubst uns in den Laderaum des Vans und springt hastig auf den Fahrersitz. Mit zitternden Fingern fummelt er irgendwo unter dem Lenkrad herum und tatsächlich! Der Motor springt an! Ohne auch nur eine Millisekunde weiter zu verlieren, tritt er das Gaspedal bis ins Bodenblech und der Wagen schießt los. Wir sieben fallen im Einklang auf Knie oder Gesäß und unsere Herzen rasen noch lange um die Wette. Erst, als alle Geräusche am Horizont verebben und nur noch das Summen des Motors ruhig schnurrt, öffne ich die Augen.
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Die letzten Kapitel habe ich gekürzt, weil ich rund 5000 Wörter pro Kapitel für Wattpad ein wenig übertrieben finde. Da ich seit kurzem auf Word schreibe und eigentlich nicht mehr hier veröffentlichen wollte, hat sich auch meine Unterteilung ein wenig in die Länge gezogen. Ich hoffe ihr habt Spaß an meiner Geschichte. Und auch wenn es nicht so viele Leser hat, freue ich mich über jeden einzelnen.
Vielleicht gibt es ja irgendwann Feedback, wenn ich weiter am Ball bleibe!
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Covered - in der Dunkelheit
Teen FictionEin paar Monate ist es nun her. Wie lange genau kann keiner sagen, weil die Sonne schon seit Jahrzehnten nicht mehr von allein scheint. Die letzte funktionierende Uhr, eine große Atomuhr, steht in einer Stadt weit weg von hier. Sie ist es, die unser...