"Wir geben es Rosalie."
Noch bevor Simon eine Idee äußern kann, steht meine Entscheidung fest. Rosalie ist weit unter Achtzehn und war seit dem Ausbruch der Viren noch nie draußen. Zudem hat sie noch kein Cover. Simon wird sie auf jeden Fall in die Gruppe der Kranken und Schwachen stecken. Läge es an mir diese Entscheidung zu treffen, würde ich es sicher nicht übers Herz bringen aber nun kann ich es zu meinem Vorteil nutzen.
"Gibt es hier noch eine Rosalie die ich nicht kenne?", fragt Simon verwirrt. Er kann meinen Gedanken gerade wohl nicht folgen also nehme ich ihm das Walkie-Talkie aus der Hand. Die Bedienung ist anscheinend einfach und es erfordert kaum Kenntnis.
"Nein, es gibt nur die eine und ich weiß, dass sie sehr jung ist aber ein so junges Mädchen denkt noch nicht so kompliziert und misstrauisch über alles nach wie die anderen hier. Wenn wir ihr Anweisungen geben wird sie ihnen einfach folgen."
"Nun...da es ihre einzige Aufgabe wäre uns zu sagen, was bei ihrer Gruppe gerade passiert könnte es funktionieren. Aber warum nehmen wir nicht einfach jemanden von den Erwachsenen die uns vertrauen? Die können das doch genauso gut."
"Simon, du hast selbst gesagt, dass diese Gruppe aus körperlich und geistig schwachen Menschen bestehen wird. Wir können niemandem davon trauen."Ich weiß noch nicht, wie wir die Leute unauffällig in solche Gruppen teilen wollen aber das soll Simons Sorge sein. Außerdem plane ich nicht auch nur eine Person sterben zu lassen auf unserem Weg. Und sollte doch der schlimmste Fall eintreten, werde ich Rosalie exakte Anweisungen geben um sich selbst zu retten. Sie ist zu jung um zu sterben. Sie ist meine zweite Chance für Terra...
"Ich kann deine Denkweise nicht nachvollziehen aber ich vertraue dir, okay? Wir werden das Walkie-Talkie also einer Elfjährigen geben."
Sie ist also doch erst Elf. Das ändert trotzdem nix an meinem Plan, auch wenn die Ironie in Simons Stimme nicht zu überhören ist. Ich habe sie oft mit anderen reden oder spielen hören, sie wird das schaffen. Ihre Art zu denken ist nicht logischer als bei anderen Kindern in ihrem Alter aber sie besitzt Risikobereitschaft. Sie hat mit mir ganz am Anfang manchmal die Zeit im Licht der Lampe geteilt, wenn ich meine bereits aufgebraucht habe aber das war relativ schnell wieder vorbei. Besonders viel über sie habe ich dabei nicht erfahren aber sie hat immer erzählt, dass sie ganz bestimmt an der Rettung der Welt beteiligt sein wird. Vielleicht kann ich ihr diesen Wunsch erfüllen.
Mit einem kurzen nicken stimme ich Simon zu. Direkt nach dem Aufstehen werde ich mit ihr reden.
"Hast du sonst noch Fragen? Den Rest erkläre ich dir unterwegs genauer. Ich werde knapp vor dem Aufbruch den anderen alles klären und du sprichst mit Rosalie, während du bitte kontrollierst, dass alle Cover fertig sind. Ich habe hier eine Liste auf dem Tisch, das musst du einfach abgleichen. Mir fehlt dafür die Zeit, wenn ich noch eine Runde Schlaf bekommen will."
"Bist du denn gar nicht aufgeregt? Und was ist mit Terra? Du hast kaum eine Miene verzogen!"
"Mia, ich habe Terra genauso geliebt wie du. Ich trauere um sie, ich werde für sie beten. Aber jetzt muss ich alles daran legen, dass uns nicht das gleiche Schicksal ereilt. Ich hab es dir doch schon erklärt."
Das hat er. Aber wahr haben will ich es noch immer nicht. Die Menge in der Haupthalle trauert allesamt aber das ist nicht genug für mich. Simon war für Terra wie ein großer Bruder und jetzt sitzt er mir gegenüber und könnte sich dafür nicht weniger interessieren. Zumindest sieht man es ihm nicht an und das ist es, was mich stört. Sie hat es verdient, dass man um sie weint.
"Wenn ich morgen da draußen sterbe, wirst du dann genauso ausdruckslos meiner Familie gegenüberstehen? Und alles mit ich trauere, aber... beginnen?"Er schweigt.
"Ich weiß, dass du nicht nach Moral sondern nach Logik handelst aber manchmal vergesse ich dadurch, dass du auch ein Mensch bist wie wir alle hier. Das ist es auch, was die Viren von den Schmetterlingen unterscheidet. So kannst du nicht die Geborgenheit geben, die wir morgen und in Zukunft brauchen!"
In seinen Augen spiegelt sich für einen kurzen Moment Erschütterung wieder. Kurz darauf eine Erkenntnis. Ohne ein weiteres Wort geht er an mir vorbei und verschwindet aus dem Raum.Ich will ihm folgen doch die Verwirrung bindet mich an meinen Platz. Das ist noch nie passiert. Simon gibt einfach nach? Mir? In so einer Situation? Aber als ich kurz darauf vorsichtig die Tür öffne, sehe ich ihn neben Terra's Mutter sitzen. Er sieht ihr nicht in die Augen aber spricht mit ihr, während sie zitternd zuhört. Weder die beiden noch jemand anderes in dem Saal bemerkt mich aber trotzdem schließe ich die Tür direkt wieder.
Es fühlt sich an als würden so viele Blicke auf mir ruhen und auf Anweisungen oder Taten warten. An die Tür gelehnt sehe ich aus einem der kleinen Fenster im Raum mir gegenüber. Aufgrund der Dunkelheit sehe ich fast nichts aber nach einer kurzen Zeit werden Sterne mehr und mehr sichtbar. Ich denke erst, dass ich halluziniere aber je länger ich hier stehe und die Ruhe zur Entspannung nutze, umso mehr Sterne kann ich sehen. Wenn die ganze Erde still steht, gibt sie uns trotzdem noch den Blick auf etwas so schönes frei. Ich weiß nicht, wie diese Welt überleben kann ohne Bewegung aber die Verständnislosigkeit ist es, was mich so reizt. Ich will es gar nicht verstehen. Vielleicht würde mich die Wahrheit erschüttern. Vielleicht geht die Welt ja langsam und unauffällig unter. Dann ist es dieses Unwissen, welches mich meine letzten Sekunden hier genießen lassen.
....
Wenn ich es wüsste, würde ich dann auch mehr und mehr zu einer leeren Hülle mutieren?
....
So wie Simon.
....
....Geweckt werde ich unsanft durch einen heftigen Ruck. Anscheinend bin ich beim Beobachten des Himmels eingeschlafen und habe die Nacht an die Tür gelehnt verbracht.
"Oh Mist, sorry!"
Gut, so wurde ich von Simon noch nie geweckt aber wir können es gern beim ersten und letzten Mal belassen.
"Hast du hier geschlafen?"
Simon betritt das Zimmer nachdem ich Platz gemacht habe und hilft mir auf.
"Ja und du?"
"Ich habe noch ein paar letzte Vorsichtsmaßnahmen getroffen bevor wir starten. Du weißt ja was du noch zutun hast."
Die gestrige Unterhaltung wird von keinem erneut aufgegriffen, als hätte sie nie existiert.
"Dir auch einen guten Morgen."
Simon seufzt und verschränkt die Arme.
"Guten Morgen, Mia. Ich hoffe du hast gut geschlafen. Können wir dann jetzt anfangen?"
Zufrieden nicke ich und nehme mir die Liste vom Tisch, auf welche Simon mich gestern hingewiesen hat. Darauf stehen eine ganze Menge Namen und Größen.
"Wenn du fertig bist treffen wir uns wieder hier. Und versuche den Fragen der anderen etwas aus dem Weg zu gehen,ja?"
Ich nicke erneut und gehe leise aus dem Raum. Jetzt muss ich erstmal Rosalie ausfindig machen.
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Covered - in der Dunkelheit
Teen FictionEin paar Monate ist es nun her. Wie lange genau kann keiner sagen, weil die Sonne schon seit Jahrzehnten nicht mehr von allein scheint. Die letzte funktionierende Uhr, eine große Atomuhr, steht in einer Stadt weit weg von hier. Sie ist es, die unser...