Kapitel 12 - Dinner for two

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Die Dunkelheit und die vertrauten Bilder von meinem Zuhause verblassten schlagartig, als ein lautes Klopfen meinen Schlaf störte. Blinzelnd lag ich in dem Himmelbett, die Zudecke und ein darüber befindliches Fell bis an die Ohren hoch gezogen. Als meine Augen den Baldachin erkannten, entkam mir ein enttäuschtes Seufzen.
Ich war immer noch hier. Auf dem Schloss. Mit seinen mörderischen Bewohnern. Allen voran dem Grafen, dessen unglaublich geheimnisvolle Art mir gehörig gegen den Strich ging. Da ließ der sich einfach mal einfallen, in meinem Kopf herum zu spuken! Als wenn ihn das etwas anginge! Zumal mich jeder Außenstehende für verrückt halten musste, wenn ich unzusammenhängend in die Leere quatschte, weil eine gewisse Person nicht verbal mit mir kommunizierte.
Das erneute Klopfen erinnerte mich daran, dass jemand auf Einlass wartete. Wollte ich Feli jetzt schon sehen? Die Entscheidung wurde mir abgenommen, als die Tür sich gemächlich quietschend aufschob. Ich sah nicht auf. Dass ein blonder Schopf neugierig in mein Zimmer spähte, wusste ich auch so.
„Du kannst rein kommen,“ murmelte ich.
„Oh,“ hörte ich Felis Überraschung. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich wach war. „'Tschuldigung, wenn ich dich geweckt hab.“ Sie betrat mein Zimmer ganz und schloss die Tür hinter sich. „Hast du gut geschlafen?“
Täuschte ich mich, oder war da jemand ziemlich gut gelaunt? „Hast mich nicht geweckt. Ich fühle mich heute nur nicht in der Lage, aufzustehen.“ Ich wühlte meine Arme unter der Decke hervor. E war wirklich mollig warm unter dem Fell. Sobald die Sonne jedoch ins Zimmer fiel, kam man aus dem Schwitzen fast nicht mehr raus. Auch wenn von den Fenstern Kälte herein kroch. „Ob ich gut geschlafen habe, kann ich nicht sagen. Lange: ja. Aber irgendwie fühle ich mich wie gerädert.“
Feli kam zu mir und setzte sich auf meine Bettkante. Ihre ganze Ausstrahlung war heute euphorisch und optimistisch. Vielleicht hatte sie jetzt ja einen Plan, wie sie den Grafen um den Finger wickeln konnte. „Na wehe du wirst mir krank,“ meinte sie grinsend und stupste mir mit der Faust gegen die Schulter.
„Keine Sorge, gesundheitlich bin ich fit.“ Ich zwang mich zu einem Lächeln, das Feli anscheinend zufrieden stellte.
„Dann ist ja gut. Koukol war vorhin übrigens da. Ich glaube, wir sollen nachher zum Abendbrot in den Speisesaal kommen.“
„Zum Abendbrot?“
„Ja, was denn sonst?“
Ich runzelte die Stirn. „Wie spät ist es denn?“
„Vier Uhr. Ungefähr.“ Feli strich sich die Haare nach hinten aus der Stirn.
Ich rieb mir mit den Händen übers Gesicht. „Oh Gott, ich habe ja echt lange geschlafen!“
„Was hast du gestern eigentlich gemacht?“ Feli fing an, wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen. „Bist du einen Marathon gelaufen?“
„Ja klar,“ meinte ich. „Von hier zum Dorf und wieder zurück.“
Jetzt wurden Felis Augen größer. „Echt jetzt?“
„Nein!“ Ich ließ meine Arme schlaff auf die Decke sinken. „Sonst wäre ich sicher nicht zurück gekommen.“
„Ach so.“ Für einen Augenblick sah Feli ins Leere, ehe sich ein Lächeln auf ihre Lippen stahl. Sie hatte ja ziemliche Stimmungsschwankungen heute...
„Ich glaube, ich stehe jetzt langsam mal auf. Immerhin wird’s ja fast schon dunkel,“ durchbrach ich schließlich die Stille. Feli nickte zustimmend, machte aber keine Anstalten, sich von meiner Zudecke zu erheben. „Ähm... Feli?“
„Ja?“ Erwartungsvoll sah mich meine blonde Begleitung an.
