Kapitel 3 - Mach das Ding aus!

130 9 1
                                    

Die Zimmer, in die wir gebracht wurden, entsprachen nicht ganz meinen Vorstellungen. Ich weiß nicht, was ich überhaupt erwartet hatte. Vielleicht einen kleinen, hübsch dekorierter Raum. Mit einem Bett für jeden und einem Badezimmer. Doch die Räume, in die uns der Bucklige verwies, waren das komplette Gegenteil von 'klein'.
Große, hohe Fenster lagen uns gegenüber. Kleine Schneeflocken peitschten dagegen. In einem kleinen Kamin loderte ein Feuer, nachdem der Krüppel es entzündet hatte. Die anschließend von ihm entzündeten Kerzenhalter an den Wänden offenbarten die Einrichtung des Zimmers.
Ein riesiges Himmelbett mit matt rotem Bezug, ein alter Tisch aus dunklem Holz, davor ein ebenfalls rot bezogener Stuhl, dessen Lehne reich verziert war. Der Steinboden war von abgetretenen Teppichläufern bedeckt. In einer Ecke des Zimmers prangte eine riesige Kommode, ebenfalls dunkel und bedrohlich anmutend. Das hohe Fenster war von gräulichen Gardinen gesäumt. Wahrscheinlichen waren sie einst ebenfalls rötlich gewesen.
Und in der linken Wand des Zimmers eine Tür.
Ich trat sprachlos ein und sah mich nochmals um, ließ meinen Blick erneut über jedes Detail schweifen. Ein wenig staubig war es hier. Aber sonst ganz gemütlich. Zumindest für diese Zeit, in die wir hineingeschlittert sein mochten.
„Wow," murmelte Feli hinter mir. „Das ist ja krass." Sie ging zum Bett und drückte prüfend auf die Matratze. Sie quietschte leicht und sah sehr weich aus. Normalerweise konnte ich auf weichem Grund nicht gut schlafen. Angesichts dessen aber, dass ich inzwischen ohnehin wieder Probleme bekam, die Augen offen zu halten, war ich froh, überhaupt ein Bett zu haben.
Der Bucklige schlurfte an mir vorbei und ich trat erschrocken einen Schritt zur Seite. Mit einem Kerzenhalter in der Hand ging er zu der dubiosen Tür in der Wand, öffnete sie und verschwand in der Dunkelheit dahinter. Ich starrte ihm hinterher.
„Was ist da?", fragte Feli und stellte sich zu mir, ebenfalls starrend.
„Ich weiß nicht." Ich war neugierig. Allerdings wollte ich dem Krüppel nicht in die Dunkelheit dort folgen. „Vielleicht eine Folterkammer?"
Feli boxte mir in die Schulter. „Ach Quatsch! Doch nicht gleich nebenan." Nachsehen gehen wollte sie allerdings auch nicht.
Erst als der Bucklige wieder in der Tür erschien und uns etwas zubrummte, erwachten wir aus unserer Starre. Seinen herbeiwinkenden Gesten folgend traten wir in das Nebenzimmer ein. Und ich musste wieder staunen. Auch hier brannte bereits ein kleines Feuer in einem Kamin und die Kerzen an den Wänden waren entzündet. Allgemein sah das Zimmer nicht anders aus, als das benachbarte. Nur, dass hier sowohl Vorhänge wie auch Bezüge der Möbel von recht gut erkennbarem Grün waren.
„Oh mein Gott, ist das geil!" Feli machte fast Freudensprünge neben mir und lief zum Fenster, in den draußen wütenden Sturm hinaus starrend. „Laura, darf ich das Zimmer hier haben? Bitte!"
Ich hatte eigentlich nichts dagegen, mir war es Wurscht, wo ich die letzten Tage verbrachte, ehe der Graf über mein Blut herfallen würde. „Nur zu, ich stehe dir nicht im Weg."
„Guck nur mal raus, die Aussicht ist herrlich!"
Ich trat zu ihr und sah in die Nacht. Koukol verschwand indessen wieder aus den Räumlichkeiten und ließ uns allein zurück. „Nun," meinte ich, „da ist Dunkelheit und Schnee."
Feli seufzte. „Ich find die Aussicht toll."
