Kapitel 9 - Erklärungsnot

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Felicitas

Ich liebte seine Augen. Die dunklen Schatten, die seine Augenhöhlen markierten. Das undefinierbare Glänzen, wenn sich das Feuer in ihnen widerspiegelte. Die Abwesenheit in ihnen, wenn er so leer in das Licht starrte. Wie zwei blaue Diamanten, so funkelnd und kalt.
Ich atmete gelassen aus und lehnte mich in dem Sofa zurück, das Weinglas in der Hand drehend und das aristokratische Gesicht meines Gegenübers musternd. Diese hohen Wangenknochen... Sie betonten die tiefen Augenhöhlen noch. Die schmale, leicht nach außen gebogene Nase hatte etwas Majestätisches an sich. Der rote Schimmer auf den grauschwarzen Haaren des Grafen tanzte im Rhythmus der Flammen.
Ich hob das Glas zu meinem Mund und nahm einen Schluck von der trüben, roten Flüssigkeit. Der Wein schmeckte wie Samt auf der Zunge. Pelzig und aromatisch, nach Trauben und Sonne. Nach dem Schlucken blieb eine säuerliche Note im Rachen hängen.
„Schmeckt dir der Wein?", drang die weiche Stimme des Grafen an mein Ohr. Ich sah auf und blickte in seine durchdringenden Augen. Das Blau war so hell, dass es fast blass wirkte. Wie durchscheinendes, klares Wasser. „Es ist ein guter Jahrgang, an der Küste Italiens gereift."
Mein Kopf nickte unbewusst. „Er schmeckt gut. Ich kenn mich nicht so aus mit Wein," gestand ich. Meine Wangen fühlten sich warm an. Ich war froh die Lehne der Couch im Rücken zu spüren, um nicht mein Gleichgewicht zu verlieren.
„Das müssen wir ändern, liebe Felicitas. Ich habe so viele Kostproben in meinen Weinkellern." Er schwenkte das Rot in seinem Glas behutsam hin und her. An seinen Mundwinkeln zupfte ein Lächeln, doch es verblasste bereits wieder im Ansatz.
„Ich könnte sie sicher nicht auseinander halten," seufzte ich. Mein Kopf fühlte sich seltsam leer und voll zugleich an. Es war schwer, das zu sagen, was man wollte.
„Das macht die Übung, keine Sorge. Wenn man sich sensibilisiert, dann nimmt man viele Dinge anders wahr."
Ich nickte stumm meinem Glas zu und schloss für einen Moment die Augen. Die Dunkelheit drehte sich gemächlich. Wäre ich nicht so durstig gewesen, hätte ich womöglich aufgehört, zu trinken.
„Das Kleid heute steht dir wirklich prächtig," durchschnitt seine Stimme sanft die Stille. „Es betont deine Augen."
Ich hob ob des charmanten Komplimentes meine Lider wieder. Der Graf sah jedoch bereits wieder in die knisternden Flammen. Errötend senkte ich den Blick auf den Stoff meines Kleides. „Es hat mir am besten gefallen, ohne überladen zu wirken."
„Eine gute Wahl," bestätigte er mich. Ich lächelte versonnen. „Durch das Blau werden deine Haare in den Vordergrund gerückt." Für einen Augenblick betrachtete er mich, musterte meine offene Frisur, die mir über die Schulter fiel. „Sag, wie kam es zu dieser... außergewöhnlichen Farbe?"
Ich runzelte die Stirn und nahm eine Strähne in die freie Hand. Mit zusammengezogenen Augenbrauen begutachtete ich sie, ehe ich mit den Schultern zuckte. „Das war ein... Experiment. Eigentlich bin ich nur blond." Ich ließ die Strähne durch meine Finger gleiten. Was sollte ich dem Grafen schon sagen? Dass ich regelmäßig zum Frisör ging und mir weit ausgefallenere Farben aussuchte? Da war Silber noch das geringste Übel.
Ich lehnte mich wieder zurück an die Lehne des Sofas. Der Wein stieg mir allmählich zu Kopf. Schon jetzt zog der Alkohol unangenehm an den Schläfen. Seufzend fuhr ich mir mit einer Hand über die Stirn, während die andere das Weinglas balancierte.
„Selbst blond ist hier auf dem Lande eine eher seltene Färbung. Ihr kommt aus der Stadt, nicht wahr?"
Ich starrte an die mit Stuck besetzte Decke. Meine Wangen blähten sich auf, als ich prustend die Luft ausstieß. „Ja, Bukarest. Ein abgelegenes Viertel." Abgelegen war mein Viertel eigentlich ja auch. Nur dass ich nicht aus Bukarest kam. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, wo Bukarest überhaupt lag. In Rumänien, aber wo genau war mir schleierhaft.
„Bukarest ist eine schöne Stadt, nicht wahr? Ich habe leider viel zu selten die Gelegenheit, zu reisen. Vielleicht kannst du mir ja irgendwann die schönsten Ecken zeigen?" Der Graf stellte sein Glas ab und goss sich einen Schluck nach. Der Wein in der dunklen Karaffe aus Kristallglas schien geradezu schwarz zu sein.
Er blieb dabei so ruhig, ließ das Rot gemächlich im Glas gurgeln. „Bei Gelegenheit," antwortete ich. „Ich habe allerdings selbst noch nicht sehr viel von der Stadt gesehen." Um nicht zu sagen: gar nichts.
Der Graf platzierte die Karaffe mit einem leisen Klimpern wieder auf der Holzplatte. Dann griff er nach seinem Glas und lehnte sich in die Polster seines Sessels zurück. Beiläufig, jedoch nicht ohne Eleganz, legte er die Beine übereinander. Ich konnte nicht anders, als mir die Muskeln unter der engen Hose auszumalen. Wobei ich dazu nicht einmal viel Fantasie benötigte. „Kennt deine Freundin sich besser in Bukarest aus?"
Verwirrt sah ich auf. Dieser Sprung kam abrupt. Etwas perplex versuchte ich meine Gedanken zu ordnen und den Kopfschmerz zu ignorieren. „Ich weiß nicht," wich ich aus. „Ich glaube nicht." Um nicht mehr sagen zu müssen, trank ich den Rest von meinem Wein und stellte das samtige Gesöff auf dem Tisch ab.
Ein Fehler, wie ich bemerkte. Denn sogleich lehnte sich der Schlossherr wieder vor und goss behutsam nach. Ich verkniff mir eine wehleidige Miene. Viel mehr Wein vertrug ich sicher nicht. Doch ich wollte nicht unhöflich sein. Also murmelte ich ein „Danke," und nahm das hochstielige Glas wieder in die Hand, um mich damit nach hinten zu lehnen.
Während der Graf wieder abwesend in die kleiner werdenden Flammen starrte, ließ ich meinen Blick durch das Kaminzimmer schweifen. Eine Wand war gesäumt von hohen, schwarzen Schränken, in deren Glasvitrinen diverse Gefäße glänzten. Dem gegenüber lag die Feuerstelle, vor der ein Sofa und ein Sessel, sowie ein kleiner Beistelltisch platziert waren. Vor dem Feuer lag ein dunkles Wildschweinfell. An der Wand zur linken hing ein gewaltiges Hirschgeweih vor einer dunkelgrün gemusterten Tapete. Die untere Hälfte war dunkel getäfelt, in demselben Holz, aus dem auch der Schrank bestand. Dieselbe Täfelung fand sich an der rechten Wand wieder, wo jedoch zusätzlich ein hohes Fenster und grünliche Vorhänge platziert waren.
„Wenn ich mir eine Frage erlauben darf..." Ich zuckte zusammen, als plötzlich die dunkle Stimme des Grafen den Raum erfüllte. Als ich zurück zu ihm blickte betrachtete er mich mit einem Hauch Desinteresse...
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. „Ja?"
Ein seltsamer Zug legte sich um seine Augen. „Was war das für eine merkwürdige Melodie, die aus deiner Tasche erklungen war?" Er betrachtete mich abwartend, fast lungernd. Als sei er hungrig, auf meine Antwort.
Mein Herz schlug unfreiwillig schneller. Ich spürte, wie mir heiß im Gesicht wurde. „Das? Das war... Das war nur so eine Erfindung gewesen. Von einem Freund. Nichts Besonderes, es funktioniert noch nicht richtig." Mir lief ein Schweißtropfen die Schläfe hinab.