„Könntest du bitte aufstehen, sonst komm ich schlecht hier raus.“ Einen Augenblick lang sah sie mich verdutzt an, dann schien ihr die Glühbirne an zu gehen.
„Ach so! Ja, klar.“ Sofort sprang sie auf und lächelte entschuldigend. „Tut mir leid, ich will deinem Tatendrang ja nicht im Wege sitzen.“ Sie grinste breit. Herrjeh, war sie gut gelaunt!
„Danke.“ Ich schälte mich aus meinen Zudecken. Kaum dass ich sie verlassen hatte fehlte mir die Wärme. An ihrer Stelle erfüllte jetzt Schlappheit meine Glieder.
„Ich geh dann schon mal rüber und zieh mich an,“ erklärte Feli, sich eine Strähne hinters Ohr steckend. „Weißt du schon, was du heute anziehst?“
„Das, was ich gestern auch an hatte.“
Zweifelnd stemmte Feli die Hände in die Hüften. „Wirklich? Ich meine... Du hast doch so eine große Auswahl, die kann man doch nutzen.“
„Kann man, muss man aber nicht,“ hielt ich dagegen. „Außerdem hat der Kleiderschrank etwas gegen mich, ich sag’s dir. Von den Kleidern, die mir gefallen, ist das einzige in meiner Größe von Motten zerfressen.“ Außerdem wollte ich nicht die indirekte Aufforderung des Grafen, mich hübsch zu machen, annehmen. Sollte der doch warten, bis er schwarz wurde. Von meiner Seite würde keine Annäherung kommen, auch wenn seine Art irgendwie faszinierend war. Allerdings auch ebenso verstörend.
„Hm, das ist natürlich blöd.“ Feli zog eine Schnute, zuckte dann aber schlicht mit den Schultern. „Dann ziehst du das von gestern an, das sieht ja auch toll aus. Ich such mir in der Zeit was Hübsches raus, ok?“
Ich nickte, lächelte meiner Freundin – zu der sie ja inzwischen irgendwie geworden war – zu und beobachtete sie schließlich, wie sie fröhlich in ihr Zimmer zurück ging.
Ich atmete tief durch, fasste den Entschluss das Beste aus meiner Situation zu machen und widmete mich dem roten Wulst aus Stoff, der mich wieder schmücken würde. Ich konnte ohne Feli nicht weg von hier. Das ließ mein Gewissen nicht zu. Sie war ja meine Freundin. Ich konnte sie nicht im Stich lassen. Es ging einfach nicht.
Die Erkenntnis trieb mir eine Träne in den Augenwinkel. Ich würde sterben. Mit Feli. Weil ich einfach zu weichherzig war. Aber was nützte es schon, egoistisch zu sein? Ich wusste ja nicht einmal, wie ich aus diesem Albtraum heraus kommen sollte.
Eine gute viertel Stunde später stand ich im roten Kleid vor dem Spiegel, zupfte an der Spitze meines Ausschnittes herum und versuchte meine Haare in Form zu bringen. Ohne Föhn und Haarspray jedoch ein hoffnungsloses Unterfangen. Zum Glück unterbrach mich das Klopfen von Feli in meinem Vorhaben.
Ich sah vom Spiegel auf, rief ein „kannst rein kommen!“ der Blonden zu und kam ihr ein paar Schritte entgegen.
Als die Tür sich öffnete trat eine solariumbraune Frau mit silberweißen Haaren in einem Traum aus Türkis und Weiß ein. Mir blieb die Kinnlade offen stehen, ehe ich von Felis Kichern aus meiner Trance erlöst wurde.
„Du guckst wie ein Frosch!“, gluckste sie.
Ich verschränkte die Arme ineinander. „Ach ehrlich?“ Trotz des schnippischen Tons stahl sich ein Grinsen auf meine Lippen. „Muss wohl heut Nacht einen verschluckt haben.“
„Durchaus möglich, so wie du geschnarcht hast.“ Feli fing an, richtiggehend zu lachen. Sie musste sich den Bauch halten, um nicht umzukippen.