Ich lächelte und ging zum Kamin, vor dem ein kleiner Hocker platziert war. Zufrieden setzte ich mich und streckte meine Hände dem Feuer entgegen. Die Wärme prickelte ungemein wohltuend auf meiner Haut.
„Was machen wir jetzt eigentlich?"
Felis Stimme war so plötzlich hinter mir, dass ich zusammen zuckte. „Ähm... Gute Frage. Abwarten, denke ich. Oder schlafen gehen."
„Kannst du echt schon schlafen? Ich mein... Es ist Nacht."
„Warum sollte ich da nicht schlafen?" Ich sah zu Feli hoch, die mich skeptisch ansah. Ich musste schmunzeln. „Der Graf wird schon nicht über mich herfallen. Ich hab ne Kette mit Kreuzanhänger." Zwinkernd fischte ich nach dem Anhänger und zeigte ihn vor. „Das dürfte ihn von mir fern halten."
Auch Feli lächelte. „Na dann ist gut. Von mir dürfte er ja auch fernbleiben, ich hab Kreuz-Ohrringe." Sie zeigte auf kleine leicht wackelnde Kreuze an ihren Ohrläppchen. Sie glitzerten auffällig im Schein des Feuers. Über ihnen war an jeder Seite ein Totenkopf platziert, wie mir auffiel.
„Dann können wir ja beide beruhigt sein," schlussfolgerte ich und starrte in die Flammen.
„Ja, können wir. Sag mal, ob wir hier noch Wechselkleidung bekommen?"
„Ich weiß nicht. Wäre aber irgendwie gut, ich will nicht tagelang in den durchnässten Klamotten rumlaufen müssen." Ich zeigte auf meine nasse und etwas mitgenommene Jeans.
Feli stieß einen gespielten Laut der Verachtung aus. „Was soll ich denn sagen?" Tatsächlich waren ihre Hotpants ebenfalls nass und ihre Beine schmutzig und zerkratzt. Als ich verstehend nickte deutete sie mit dem Kopf auf den Hocker, auf dem ich saß. „Darf ich?"
Ich rutschte ein Stück und Feli setzte sich neben mich. Gemeinsam lauschten wir für einige Augenblicke einfach nur dem Feuer. Inzwischen war die Stille zwischen uns gar nicht mehr so unangenehm. Ich seufzte erleichtert.
In dem Moment klopfte es an der Tür. Feli und ich sahen synchron auf, dann einander an. „Ich geh," meinte Feli und lief zur Tür. Als sie öffnete hörte ich die rauchige Stimme und das Nuscheln des Buckligen. Feli nickte und entschuldigte sich für einen Moment.
„Was will der Bucklige?" Ich stand auf und sah fragend zu ihr herüber.
„Wir sollen mitkommen," meinte Feli und sah nicht unbedingt begeistert dabei aus. „Bringst du bitte noch meine Tasche mit?"
„Wozu brauchst du jetzt deine Tasche?" Ich griff nach dem ledrigen Riesen und kam ihr entgegen.
„Nur so. Ich hab sie gerne dabei." Sie zwinkerte verschwörerisch und ich musste lächeln.
„Pfefferspray? Dein Ernst?"
„Man weiß ja nie, wem man so begegnet," erklärte sie sich und nahm die Tasche entgegen.
Ich stupste sie am Oberarm an. „Gar keine so schlechte Idee," gestand ich lächelnd. „Wer weiß auf was für Ideen der liebe Graf so kommt."
Wir lachten beide und gingen dann wieder zur Tür, wo der Bucklige noch immer auf uns wartete. Er nuschelte etwas vor sich her und wir folgten ihm wieder. Nach wie vor achteten wir auf einen gebührenden Abstand zu ihm, ohne ihn aus den Augen zu verlieren.
Als er plötzlich stehen blieb hielten auch wir abrupt inne. Das hieß... ich tat das. Feli rannte geradezu in mich hinein. Koukol wies auf eine offene Tür. Sein Genuschel dazu erinnerte entfernt an so etwas wie 'setzen'. Mir war eigentlich ziemlich egal, was er meinte, so lange er uns in Ruhe ließ. Also huschte ich an ihm vorbei in den beheizten Raum und blieb erst drinnen wieder stehen. Feli hielt diesmal nicht ganz so dicht hinter mir.
„Wow," verlieh sie ihrer Bewunderung Ausdruck.