„Eine wahrlich beeindruckende Erfindung." Wieder zupfte ein unbestimmtes Lächeln an seinen Mundwinkeln. „Darf ich fragen, von wem sie stammt? Ich bin gerne im Bilde über den Fortschritt der Zeit."
Ich schüttelte etwas zu hastig den Kopf. „Das kann ich nicht verraten."
„So? Warum denn nicht? Ein so kluger Kopf sollte nicht unentdeckt bleiben."
„Nein. Ich darf es nicht sagen. Er... Er will nicht genannt werden." Ich nahm einen Alibi-Schluck vom Wein.
„Weshalb sollte er nicht genannt werden wollen?" Auch der Graf hob sein Glas und nahm einen Schluck von der rot schwappenden Flüssigkeit.
„Weil er... naja... weil er..." Ich spürte mein Herz bis zum Hals pochen. Mir wurde schwindlig von der Erklärungsnot. „Er... will es nicht... falls etwas schief geht." Ich lächelte unbeholfen. Gut lügen war nie meine Stärke gewesen.
„Also möchte er nur den Ruhm ernten, wenn das Experiment glückt?" Der Graf hob eine der dunklen, edel geschwungenen Augenbrauen.
„Ja. Ja, so in etwa." Erleichtert atmete ich aus.
„Das ist natürlich auch ein Weg. Er sollte nur aufpassen, dass ihm die Idee nicht von anderer Hand geklaut wird. Die Jagd nach Ruhm ist heutzutage erbarmungslos." Etwas an der Stimme des Grafen rief Unbehagen in mir aus.
„Ich werde es ihm ausrichten," beendete ich meine missliche Lage. Nur nicht weiter über Experimente reden. Da gab es einfach zu viele Dinge, bei denen man sich verplappern konnte.
„Nun, Laura schien dieses... Experiment auch nicht sonderlich zu gefallen. Sie war geradezu erpicht darauf, die Melodie zu stoppen."
Ich schloss die Augen, um nicht länger dem durchdringenden Blick des Grafen standhalten zu müssen. Außerdem wurden die Kopfschmerzen wieder schlimmer. Ich stellte mein Glas ab und massierte unbewusst meine Schläfen. „Sie ist noch nicht überzeugt davon," antwortete ich. Nur nicht zu viel sagen.
„Ich kann es ihr nicht verübeln. Klänge aus diesem dünnen Brettchen erscheinen vielen Personen sicher als Hexerei." Der Graf sah wieder mit seiner desinteressierten Miene in die Flammen. Nur waren seine Lider diesmal ein wenig herab gesenkt, sodass er zudem noch müde aussah. Der Schein des Feuers tanzte warm auf seiner blassen Haut.
Ich schloss die Augen wieder. Wann hatte ich sie überhaupt geöffnet? Das wollte ich nicht! Mein Ex hatte auch immer gesagt, man könne aus mir lesen, wie aus einem offenen Buch. Das war doch unfair! „Es ist keine Hexerei. Nur Technik," meinte ich und massierte mit stärkerem Druck.
„Glaube mir, so manches, was die Menschen nicht verstehen, wird von ihnen als Zauberei verschrien." Ich öffnete doch wieder die Lider. Mir gegenüber saß noch immer der Graf, lässig in die Polster gelehnt und mit einem unheilvoll wissenden Lächeln auf den Lippen. Hinter dem fein geschwungenen Mund konnte ich weiße Zähne erahnen.
Mir war, als zöge kalte Luft durch den Raum. Die heruntergebrannten Holzscheite knisterten protestierend. Auf meinen Armen breitete sich eine Gänsehaut aus.
„Ist dir kalt?", fragte der Schlossherr und lehnte sich vor, sah mir dabei forschend in die Augen.
Ich nickte beklommen und rieb mir die Arme.
Der Graf lächelte mit spitzen Zähnen. „Keine Sorge, mein Diener wird sich darum kümmern." Dann rief er in einem markerschütternden Schrei nach „KOUKOL!", ehe er sich entspannt zurück in die Polster sinken ließ und selig lächelnd in die Glut starrte.

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