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Tatsächlich ist die Straße bei unserer Ankunft wieder nur in das übliche Laternenlicht gehüllt, an das die Viren ja gewöhnt sind. Die Taschenlampe von Laurenz liegt noch ganz unscheinbar da wo sie hingeworfen wurde und kein SiVi ist in Sicht. Sie lauern wohl wieder auf den Pflanzen. Was sie dort wohl tun...ob sie sich von dem Nektar ernähren? Ernähren sie sich überhaupt von irgendwas oder werden sie aufgeladen, ersetzt oder sterben irgendwann? Oder sie sind die erste Verwirklichung eines Perpetuum Mobiles. Nun, das ist jetzt wohl mein geringstes Problem. Da die Lampe kein Interesse mehr auf sich zieht, nimmt Laurenz sie wieder an sich und wir setzen unseren Weg weiterhin vollkommen still fort.

Vor ein paar Stunden noch habe ich hier mit Terra gestanden und wir beide waren recht beeindruckt von der Schönheit der Natur, welche sich trotz all dieser Technik und Wissenschaft noch immer durchsetzt. Irgendwann wird sie diesen Kampf sicher verlieren aber bis dahin wünsche ich, ich könnte ihren Anblick und ihre reine Existenz öfter wahrnehmen. Obwohl meine beste Freundin nicht zum ersten Mal draußen war weiß ich, dass sie genauso gefühlt haben muss. Dass der Rest der Gruppe sogar meinen Blick noch immer meidet macht es nur noch schlimmer. Als mir irgendwann klar wird, dass sie ja nicht nur Mitleid mit mir haben sondern auch um Terra trauen, kam ich mir nur noch elender vor für meine Gedanken. Anscheinend ist das Maximum der Trauer noch lange nicht erreicht. Ich stelle es mir vor wie eine Treppe deren Stufen ich erklimme, es wird immer anstrengender und von Stufe zu Stufe schmerzhafter bis ich letzten Endes nach der letzten Stufe einfach wieder auf den Boden der Tatsachen zurück falle. Wenn ich diesen Sturz überstehe und es schaffe, mich wieder aufzurappeln, dann ist das Schlimmste überstanden. Bis dahin werde ich jeden Schritt vollends durchziehen, das schulde ich Terra einfach. 
Wovor es mir nun graut ist, wie ich die Nachricht Simon und den anderen überbringe. Terra's Eltern und allen, die sie in schlechten Zeiten aufgemuntert hat. Kann ich das? Würde ich es übers Herz bringen ihren Tod nochmal laut bekannt zu geben? Das beantwortet sich von selbst, natürlich nicht. Aber das spielt keine Rolle. Es ist meine Pflicht es zu verkünden, es ist meine Pflicht ihrer Familie durch die Phase zu helfen, die ich gerade hinter mich gebracht habe und es ist meine Pflicht stark zu sein. Für sie alle zusammen. 

"Mia, wenn du jetzt nach unserer Ankunft lieber erstmal allein wärst..."
Sagt Laurenz, beendet den Satz aber nicht weil jeder versteht.

"Nein, es ist okay."
Schwerer als erwartet kommen mir die Worte über die Lippen doch es ist trotz ihrer Bedeutung kein bisschen Verzweiflung oder damit verbundene Gleichgültigkeit darin zu erkennen. Reine, ehrliche Traurigkeit. Es ist okay, weil ich mich entschlossen habe die Trauer zu akzeptieren und mir nicht die Schuld an ihrem Verlust zu geben. Dass sie mir immer eine geliebte Person war weiß jeder hier und deshalb komme ich meiner Pflicht nun nach. Vor der Fabrik stehen wir fünf noch eine ganze Weile. Ich habe die Hand an der Klinke und alle sind dabei zu warten, bis ich bereit bin für den nächsten Schritt. Nach ein paar zittrigen Atemzügen hebe ich den Kopf und blicke nochmal jedem von ihnen einmal in die Augen. Eine Geste der Dankbarkeit meinerseits. Ein paar Augenpaare sind ebenso geschwollen wie meins. Jedem steht die Trauer ins Gesicht geschrieben doch sie alle schenken mir ein kurzes, aufmunterndes Lächeln. 

Mit dem alten, gewohnten Knarren öffne ich die große Tür. Es wird kein großer Aufwand betrieben als die Ankunft der Gruppe auffällt doch als zusätzlich der Fakt die Runde macht, dass wir nur zu fünft sind, sind wir im Nu umzingelt. Simon beißt sich fest auf die Unterlippe und ich fürchte, dass das eine dicke Narbe gibt. Mein Blick trifft zuerst den von Terra's Eltern bevor ich ein letztes Mal Luft hole und beginne.
"Es gab einen...Unfall. Terra und ich haben uns, wider Simon's Ansage, in den Obstladen geschlichen und wurden von Siren-Viren überrascht."
Der Schock in den Augen von Emilia, Terra's Mutter, lässt meine Stimme zittern und zwingt mich die Augen zu schließen um nicht wieder in Tränen auszubrechen.
"Aufgrund eines Vorfalls haben wir uns bei unserer Ankunft vom Rest der Gruppe getrennt und...und Terra hat es nicht lebend aus dem Laden geschafft. Ich beinahe auch nicht, wenn die anderen uns nicht gefunden hätten." 
"Und ich auch nicht, wenn Mia mich nicht gerettet hätte!"
Fügt Laurenz hinter mir vorsichtig aber trotzdem energisch hinzu.

Emilia bricht in lautes, verzweifeltes Schluchzen aus und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. Ihr Mann nimmt sie tröstend in dem Arm obwohl er auch kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen scheint. Es bricht mir das Herz doch bevor ich wieder beginne mir Schuldgefühle zu machen, spreche ich weiter. Die Kraft entweicht meiner Stimme mit jedem Wort mehr und mehr.
"Es-es tut mir so unendlich leid. Ich wünschte ich hätte es verhindern können, ich wünschte sie wäre noch bei mir, ich....ich..."
Die Arme an die Brust gepresst gehe ich langsam weinend auf die Knie doch Simon ist sofort an meiner Seite und hält mich auf den Beinen. Ob seine Stimmung meiner gleicht weiß ich nicht. Ich kann seine Mimik nicht deuten, weil mein Blick auf den Boden gerichtet ist und seine Stimme ist ruhig.
"Dieser Verlust tut mir leid, für euch alle. Aber ich muss leider auch eine Ansage machen, die nicht länger warten kann."
Da Simon und ich schon seit einer Weile gute Freunde sind ist es nicht seltsam, dass er mich zur Beruhigung in dem Arm nimmt und es ist auch nichts zweideutiges dabei.

"Ich wurde vor ein paar Tagen erneut über das Walkie-Talkie angefunkt, über welches wir damals die Informationen zu der Krise bekommen haben."
Es wird wieder still im Raum und sogar die Eltern meiner besten Freundin scheinen mit einem Ohr zuzuhören.
"Es war allerdings jemand anderes, ein Junge in meinem Alter der zu einer Gruppe von insgesamt neunundzwanzig Leuten gehört. Anscheinend hat er es irgendwie geschafft eine Verbindung zu uns aufzubauen. Es soll ein paar Kilometer weiter nördlich einen Rettungs-Bunker geben, in dem sie sich aufhalten und sie haben uns angeboten, sich ihnen anzuschließen. Strom und Nahrung bieten sie uns, dafür werden wir ihnen Cover herstellen."

Deshalb hat Simon mich noch so schnell nach draußen geschickt. Weil wir in Kürze die Fabrik verlassen und uns auf die Suche nach anderen Überlebenden machen werden.
"Ich kann verstehen, dass ihr jetzt nichts davon hören wollt aber es ist wichtig. So etwas wie heute darf nie wieder passieren und wir können uns nicht für immer hier vom Rest der Welt isolieren und hoffen, dass uns jemand retten kommt denn das wird nicht passieren. Wir müssen die Initiative ergreifen und auf eigene Faust handeln. Ich habe nun lang genug mit dem Jungen gesprochen und bin überzeugt, dass wir ihm vertrauen können. Sie selbst sind im Besitz der gleichen Informationen wie wir doch leben nur von dem, was sich von Beginn an in dem Bunker befand. Sobald wir die Cover fertig haben brechen wir auf, die Maße gebe ich euch durch."
Vorsichtig und ohne auf Fragen zu warten ergreift er meinen Arm um mich zu stützen, während wir uns von den anderen zurückziehen, die das ganze erstmal verdauen müssen.
"Und du erklärst mir jetzt ganz genau wie es dazu kommen konnte, dass deine weltbeste Freundin diesen widerwärtigen Schmetterlingen zum Opfer gefallen ist." 

Covered - in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt