Felicitas
Das schlurfende Geräusch meiner Schritte hallte von den kahlen Wänden wider. Ich ließ die Schultern hängen, die Arme vor der Brust verschränkt. Dieser... Graf! Erst Wein anbieten und dann Laura hinterher laufen. Ich hatte doch nur gehofft, mit ihm reden zu können. Ihm vielleicht näher zu kommen. Laura war ja offenkundig nicht interessiert. Und ich? Ich wünschte mir etwas – von ganzem Herzen sogar – aber meine Wünsche wurden mal wieder ignoriert.
Seufzend ließ ich den Kopf hängen. Ein paar meiner silbrigen Strähnen fielen mir ins Gesicht. Ich schniefte und biss die Zähne zusammen. Ich würde nicht weinen. Nicht deshalb. Da hatte ich schon weit größere Niederlagen einstecken müssen. Zum Beispiel die Trennung von meinem Freund, die gerade mal einen Monat zurück lag. Aber gut, er meinte, er hätte keine Gefühle mehr für mich. Der Arsch. Zumindest hatte er früher welche gehabt, das milderte die Angelegenheit ein wenig.
Ich löste meine Arme aus der Verschränkung und steckte mir eine Strähne hinters Ohr. Und jetzt? Ratlos blieb ich stehen und sah mich um. Irgendwie war ich hierher gekommen... In einen Korridor, den ich bisher noch nicht kannte. Die Wände waren hier nicht von Ritterrüstungen sondern von blassen Gemälden geziert. Einige davon zeigten Kriegszenen, andere Landschaften. Wie ich zurück zu meinem Zimmer kommen sollte, war mir schleierhaft.
Gerade, als ich wieder auf Gut Glück losgehen wollte, wurde in unmittelbarer Nähe eine Tür aufgerissen. Erschrocken quiekte ich auf, riss die Arme hoch und kniff die Augen zusammen. In zusammengefahrener Haltung blieb ich schließlich stehen.
Erst, als eine sanfte und helle Männerstimme zu hören war, blinzelte ich vorsichtig. „Huch, entschuldige. Ich habe nicht erwartet, jemanden zu treffen." Meine Augen fanden starrten völlig gefesselt auf die Muskeln, die sich dezent unter einer blassen und ebenmäßigen Haut abzeichneten. Schlank und athletisch stand er vor mir, in einer recht engen schwarzen Hose. Ich starrte einen Augenblick zu lange auf seinen Oberkörper. „Ich nehm' das mal als Kompliment," meinte Herbert und grinste. Was ich erst bemerkte, als ich verwirrt aufsah.
Ich entspannte mich ein wenig und fuhr mir durch die Haare. „Sorry, ich... bin nur etwas überrascht." Verdammt, Herbert sah aber auch gut aus. Kein Wunder, dass selbst Kerle auf ihn standen. So göttlich, wie er aussah. Warum nur mussten alle guten Männer vergeben oder schwul sein?
„Oh, nicht so schlimm," winkte Herbert ab. „Ich hab ja auch nicht schlecht geguckt." Als ich in seine Augen sah bemerkte ich, wie er meine Haare anstarrte. Einen Augenblick lang schien er abzuwägen, ob er von ihnen fasziniert oder geschockt sein soll. Schließlich zog er die Augenbrauen zusammen und schüttelte leicht den Kopf. „Du musst eine der Neuen sein, oder? Felicitas?"
Ich nickte. „Ja, Feli vom Planeten Erde," meinte ich, ihm meine Hand hin haltend.
Etwas perplex sah Herbert auf die Hand, hob die Augenbrauen und nahm den Handschlag an. „Freut mich," erwiderte er. In seiner Stimme meinte ich etwas wie Skepsis zu hören. Doch das störte mich nicht. Der Rest der Anspannung fiel von mir ab. Eigentlich war Herbert ja auch nur ein Mensch. Ein etwas untoter... aber ein Mensch. Irgendwie. Der Grafensohn lächelte. „Sag mal, was machst du hier eigentlich? Dein Zimmer ist im anderen Flügel, oder?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Lange Geschichte," behauptete ich und runzelte einen Moment später die Stirn. „Naja, so lang vielleicht auch nicht. Ich war in der Bibliothek, mit Laura."
„Ja, Vater hat erwähnt, dass er sie euch zeigen wollte."
„Naja," fuhr ich fort. „Laura ist von den Büchern ja ganz begeistert. Aber ich kann mit denen irgendwie nicht so viel anfangen. Und nachdem ich Wein angeboten bekommen habe, ist dein Vater zwischen den Regalen zu Laura verschwunden. Und... naja... Ich hab mich etwas vergessen gefühlt." Ich zog den Mund schief. Auch erzählt war das ganze irgendwie unfair.
„Oh, dann haben Vater und deine Freundin wohl was gemeinsam. Er ist ganz vernarrt in seine Bibliothek. In Bücher allgemein. Es gibt kein Buch, das er nicht besitzt – oder zumindest die Kopie davon. Ist so eine Art Tick von ihm, die sammeln zu müssen. Deshalb auch der riesige Raum." Herbert schmunzelte vor sich hin.
Ich hätte alles gegeben um zu erfahren, worüber er so schmunzelte. Vielleicht darüber, wie dieser Tick entstanden war? Oder war es nur die Tatsache, dass sein Vater einen Tick hatte?
„Und Laura hat auch so eine Bücher-Euphorie?", fragte er schließlich.
Ich zog einen Schmollmund. „Ja, irgendwie schon. Sie konnt's gar nicht erwarten, in den Regalen zu stöbern."
Herbert lächelte und löste sich seinen Zopf auf. Feuchte Strähnen fielen über seine Schultern. Sie waren fast so hell wie meine Haare. „Dann hat Vater ja endlich einen Gesprächspartner gefunden," freute sich Herbert. Ich bemerkte, wie mir die Aussage etwas von der guten Stimmung verdarb. „Du bist nicht sehr erfreut darüber?"
Ich schluckte den Frust herunter. „Naja... Ich fühl mich halt irgendwie wie das dritte Rad am Wagen." Irgendwie war das seltsam, mit dem Sohn vom Grafen über so etwas zu reden.
Als würde er mich blind verstehen, wechselte Herbert das Thema. „Wie wär's mit einem Rundgang durchs Schloss? Du kennst dich ja noch nicht so gut aus. Und für den Fall, dass du nochmal vergessen wirst, solltest du dich ein wenig orientieren können, nicht wahr?" Herbert lächelte mich an, während er einen Knoten aus einer der Strähnen löste.
„Äh, ja. Wär cool, klar." Ich versuchte, nicht ganz so überrascht zu klingen, wie ich war. Dass er mir das vorschlägt, hätte ich nicht erwartet. Aber warum eigentlich nicht? Ich setzte ebenfalls ein fröhliches Lächeln auf, das eher in ein Grinsen ausartete.
„Wunderbar!" Das Gesicht des Grafensohnes hellte sich schlagartig auf. „Wo fangen wir denn an? In der Eingangshalle? Oder doch auf den Zinnen? Oh, Feli, du musst die Zinnen sehen! Man hat da so einen wundervollen Ausblick! Du kannst da die Sterne sehen und die schneebedeckten Tannen des Waldes..." Er schwärmte vor sich hin. Ich meinte sogar einen leichten Glanz in seinen grauen Augen. „Und das Musikzimmer! Ich kann dir etwas vorspielen, am Flügel. Glaub mir, ich werde dich verzaubern. Komm, ich zeig's dir," fuhr er fort und legte mir schon eine Hand auf die Schulter.
Doch ich hob überfordert die Hände. „Moment!" Ich lächelte. Was sollte ich auch sonst tun? „Ist ja toll, dass du das mit mir machen möchtest, aber... Willst du dir nicht erst was über ziehen?" Ich deutete mit einer nickenden Geste auf seine Muskeln.
Er legte den Kopf schief. „Warum, gefällt dir das nicht?", fragte er neckend.
Ich schmunzelte. „Ich will mich nicht beschweren. Aber es könnte kalt werden, wenn wir noch auf die Zinnen gehen."
Herbert wog das Argument ab. Dann gab er schließlich nach. „Okay, dann entschuldige ich mich mal für einen Moment." Er huschte an mir vorüber und verschwand in einem Zimmer gegenüber dem, aus dem er gekommen war.
Ich musste nicht lange warten, bis er in hellem Hemd und dunkler Weste darüber wieder heraus kam. Die Haare waren wieder mit einer Fliege zusammen gebunden, überm Arm trug er einen hellen Frack. „Nun, wollen wir?" fragte er und bot mir seinen Arm an.
Ich hakte mich freudig ein. „Gerne," antwortete ich und ließ mich von ihm durch die Gemäuer führen.
So lernte ich den Westflügel kennen, in den ich mich zuvor verirrt hatte, erfuhr von Salons und Kaminzimmern, die im ganzen Schloss verstreut waren und von den Treppen, die Stockwerke und Korridore miteinander verbanden. Außerdem lernte ich die Namen mancher Ritter kennen, denen die aufgestellten Rüstungen gehört hatten. Und ich wurde einigen portraitierten Persönlichkeiten vorgestellt.
Danach führte Herbert mich auf die Zinnen, zeigte mir die Aussicht und die Sterne. Er erklärte mir, was sich wo auf dem Schlossgelände befand. Dazu gehörte auch ein Friedhof, von dem er behaupte, es spuke dort. Ich lächelte. Und lächelte weiter, als Herbert mich in das Musikzimmer führte und mir eine unbekannte Sinfonie auf dem Flügel vortrug. Es klang herrlich. Er erklärte, diese Art von Musik würde sein Vater bei den Mitternachtsbällen bevorzugen, die einmal im Jahr stattfanden. Und er erntete meine Anerkennung, als er das Stück als eigene Komposition 'Geliebter der Nacht' betitelte.
Im Anschluss führte er mich in eine Art Ahnengalerie, erklärte mir seine Verwandtschaft zu den dargestellten Personen und welcher Held wie gestorben war. Manche davon wirkten furchteinflößend. Doch Herbert versicherte mir, sie würden noch beängstigender wirken, wenn sie nachts aus ihren Gräbern krochen und über den Friedhof geisterten.
Der nachfolgende Raum war ein riesenhaft anmutender Saal gewesen, mit Spiegelwänden und reichlich groteskem Dekor. Statt wie in anderen Schlössern Engel sahen hier Dämonen und Fratzen auf den Betrachter. Laut Herbert waren es heidnische Götter. Der Erbauer des Schlosses hätte eine Leidenschaft für sie gehegt.
Und dann hatte ich gegähnt. Ich hatte nicht bemerkt, wie spät es geworden war. Herbert begleitete mich zu meinem Zimmer und erklärte mir noch, wie ich vom Westflügel aus überhall hin kam und dass ich mir das Verhalten seines Vaters nicht zu sehr zu Herzen nehmen sollte, er finde sicher in der kommenden Nacht für mich Zeit. Dann war ich in meinem Gemach verschwunden und hatte mich ins Bett gelegt, ohne auch nur noch einmal an Laura zu denken. Lieber stellte ich mir vor, wie der Graf mich zu einem Tanz einladen würde, während Herbert uns mit seiner Sinfonie begleiten würde.
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Zukunft ist Vergangenheit
FanfictionTanz der Vampire (TdV) // Was soll schon schief gehen, wenn man sich eines seiner Lieblings-Musicals ansehen möchte? Nun, für Laura scheint das Schicksal nicht viel Humor übrig zu haben. Mit ihrer neuen Bekanntschaft Feli gerät sie in einen Strom de...