Ich musste sagen, auch ich war erstaunt. In diesem Zimmer war kaum Staub zu sehen. Die Sitzecke vor einem Kamin war sogar deutlich erkennbar in Weinrot gehalten. Die Beine von Sofa und Sessel waren vergoldet. Die Lehnen der Möbel trugen goldene Verzierungen. Langsam kam mir der Graf ein wenig angeberisch vor, so viel Prunk wie er hier präsentierte.
„Guck mal, das Sofa!" Feli stürmte mehr oder minder zu der Couch und setzte sich sofort aufatmend auf die nachgiebigen Polster.
„Sollten wir nicht erst warten, bis wir einen Sitzplatz angeboten bekommen?" Ich sah zur Tür, doch der Bucklige war schon wieder verschwunden.
„Wieso? Der hat doch irgendwie sowas gesagt," meinte Feli. „Nun komm, setz dich hin. Ist doch blöd wenn jetzt einer reinkommt und dich da stehen sieht."
Ich war nicht gerade überzeugt von ihrem Argument, aber hatte kein passendes, um Kontra zu geben. Also gab ich nach und setzte mich zu ihr. Wobei ich zugeben musste, dass die Polster wirklich unverschämt weich und bequem waren. War der Überzug aus Samt?
Prüfend strich ich über den Stoff. Tatsächlich... Samt. Wie herrlich weich der war! Und so matt glänzend. Und irgendwie flauschig... Ich lächelte stumm.
„Was machst du da?" Ertappt sah ich zu Feli, die mich grinsend musterte.
„Ähm... Nichts," log ich und zog meine Hand von der Armlehne zurück. In Felis Augen leuchtete sowas wie Triumph. Worüber? Etwa darüber, dass es etwas an diesem Schloss gab, das mir gefiel? Ich räusperte mich und sah zu dem Sessel, der uns gegenüber stand. „Sag mal, wofür wurden wir eigentlich her gebracht, wenn wir hier alleine sind?"
Feli zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht."
In dem Moment zog eisige Luft durch den Raum. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Das Feuer flackerte empört. Feli rieb sich die Arme und fing an zu zittern. Ich wollte schon fragen, was jetzt wieder los sei, als ich Schritte hörte.
In der Tür erschien mit wehendem Umhang ein stolzer Graf. Hoch erhobenen Hauptes trat er ein und lächelte uns zu. „Entschuldigt bitte meine Verspätung, ich hatte nicht vor euch warten zu lassen."
Ich konnte ihm seine Worte nicht wirklich glauben, nickte aber trotzdem. Feli vergaß derweil vollkommen, dass ihr eigentlich kalt war und zitterte nicht mehr. Ich verkniff mir ein Schmunzeln über ihre Faszination vom Grafen.
Der trat derweil auf die Sitzecke zu und löste mit einer nebensächlichen Bewegung die Halterung für seinen Umhang. Mit leisem Rascheln zog er sich den Stoff von den Schultern und legte ihn fein säuberlich erst über seinen Arm und anschließend auf über die Lehne des Ohrensessels.
Ich konnte nicht anders als ihn dabei verwundert zu beobachten. Noch nie zuvor hatte ich den Grafen von Krolock ohne seinen geheimnisvollen Umhang gesehen. Ich war völlig perplex, dass er ihn jetzt so verständlich ablegte. Und als ich den Stoff auf der Lehne nochmal genau musterte, fiel mir daran ein leichter Schimmer von Lila auf. Also doch!
„Fasziniert dich mein Umhang?", ertönte plötzlich eine sanfte Stimme und ich sah erschrocken vom Stoff weg.
„Nein," sagte ich etwas hastig. „Nicht wirklich." Ich lehnte mich so gelassen wie möglich zurück und platzierte meinen Arm wieder auf der Lehne, die sich erneut unsagbar weich anfühlte.
„Ich könnte einen Schneider in der Umgebung empfehlen. Er fertigt wunderbare Schnitte, ein Meister seines Handwerks." Ich konnte ein lächeln auf seinen Lippen erkennen. Nur leider erreichte es seine Augen nicht, die kühl und durchdringend zu mir sahen. Ich fühlte mich gleich klein und unwohl. Nur gut, dass das Sofa weich war. Ich konnte mich gut in den Polstern verkrümeln.