Ich stemmte empört die Fäuste in die Hüften. „Ich schnarche nicht!“
„Tust du doch!“ Sie stützte sich an den Türrahmen. „Hättest dich mal hören sollen.“
„Ach quatsch!“ Ich schnaufte amüsiert, konnte mich selbst nur schwer vom Lachen fernhalten. „Das war bestimmt nur der Graf. Der braucht halt seinen Schönheitsschlaf.“ Jetzt fiel es mir noch schwerer, nicht los zu prusten.
Feli jauchzte lauthals. „Oh je... Das sollte der lieber nicht wissen, was wir hier über ihn reden!“
Plötzlich war mir nicht mehr nach Lachen zumute, doch Feli zuliebe zwang ich mich, weiter zu grinsen. „Das erfährt der doch nicht,“ log ich. Denn so sicher war ich mir nicht. Ich würde das Gespräch nicht so schnell vergessen können. Und wenn er dann bei mir oder Feli im Kopf schnökerte... Das konnte unangenehm werden.
Feli bekam sich allmählich wieder ein. „Apropos,“ meinte sie, nach Luft japsend. „Sollten wir nicht langsam runter in den Speisesaal?“
Ich schielte zu der Standuhr in meinem Zimmer. Das Ziffernblatt war nur noch schemenhaft zu lesen. Die Sonne war bereits unter gegangen, das Feuer im Kamin spendete nicht genügend Licht, um die Stellung der Zeiger eindeutig zu lesen. „Wir können ja einfach mal runter gehen und sehen, was uns erwartet,“ schlug ich vor.
Feli nickte zustimmend. Dann hakten wir uns einander in den Armen ein und verließen mein Zimmer.
Die Flure waren von Fackeln in den Wandhalterungen beleuchtet. Das dämmrige Zwielicht erzeugte eine urige, aber irgendwie auch gruselige Atmosphäre. Die zuckenden Schatten ließen Ritterrüstungen und Portraits lebendig aussehen. Die Augen der dargestellten Personen verfolgten uns beinahe. Hungrig und lauernd. Sie erinnerten entfernt an den Blick des Grafen.
Ich unterdrückte ein Erschauern und richtete meinen Blick starr geradeaus. Wenn ich den Dingen keine Beachtung schenken würde, konnten sie mir auch keine Angst machen. Tatsächlich funktionierte das nur sehr bedingt. Am besten dann, wenn nichts bedenkliches die kahlen Wände schmückte. Ansonsten konnte ich die leise Panik kaum verdrängen.
Umso erleichterter war ich, als ich endlich das Portal zum Speisezimmer sehen konnte. Gerade, als die Erleichterung in Form eines Seufzens ihren Weg nach draußen finden wollte, machte das Unbehagen ihr einen Strich durch die Rechnung. Mir war flau im Magen. Der Graf konnte dort drin sein. Und er würde sich glasklar an unsere Unterhaltung vom Vorabend erinnern.
Ehe ich den Schwanz einziehen konnte öffnete Feli die Tür, vor Freude strahlend und schwungvoll. Ich fragte mich einen Augenblick lang, auf welcher Droge sie war, dann hatte ich schon einen Kloß im Hals. Der Graf saß am Kopfende der Tafel, begutachtete in völligem Desinteresse seine Fingernägel, die man fast Klauen taufen konnte.
Als er Feli und mich bemerkte, sah er auf, betrachtete uns musternd – Feli mit einem seltsamen Glanz in den Augen, mich mit trockener Nüchternheit – und gab und einen Wink mit der gerade begutachteten Hand. „Bitte, kommt herein. Ich lasse gerade eine Mahlzeit für euch vorbereiten, setzt euch doch.“
Die Vorfreude in seinem Blick konnte ich nicht teilen. Doch ich folgte seiner Aufforderung, wenn auch mit weit weniger Eifer als Feli. Als ich schließlich saß, trank ich gleich einen Schluck aus meinem mit Wasser gefüllten Weinglas.
„Vielen Dank für die Einladung zum Essen, Eure Excellenz,“ meldete sich Feli zu Wort.
„Nicht dafür, Felicitas. Ich bin gerne in Gesellschaft,“ konterte der Graf. Das triumphierende Funkeln in seinem Blick machte mich stutzig.
Er funkelte sie an, sie funkelte ihn an. Beide waren von Zufriedenheit erfüllt. Und trotzdem war der Ausdruck Felis wie der eines verliebten Mädchens, während der des Grafen nur gewinnend anmaßte.
Als eine Tür aufgestoßen wurde sah ich mich um. Koukol brachte zwei Teller mit dampfendem Belag herein. Als der Bucklige einen davon vor mir und den anderen bei Feli platzierte, musste ich ihn stumm loben. Goldgelbe Kartoffeln, rotbraun geschmortes Fleisch, Bohnengemüse. Zu alledem eine dunkle Soße, die nicht einmal zu dünnflüssig war. Insgeheim lief mir das Wasser im Mund zusammen. Wie lange hatte ich nicht angemessen gegessen? Seit Brot und Käse gab es nicht viel Genießbares. Gott mochte gnädig sein, dass dies hier so schmackhaft war wie es aussah.
Das Besteck neben dem Teller schrie blank geputzt geradezu danach, benutzt zu werden. Ich wäre seinem Hilferuf gerne nach gekommen. Doch da war so etwas wie gute Erziehung, die mich daran hinderte. Normalerweise eröffnete der Hausherr das Essen. Der jedoch saß – wie zu erwarten – nur mit einem Glas Rotwein da. Kein Essen. Also auch keine Chance an ihm fest zu machen, wann wir anfangen durften.
Feli sah hilfesuchend zu mir. Auch sie war sich wohl unsicher. Tolle Wurst. Und jetzt? Ich starrte auf meinen Teller, auf die verlockend dampfenden Kartoffeln. Dann blickte ich auf zum Grafen, doch der betrachtete gerade in sehr triumphierender Geste Feli, die wiederum noch immer mich anstarrte. Ja Herrgott! Was sollte ich denn bitte tun?
„Euer Hochwohlgeboren – wenn Ihr so freundlich wäret, die Speisung zu eröffnen,“ formte ich auf gut Glück einen eher sarkastisch angehauchten Gedanken.
Zu meinem Unglück bemerkte ich in genau dem Moment diesen Druck auf den Schläfen.
Wohlgemerkt, liebe Laura, wäre das eine Verschwendung des derzeitigen Amüsements, das sich mir bietet. Deine Freundin hat einen geradezu göttlichen Ausdruck. Doch was ich mich angesichts der Situation frage: Wo lerntest du diese gehobene Ausdrucksweise?
Fast hätte ich mich lauthals über so viel Frechheit beschwert, doch ich rettete mich in ein Hüsteln. Feli starrte mich ja noch immer an. Es wäre wohl unvorteilhaft, ihr zu verraten, mit wem ich mich ausgeschlossen ihres Mithörens unterhielt.
„Sagen wir, ich hatte in den letzten Tagen recht anschauliches Material zur Verfügung,“ gab ich so ironisch wie nur möglich zurück, während ich den Blick zwischen Feli und mir aufrecht erhielt. Sie bemerkte nichts. Oh Gott, sie war nicht gerade die hellste Kerze auf dem Kuchen. Aber ich hatte sie trotzdem ungemein lieb gewonnen in der kurzen Zeit.
Ich fasse dies als Kompliment auf, wenn es dir recht ist.
„Mir ist alles recht, wenn ich nur endlich meinen knurrenden Magen besänftigen kann.“
Wie auf Befehl gab meine Körpermitte ein ungeduldiges Grummeln von sich. Ich war mir sicher, dass sich dort bereits ein Vakuum befand.
„Bitte, meine Damen. Worauf wartet ihr? Fangt ruhig an zu speisen, ich werde euch nicht aufhalten,“ erklärte der Graf daraufhin, ein gewinnendes Grinsen auf den Lippen. Auf die Gegenleistung kommen wir ein anderes Mal zu sprechen.
Ich schluckte schwer, starrte sehnsüchtig auf meinen Teller und nahm das Besteck auf. Feli tat es mir nach. Dann aßen wir schweigend die uns aufgetischte Mahlzeit, die wirklich schmackhaft war. Ich war selbst ein wenig erstaunt, dass aus der Küche des Grafen – unter Koukols Fuchtel – ein solches Geschmackserlebnis entstehen konnte. Doch anscheinend ging es. Oder der Koch war ein verkanntes Genie, das sich nicht outen wollte.
Zufrieden und satt legte ich das Silberbesteck auf meinen Teller, in der Form wie man es in der Gegenwart tat, um zu bekunden, dass man mit dem Essen fertig war. Anscheinend war es auch in dieser Zeit die richtige Geste. Der Bucklige kam wieder zu mir geschlurft, beugte sich vor, ließ mich seinen wundervollen herben Geruch einatmen und watschelte dann zu Feli, um ihr selbigen Genuss zukommen zu lassen.
Als er mit den Tellern dann in einem benachbarten Raum verschwand, legte sich Schweigen über uns. Der Graf schwieg, Feli schwieg, ich schwieg. Dabei war es keines der angenehmen Schweigen, wenn man wusste, dass man keine Worte zur Verständigung brauchte. Im Gegenteil. Es war unangenehm, weil man sich beobachtet und ausgehorcht vorkam. Ich traute mich kaum, einen Gedanken zu Ende zu führen. Außer den, dass der Graf vielleicht doch gerade mit Felicitas in ihrem Kopf quatschte. Doch kaum war er gedacht, bereute ich ihn.
Nein, ich 'quatsche' nicht mit deiner Freundin. Das Gespräch wäre zu einfältig. Verdammter Mistkerl! Schlich sich immer in meinen Kopf, wenn ich es nicht erwartete. Und der Druck auf den Schläfen kam immer erst nachträglich. Oder hatte ich mich schon daran gewöhnt? Egal.
„Sollte das ein Kompliment werden?“
Nein.
„Schade, es hätte fast eins sein können.“ Ich lächelte halbtriumphierend in mich hinein. Ich hatte schlagfertig gedacht. Und ich schaffte es also wirklich auf diese Weise, mit ihm zu kommunizieren. Gut zu wissen.
Als ich aufsah und in sein Gesicht blickte trat jedoch wieder Ratlosigkeit ein. Wieder war da der triumphierende, gewinnende Ausdruck in seinen Augen. Warum zum Teufel? Feli war happy und er war siegessicher. Was war denn bitte geschehen, dass alle verrückt spielten?
Der Graf brach das Schweigen. „Ich hoffe das Essen hat euch geschmeckt,“ fragte er, mehr zu Felicitas gewandt.
„Ja, es war sehr gut. Viel besser als die Suppe gestern,“ antwortete sie ihm. Der Blick war fast mit dem eines Labradors vergleichbar. Vollkommen hörig, demjenigen gegenüber, der einem Fresschen gab.
Ich unterdrückte das Grinsen über diesen Vergleich. Gleichzeitig schimpfte ich mich die schlechteste Freundin auf der Welt, sollte ich doch eigentlich zu Feli halten, statt sie klammheimlich zu verspotten. Das war außerdem nicht nett. Mein schlechtes Gewissen zeigte es mir mit heftigen Bissattacken.
„Das freut mich zu hören,“ erklärte sich der Schlossherr. „Nun, ich habe mir für heute eine kleine Überraschung für euch ausgedacht.“ Verwundert sah ich zu ihm herüber. Was denn jetzt schon wieder? Sein Tonfall verhieß nichts Gutes. Sein selbstgefälliges Grinsen auch nicht unbedingt. „Ich möchte euch auf einen kleinen Ausritt einladen. Es gibt viele schöne Ecken in meiner Grafschaft. Ihr würdest etwas versäumen, sähet ihr sie nicht.“
Fassungslos starrte ich ihn an. Mir war egal, dass mein Mund offen stand. Mir war auch egal, dass ich gerade mitten in einem What-the-fuck-Moment gefangen war. Ich hörte Felicitas etwas wie „Ja, gerne!“ sagen. Dann richteten sich die hellblauen Augen des Grafen auf mich. Mir wurde kalt. Mein Mund schloss sich wieder. Warum tat er das? Er hatte doch gestern ganz genau in meinem Kopf gelesen, dass ich keine Ahnung von Pferden hatte! Und wenn nicht gestern, dann heute!
