Den Rest der Zeit über der Erde denke ich über diesen letzten Satz nach. Könnte ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, mich darüber zu freuen, wenn ich bei diesem Test überlebe? Dann sind da auch Simon und Dameon. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir drei von den fünf wirklich schützenden Sachen bekommen? Ich habe zwei mögliche Auswege. Entweder stelle ich mich dem Versuch und hoffe auf das Beste, oder wir flüchten vorher. Die zweite Idee wäre mir natürlich lieber, es gibt ja noch immer die wahren Verbrecher von Assanon. Sie stellen eine weitere Gefahr da für unsere Sicherheit im Kreise dieser Menschen.
Nein, wir werden hier irgendwie entkommen! Und wenn ich mich allein darum kümmern muss dann sei es so. Ich habe so lange durch das Glas auf den Riss und die dahinter liegenden Trümmer geblickt, dass mir gar nicht aufgefallen ist, wie mit der Zeit die Beleuchtung drastisch gedimmt wurde. Wenn das bedeutet, dass die Schlafenszeit anbricht, ist das meine Chance. Behutsam öffne ich die Bodenluke und schlüpfe durch das Loch zurück in das Innere des Bunkers. Hinter einer Glastür sehe ich zehn dicke Säcke liegen. Auf ihnen wurde wohl der Inhalt ausgebreitet, welcher mich zwingt innezuhalten und genauer hinzusehen. Ganz oben liegt jeweils ein Cover. Und sie sind atemberaubend schön. Die Farben gleichen den Flügeln der Schmetterlinge. Leuchtendes, schimmerndes Silber mit schwarzen Pigmenten und geschwungenen Linien. Die Masken sind im Gesicht aus dünnem Glas, nur über Mund und Kinn liegt eine Art schwarzer Mundschutz. Sie sind alle zehn vollkommen identisch, es ist unmöglich zwischen ihnen zu unterscheiden. Dazu gibt es robuste Handschuhe und Stiefel in der gleichen Colorierung. Mehr kann ich nicht ausmachen, die Cover verdecken alles weitere. Aber mir bleibt auch keine Chance es zu versuchen, denn als ich einen Schatten in der Ecke des Raumes mit den Kostümen in Bewegung sehe, springe ich auf der Stelle von der Tür weg und stürze flink in einen anderen Gang. Erwischt zu werden ist das Letzte, was ich gebrauchen kann. Wenn alles bereits so ausgeklügelt und sorgfältig vorbereitet ist, kann es nicht mehr lange dauern. Ruhe bewahren, erstmal zu Dameon und Simon und ihnen von dem Vorhaben erzählen. Nur habe ich noch immer keine Ahnung, woher wir Waffen bekommen sollen.Beinahe reiße ich die Tür aus den Angeln, als ich in das Krankenzimmer renne. Aber das Adrenalin versackt so schnell wie es kam. Samantha steht, mit dem Rücken zu mir und einer Hand in die Hüfte gestemmt, mitten im Raum und hat Simon und Dameon anscheinend etwas in die Ecke gedrängt. Der Kleinere von beiden wirkt nervös, der andere angespannt. Als sie mich bemerkt, sehe ich das Walkie-Talkie in ihrer Hand.
„Sam? Was...ist passiert?"
Ganz vorsichtig tue ich einen Schritt zurück, stoße aber mit dem Rücken gegen die Tür, die sich mittlerweile wieder hinter mir geschlossen hat. Hätte ich sie nur eingetreten.
„Dreimal darfst du Raten."
Knurrt die Frau bedrohlich. Über ihre Schulter hinweg trifft mein Blick den von Dameon, der nur den Kopf schüttelt und mit den Lippen die Worte Tu's nicht! formt. Er steht hinter dem Bett von Simon. Ich verstehe die ganze Situation nicht aber wir stecken definitiv in der Klemme. Sam fixiert mich mit einem Blick, der so kalt und leblos ist wie nie zuvor und ich bekomme das Gefühl, gerade einen weiteren Teil meiner Familie zu verlieren.
Als ich nach weiteren Sekunden der stummen Folter weiterhin schweige, hält sie das Gerät in ihrer Hand nach vorn. Ihre Finger sind so verkrampft, dass die Knöchel weiß heraustreten.