„Meinen Namen kennt ihr sicher," meinte er und setzte sich auf seinen Sessel, sich gemütlich zurück lehnend und die Beine übereinander schlagend. „Nur würde ich auch gerne die euren kennen." Er legte seine Fingerkuppen aneinander. Eine abwartende Geste. Beim Blick auf die langen Nägel an den sehr feingliedrigen Fingern verkrampfte sich mein Magen.
Schnell wandte ich meinen Blick ab und starrte ins Feuer. Allmählich wurde mir schlecht bei dem Gedanken, dass mir ein blutrünstiger Vampir gegenüber saß. Feli hingegen war zwar ebenfalls angespannt, aber dem Grafen hörig, wie ich feststellen musste. „Felicitas... Felicitas Morgenstein," meinte sie mit geringfügig zitternder Stimme. Als sie bemerkte, dass ich nicht antworten würde, fügte sie hinzu: „Und das ist Laura."
Ich unterdrückte den Drang, Feli zu würgen und trommelte stattdessen mit den Fingern auf der Lehne des Sofas. Ich wollte nicht, dass der Graf meinen Namen erfuhr. Das machte das alles komplizierter. Immerhin würde ich doch irgendwann wieder nach Hause kommen, oder? Ich hatte nicht vor, ihm dann wieder zu begegnen...
„Ein schöner Name... Felicitas," meinte der Graf mit melodischem Klang in der Stimme. „Nun Laura, darf ich wissen, wie du weiter heißt?" Ich schluckte.
„Mein Nachname ist... Graf." Kratzig klang meine Stimme und ich war nahe dran, husten zu müssen. Das verlief hier gerade nicht nach Plan.
„Graf? Wie interessant." In seinen Augen schimmerte ein undefinierbarer Glanz. Ich sah wieder zum Feuer, das gemächlich knisterte. „Dir scheint nicht wohl zu sein." Widerwillig sah ich vom Feuer auf und begegnete dem Blick des Schlossherren. Er hatte etwas fixierendes, lauerndes an sich.
„Ich bin nur ein wenig aufgewühlt," versuchte ich mich zu entschuldigen.
„Mein Beileid," entgegnete er in einem seltsamen Anflug von Mitleid. Verwirrt suchte ich in seinen Augen eine Erklärung dafür, konnte außer der beißenden Kälte nichts finden. Unruhig rutschte ich tiefer in meinem Sitz.
„Darf ich euch etwas zu trinken anbieten?", fragte der Graf schließlich und stand auf, um an eine kleine Vitrine zu gehen.
Ich bemerkte, wie trocken mein Hals eigentlich war. Wie lange waren wir jetzt schon unterwegs? Ich wusste es nicht. Aber dass ich Durst hatte, wusste ich mit Bestimmtheit. „Gerne," murmelte ich. Feli stimmte mit ein.
Als der Graf drei Weingläser auf einem kleinen Beistelltisch platzierte und eine Weinflasche dazu stellte zog ich die Augenbrauen zusammen. „Könnte ich vielleicht... etwas alkoholfreies bekommen?" Alkohol war noch nie nach meinem Geschmack gewesen. Seit meiner Jugendweihe hatte ich nicht mehr als ein Glas Sekt getrunken. Ich hatte nicht vor, das heute zu ändern.
Der Graf zog scheinbar verwundert eine Augenbraue in die Höhe. „Wäre dir klares Wasser genehm?" Ich spürte wieder den prüfenden Blick auf mir lasten und nickte. Er wandte sich noch einmal der Vitrine zu und brachte eine kleine Karaffe zum Vorschein, in der eine klare Flüssigkeit schwappte.
Die goss er mir in mein Glas, das ich dankend annahm. Feli und sich füllte er tiefroten Wein ein. Da keiner 'Prost' oder ähnliches sagte, wartete ich, bis er sich das Glas an die Lippen setzte. Erst dann trank auch ich einen vorsichtigen Schluck, der schließlich gieriger als erwartet wurde. Bevor ich das Glas jedoch in einem Zug leeren konnte stellte ich es zurück auf das Tischchen.
„Ihr sagtet vorhin, ihr hättet euch bei einem Spaziergang verirrt," begann der Schlossherr schließlich wieder das Gespräch. „Darf ich fragen, wo ihr herkommt?"
Ich sah zu Feli, die überrascht von der Frage mit großen Augen den Grafen ansah. „Aus der Umgebung. Bei der Dunkelheit haben wir leider die Orientierung verloren," antwortete ich rasch, ehe sie etwas Unüberlegtes sagen konnte.
„Erstaunlich." Wieder hob sich die Augenbraue. „Ich habe Mädchen wie euch noch nicht in meiner Grafschaft gesehen." Diesmal musterte er nur mich, ohne zu Feli zu sehen. Ich schluckte den Kloß im Hals herunter.
Erst dann fiel mir auf, wie unpassend unser Aufzug wirken musste. Allein die Klamotten gehörten ganz und gar nicht in diese Zeit. Und Felis Erscheinungsbild war ohnehin... individuell. „Wir sind erst vor kurzem aus der Stadt her gezogen," log ich und sah auf die Lehne des Sofas herab. Auf dem samtenen Stoff reflektierte in warmen Tönen das Feuer.
„Wie erfreulich. Ich hoffe, euch gefällt mein Land."
„Es lebt sich gut hier." Ich zuckte mit den Schultern. Als ich wieder auf sah spielte ein Zucken um die Mundwinkel des Grafen. Er musterte Feli. Insbesondere ihr Haar schien ihn... zu irritieren. Zumindest wirkte er leicht irritiert. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
„Felicitas, du sagst gar nichts." Erschrocken sah Feli auf und starrte leicht ängstlich zum Grafen. Der setzte ein schiefes Lächeln auf. „Von wo genau seid ihr her gezogen?"
Ich sah Feli flehend an. Sie sollte bloß nichts falsches sagen. Doch sie bemerkte meinen Blick gar nicht. „Aus Bukarest," erklärte sie. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Zumindest in Geografie kannte sie sich aus.
„Aus der Stadt aufs Land... Wie kommt es zu dieser Entscheidung?", hakte der Graf nach. Ich hätte ihm gerne das arrogante Lächeln aus dem Gesicht gewischt, wenn meine Selbsterhaltungstriebe nicht ohnehin schon Alarm geschlagen hätten.
Feli knetete ihre Hände. „Verwandte."
Ich atmete hörbar aus. Anscheinend hatten Feli und ich dasselbe Ziel: Nicht auffliegen. Wer konnte schon sagen, wie der Graf auf zwei Zeitreisende reagierte?
„Das freut mich zu hören. Es ist gut, junges Leben in meinen Landen zu wissen." Er musterte uns erneut, das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. „Ich fürchte nur, der städtische Kleidungsstil ist nicht sehr tauglich." Oh wie Recht er damit doch unfreiwillig hatte... „Vielleicht solltet ihr doch einige Kleider aus den Kommoden anprobieren... Oder haben sie euch nicht gefallen?"
Ich überlegte einen Augenblick lang. Kommoden? Ja, natürlich! Das wuchtige Monstrum in meinem Zimmer! Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, dass darin etwas tragbares versteckt sein konnte...
„Doch, doch. Wir wollten uns nur erst ein wenig aufwärmen," log ich erneut und spürte, wie mir heiß wurde. Verdammt, ich konnte nicht gut lügen.
Gerade als der Graf zu einer Antwort ansetzte, war plötzlich eine seltsame Melodie zu hören. Dumpf spielte ein Rhythmus, der mir erst fremd vorkam. Dann aber traf mich die Erkenntnis. Feli und ich starrten uns aus großen Augen an. Ich starrte zum Grafen. Der zog nur die Augenbrauen hoch und betrachtete mit offenem Mund die große Ledertasche, aus der die Melodie tönte.
„Feli, mach das Ding aus!", zischte ich ihr zu und stieß ihr meinen Ellenbogen in die Seite. Feli quiekte auf und fummelte an ihrer Tasche rum. 'Gangnam Style' wurde indessen immer lauter. „Verdammt, Feli! Mach das aus!"
„Ich find das nicht!" Feli wühlte in der riesigen Tasche hin und her. Der Klingelton wurde weiterhin lauter. „Scheiße, wo ist das?"
Ich sah in einem Anflug von Verzweiflung zum Grafen, der nach wie vor fassungslos auf die Tasche starrte. Sein Blick verkörperte in dem Moment das, was man in der Gegenwart als 'What-the-fuck-Moment' bezeichnete. Ich musste fast grinsen.