„Laura, ist dir nicht wohl? Du wirkst recht blass. Ein wenig frische Luft würde dir sicher gut tun.“ Dieses hochmütige Grinsen! Ich fragte mich, ob Feli es nicht mitbekam. Doch deren Welt war wohl rosarot verklärt. Super! Die Verzweiflung wich plötzlicher Nüchternheit.
„Nicht doch,“ antwortete ich resigniert. „Gehen wir reiten.“ Der bestmöglich tötende Blick, den ich dem Grafen schenkte, wurde leider von einem noch siegessichereren abgeschmettert. Für Blick-Duelle war er einfach der falsche Gegner…
Einige Zeit später, es musste sich um etwa zwei Stunden handeln, standen Felicitas und ich in den Stallungen, unseren Reittieren gegenüber. Ihres war ein schlanker Brauner. Ein Wallach, wie der Graf erklärte. Rayis. Ein Pferd mit einigem Vollblutanteil. Ruhig, selbstständig und trittsicher im Gelände.
Das meinige war ein Fuchs, ebenfalls ein Wallach, der Rayis noch um wenige Zentimeter überragte. Lisat war sein Name. Ein Tier, dessen Blick nach Problemen aussah. Unruhig, hektisch, wild. Ich konnte eine gewisse Furcht vor ihm nicht leugnen, strahlte er doch von vornherein eine gewisse Unberechenbarkeit aus. Der Schlossherr versuchte mich zu beruhigen, indem er dem Tier vertraulich über die Nüstern strich. Er meinte, man müsse ihm nur Vertrauen schenken, dann würde er Vertrauen entgegen bringen.
Nur am Vertrauen zum Pferd hätte es nicht mangeln sollen. Ich mochte Pferde. Meine beste Freundin war passionierte Reiterin, auch wenn ich mit ihrem Sport nicht viel anfangen konnte. Mein Problem befand sich jedoch auf dem Rücken des Tieres. Nämlich genau an der Stelle, wo ein altertümlicher Damensattel prangte. Das Ding mit den beiden Hörnern war mir nicht geheuer. Erst recht nicht, als ich nach einiger Mühe und Herberts Hilfe endlich im Sattel saß.
Noch stand mein Reittier ruhig, schnaufte nur bewegungslustig und scharrte mit dem Huf. Das konnte ich verkraften. Einen Augenblick der Ruhe nutzte ich, um dem Grafen beim Aufstieg auf sein Ross zuzugucken. Er erklärte uns zuvor, dass sein Reittier ein Hengst sei. Thor hieße er. Ein Hüne. Der größte von den dreien. Außerdem etwas kräftiger gebaut, ohne Plump zu wirken. Mit einem majestätisch aufgewölbten Hals und wallender Mähne. Ein Tier, bei dem man Angst und Ehrfurcht empfand, weil man wusste, dass es einen ohne Zögern umreiten würde.
Der Schlossherr ließ seinen Umhang über die Kruppe des Rappen wehen. Der leichte Wind im Schlosshof spielte auf faszinierende Weise mit dem Stoff und warf interessante Faltengebilde. Der Moment der Unachtsamkeit wurde von Lisat mit unruhigem Tänzeln bestraft. Der Schwung des großen Tieres ließ mich zusammenzucken. Ich hatte Mühe, Halt zu finden. Erst als ich etwas unbeholfen die Zügel kürzer nahm, wurde der Fuchs wieder ruhiger.
„Nun denn, seid ihr soweit?“ Der Graf lenkte sein Pferd zu uns herum. Der Hengst tänzelte selbst recht nervös unter ihm. Doch anders als ich saß der Graf das alles gelassen aus. Feli schien auch nicht so viele Probleme zu haben. Wahrscheinlich, weil ihr Pferd die Gelassenheit in Person war.
„Ja, wir können,“ erklärte Feli und lenkte Rayis neben meinen Lisat.
„Meinetwegen,“ stimmte ich dem zu. Wohl war mir ohnehin nicht. Nicht so weit vom sicheren Erdboden entfernt.

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