„Gerade eben habe ich einen Funkanruf bekommen. Die Leute von Assanon werden heute Nacht eintreffen! Komisch, nicht?"
Das ist doch ein schlechter Scherz.
„Die Frau am Apparat war dieselbe, mit der die ganze Aktion geplant wurde also wer zur Hölle seid ihr wirklich?! Und wenn ihr mir noch eine Lüge auftischt, ist sie entweder so gut, dass ich sie nicht durchschaue oder ich schwöre bei Gott-"
Dann weiß kein anderer davon? Das ist doch super! Zumindest in Betracht der aktuellen Umstände, denn jetzt haben wir keine andere Wahl, als zu versuchen, Sam in unser Boot zu holen. Wenn ich den Worten ihres Vaters Glauben schenken kann, hat sie ein weiches Herz und kennt sich hier bestens aus. Also fasse ich all meinen Mut zusammen und stelle mich ihr aufrecht gegenüber. Was Überlebensstrategien angeht, ist meine Auswahl begrenzt und im Zickzack wegzurennen hilft im Moment eher weniger. Also halte ich den Blickkontakt. Sam zuckt keinen Muskel und wartet ruhig auf eine Erklärung.
„Wir haben dich nie angelogen,"
Beginne ich und lasse ihr keine Zeit für Einwände.
„Als Sora und ihr Trupp uns hier abgeladen haben, wussten wir von nichts. Ehrlich gesagt war ich mir sogar sicher, sie würden uns jeden Moment einfach erschießen. Aber dem war nicht so. Es war offensichtlich, dass wir für einen bestimmten Zweck am Leben gelassen werden, also wäre es doch reiner Selbstmord gewesen, die Karten auf den Tisch zu legen! Als ich vorhin bei den Obstbäumen gewesen bin, habe ich deinen Vater kennengelernt und wir haben uns etwas unterhalten."
Samanthas Augen weiten sich und sie lässt das Walkie-Talkie sinken. Langsam entspannt sich ihre Mimik doch diese bedrohliche Aura, die sie umgibt, schwindet nicht. Ganz oder gar nicht, wenn sie uns verrät, sind wir geliefert also kann ich auch meinen Teil des Plans offenlegen. Somit weihe ich die Jungs gleich mit ein.
„Er hat mir erzählt, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit bald den Viren draußen zum Fraß vorgeworfen werden und nicht einmal einen wirklichen Beitrag zur Rettung der Welt leisten! Darum habe ich entschieden, noch heute Nacht abzuhauen. Mit ein paar Schmerzmitteln für Simon und Waffen zur Sicherheit. Nur muss ich die irgendwie besorgen. Samantha, ich will nicht sterben! Und ich will auch meine Freunde nicht sterben sehen! Gerade du musst das doch verstehen!"
Mist, das war ein Schritt zu weit. Bei dem letzten Satz spannt sich der Unterkiefer der jungen Frau stark an. Warum bringe ich auch ihre Familie ins Gespräch? Verdammt! Selbst Simon scheint sich den Kontext zusammenzureimen und zieht scharf die Luft ein. Doch was geschehen ist, ist geschehen. Ich bereue diese Aussage so sehr! Aber die Verzweiflung hat mich immer weiter gedrängt. Gewaltsam drückt Sam mir das Walkie-Talkie in die Hand und lehnt sich zu meinem Ohr. Zur gleichen Zeit wird es im Raum ein ganzes Stück kälter.
„Wenn das Auto mit Assanons Leuten hier eintrifft, ist es für zehn Minuten stockdunkel in der Kuppel. Solltet ihr danach noch hier sein, werde ich kein Mitleid mit euch zeigen."
Murmelt sie, stößt mich unsanft zur Seite und verlässt den Raum.
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Covered - in der Dunkelheit
Teen FictionEin paar Monate ist es nun her. Wie lange genau kann keiner sagen, weil die Sonne schon seit Jahrzehnten nicht mehr von allein scheint. Die letzte funktionierende Uhr, eine große Atomuhr, steht in einer Stadt weit weg von hier. Sie ist es, die unser...