Fast, denn gerade als Psy den Refrain anstimmte schaffte Feli es, ihr Smartphone hervor zu kramen und den 'Stopp'-Button des Weckers zu betätigen. Wie gebannt starrte ich auf das nun stumme Gerät. Ungemeine Erleichterung überkam mich. Und gleichzeitig wog die plötzliche Stille so schwer, dass ich glaubte ersticken zu müssen.
Feli starrte auf ihr Smartphone. Der Graf starrte auf das Smartphone. Ich starrte abwechselnd zu ihm und zu Feli. Schön, wie alle vollkommen perplex waren. Und schön, wie ulkig ein fassungsloser Graf aussehen konnte.
Als hätte er meinen Gedanken gelesen zuckte sein Blick zu mir. Auf einmal sah er gar nicht mehr ulkig aus. Viel mehr tödlich. Mir wurde kalt.
Mit einem Räuspern fand der Graf zu seiner Eleganz zurück. „Es ist wohl besser, ihr geht jetzt zurück auf eure Zimmer. Es war eine lange Nacht. Ruht euch aus."
Etwas in der Stimme des Grafen klang hart und kalt. Hatte er Steine verschluckt? Ich erhob mich und zog Feli gleich mit auf die Beine. Mit einem Nicken verabschiedeten wir uns vom Grafen, der inzwischen gebannt in die Flammen starrte. Dann ließ ich so schnell es ging das... Kaminzimmer hinter mir.
Die Treppe zu unserem Stockwerk empor steigend wandte ich mich an Feli. „Was war das denn gerade?"
Sie wurde rot, so viel Schuldgefühle besaß sie also noch. „Mein Weckruf vom Praktikum. Ich hatte heute... gestern meinen letzten Tag. Hab vergessen ihn aus zu stellen."
Ich fuhr mir durch die verwuschelten Haare. Wahrscheinlich standen sie längst in alle Berge. „Okay... Wir werden es überleben. Aber der Graf sah nicht begeistert aus..." Ich erreichte das Ende der Treppe und wartete noch einen Moment auf Feli.
„Meinst du, er nimmt uns das übel?"
„Ich hoffe nicht." Ich hatte nicht große Lust morgen Abend aus Rache als Buffet dienen zu müssen.
„Oh, Laura... Es tut mir leid. Echt jetzt. Das wollte ich nicht." Feli sah mich mit großen Augen an. Sie hätte auch Dackel werden können, den Blick hatte sie jedenfalls drauf.
„Schon gut, bei mir brauchst du dich nicht entschuldigen. Aber ich glaube auch eher, der Graf ist jetzt abgeschreckt. Der wird erstmal nach zu denken haben." Ich lächelte und gab ihr einen Knuff in die Seite. „Außerdem war sein Blick Gold wert."
Feli sieht mich verwundert an. „Wie jetzt? Hab ich gar nicht mitbekommen."
„Du hast ja auch nur auf sein Handy gestarrt. Ne ehrlich, sein Blick war so ein 'what the fuck' in Reinkultur." Ich gluckste in mich hinein bei der Erinnerung an die Gesichtsentgleisung.
„Oh man, ich krieg auch gar nix mit," bemerkte Feli schmunzelnd. „Aber sag mal, Empfang hast du nicht, ne?" Sie deutete mit dem Kopf auf die Tasche, in der sie wieder ihr Handy verstaut hatte.
„Ich weiß nicht. Mein Handy ist in meiner Tasche. Und die liegt auf meinem Bett. Allerdings glaube ich nicht, dass hier irgendwer Empfang haben könnte. Ich meine... wir sind hier nahe am Mittelalter. Keine Ahnung... aber Funktürme gibt es wohl noch nicht." Ich zuckte mit den Schultern und sah mich um. In einigen Nischen des Korridors standen alte Ritterrüstungen. Auch sie waren verstaubt und einige von ihnen mit Spinnweben verziert. „Selbst wenn... Ich glaube nicht, dass uns irgendwer hier finden würde."
Feli nickte zustimmend. „Denke ich auch. Na dann... Lass uns zurück aufs Zimmer. Ich könnte auch ne Mütze Schlaf gebrauchen."

Zukunft ist VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt