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Dameon atmet einmal tief durch und setzt sich dann aufrecht. Ich hocke mich ihm gegenüber auf den Boden. Nun ist er ein ganzes Stück größer als ich.
"Hoffnung ist ein großes Wort."
beginnt er grüblerisch und lehnt sich auf die Knie.
"Hör mal, ich weiß ihr habt bereits viel durchgemacht und ich will dir weder den Mut nehmen noch dich anlügen also sage ich wie es ist. Was wir vorhaben ist gefährlich und die Chancen dass es genauso abläuft wie erwartet sind verschwindend gering. Aber ich bin voller Hoffnung und Motivation."
Dameon lehnt sich weiter runter bis sein Oberkörper fast auf seinen Oberschenkeln liegt. Jetzt sind wir auf Augenhöhe und er lächelt so glücklich und ehrlich wie ich es seit Monaten nicht gesehen habe.
"Sollten wir da draußen sterben, dann haben wir etwas unvorstellbar Mutiges versucht und wir sind bereits so weit gekommen. Ich bin bereit es durchzuziehen und ich habe hier so viele Leute die ich mag und die mir beistehen. Wir sind alle nur Menschen und wir sind nicht allmächtig."

Dameons Charakter ist so rein, weil er den Stress, die Schuld, die Zweifel und die Angst nicht allein auf seine Schultern lädt. Er ist einfach glücklich mit sich und seiner Situation. Findet den nötigen Trost bei anderen und fokussiert sich nicht nur auf das Ziel sondern auch den Weg. Ich bin wahrlich beeindruckt.
"Wenn du dir ständig die Fragen stellst, die du mir heute über den Tag gestellt hast dann kannst du nicht von Hoffnung sprechen, Mia. Du kannst lediglich fragen, ob die Zweifel begründet sind."
Mit einem leisen Seufzen nicke ich und erzwinge ein Lächeln. Wirklich hilfreich war das nicht aber ehrlich gesagt fällt mir keine Antwort ein, die mich befriedigt hätte. 
"Ihr habt es bis zu uns geschafft, warum sollten wir es nicht bis zur Uhr schaffen?"
"Du hast ja recht. Ich finde einfach...naja diese ganze Situation ist eben bescheuert. Wenn ich richtig annehme werden die Leute die noch leben sicher von der Apokalypse oder gleich dem Ende der Welt sprechen und wer weiß. Es ist diese Ahnungslosigkeit. Ich habe das Gefühl wir stochern komplett im Dunkeln."
Erwidere ich vorsichtig, damit die anderen im Raum nicht von meiner Stimmung Wind bekommen. 
"Wortwörtlich."
Murmelt Dameon und legt mir seine warme Hand auf die Schulter. 
"Mia, so weit ich weiß spielst du in der ganzen Operation eine ziemlich große Rolle. Wenn du mit dem Gesichtsausdruck von einer Woche Regenwetter an den Start gehst, sind Probleme vorprogrammiert. Ich kann dir nicht vorschreiben wie du dich zu verhalten hast und das möchte ich auch nicht aber verstehe bitte welche Auswirkungen das haben kann."

In der nächsten Sekunde hockt auch schon Simon neben mir und drückt Dameons Hand von meiner Schulter. 
"Also anscheinend war das Verschwinden der Gruppe eine etwas verzweifelte Reaktion auf die unterbrochene Verbindung zu uns. Sie haben bei den Läden Halt gemacht und dort gewartet. Die zweite Gruppe war ja in Blickweite und ist deshalb schnell darauf aufmerksam geworden und gefolgt. Als wir dann die Höhe erreicht haben und uns die Horde an Schmetterlingen überrascht hat, konnten sie nicht mehr auf sich aufmerksam machen bevor wir in den Wald gesprintet sind."
"Meine Eltern", werfe ich hastig dazwischen. "Sie sind in Gruppe zwei. Sind sie okay?"
Simon sieht zu mir und nickt nur leicht. Noch immer hält er Dameons Handgelenk unsanft aber dann doch wieder irgendwie vorsichtig fest. 
"Wie dem auch sei. Gruppe Vier wollten sie nicht vom Pfad abbringen aber jemand hat Bewegungen an einem der Schaufenster ausmachen können und so sind auch sie zu dem Laden gekommen. Wie es aussieht hatten wir einfach Pech. Oder Glück? Wie man es nimmt."
Erleichtert atme ich auf und lehne mich an meinen besten Freund. Dieser lässt endlich Dameon los und wendet sich mir zu. 

"Es gibt da aber noch etwas."
Der Ton gefällt mir wiederum ganz und gar nicht. Zärtlich nimmt er meine Hand und seufzt. Viel leiser als zuvor räuspert er sich einmal und sucht nach den richtigen Worten. Auch Dameon kommt auf seinem Stuhl ein Stückchen näher gerollt um ihn besser zu verstehen.
"Gruppe Vier...also...wie soll ich das sagen.." 
Etwas frustriert kramt er in seinem Gehirn nach der passenden Formulierung und fährt sich dabei nachdenklich durch die Haare. Ich mache mich innerlich darauf gefasst zu schreien, zu weinen, vielleicht auch zu lachen? Was auch immer kommt, ich bin bereit. 
"Wir haben doch den Entschluss gefasst immer weiter zu gehen, egal was hinter uns bei einer anderen Gruppe passiert."
Ich schlucke schwer und nicke.
"Genau können sie es nicht sagen aber die Vermutung steht im Raum, dass die letzte Gruppe nicht mehr vollständig aus dem Laden kam. Sie hätten die Straße überqueren und somit das Licht auslösen müssen um in den Wald zu kommen, doch nach Gruppe zwei ist nichts mehr passiert und es sollen auch Schreie zu hören gewesen sein. Das ist allerdings nur eine Vermutung."
Sie sind also nicht geschlossen weiter gegangen sondern wieder in den Gruppen. Das würde erklären warum Rosalie so verstört war. Doch Simon war noch nicht fertig. Die Hiobsbotschaft hat einen Teil 2. 
"Gruppe Vier hat einen Großteil der Cover bei sich. Neben unserem waren zwei weitere Rucksäcke verteilt doch bei der Versammlung im Laden hat die letzte Gruppe sie beide übernommen, weil die anderen ziemlich fertig waren. Sollten die nicht hier ankommen, können wir kaum eine Handvoll Leute ausstatten und mitnehmen."
Dameons Schultern sacken ab und sein konzentrierter Blick wird zu einem ziellosen Starren. Er wäre gezwungen seine Leute in dem Bunker zurückzulassen. Auf sich allein gestellt.

Jetzt sind Simon und ich an der Reihe ihm Unterstützung zu bieten. Während ich ihm beruhigend die Hand auf die Schulter lege, greift Simon erneut nach seinem Handgelenk. Diesmal nur viel sanfter. 
"Das ist nur eine Vermutung." 
Beginnt mein bester Freund und ich schließe mich an. 
"Genau, warten wir Gruppe Zwei ab. Sie waren viel näher und wissen sicher wie die Lage aussieht. Die Schmetterlinge reagieren kaum auf Geräusche also ist vielleicht gar nichts dramatisches passiert. Wir werden sehen." 

"Ja."
Langsam steht Dameon auf und löst sich somit auch gleich von unseren Berührungen. 
"Wir werden sehen."
Mit einer Handbewegung wie einstudiert schaltet er das kleine Kommunikationsgerät an seinem Gürtel ein und fährt seinen Computer mit einem Knopfdruck herunter. 
"Entschuldigt mich."
Seine Stimme ist entschlossen wie zuvor doch seine Körpersprache schließt sich dem nicht so ganz an. Mein Magen rebelliert ein wenig, ich fühle mich so schuldig. Dameon verlässt sprachlos den Raum und Simon scheint es nicht anders zu gehen als mir. 
"Das ist unsere Schuld. Der Plan war zu schwammig und wir zu unaufmerksam."
Kaum bemerkbar nickt Simon und stützt den Kopf auf die Hand. Leise flucht er auf eine Art und Weise, bei der selbst Terra beeindruckt gewesen wäre und steht dann auf. Ich weiß nicht wie wichtig Dameon für das Überleben der Leute im Bunker ist. Doch das ist auch nicht der springende Punkt. Er ist genauso lange mit ihnen hier zusammen wie ich mit meinen Leuten aus der Fabrik. Es bereitet bereits mir Schmerzen, nicht zu wissen, ob sie tot oder auf dem Weg sind und Dameons Rolle hier war bei Weitem wichtiger. Und bei Weitem sozialer. Diese Menschen haben ihm wahrscheinlich bereits so viel Last von den Schultern genommen. 
Während Simon ebenfalls den Raum verlässt, sitze ich noch für weiß Gott wie lange auf dem Boden und male mir aus, wie es jetzt im schlimmsten Fall weiter gehen soll. Doch das Fazit ist immer das Gleiche. Wir müssen sie zurück lassen. 

Covered - in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt