Kapitel 15 - Bis deine Sehnsucht...

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Felicitas
Meine Hände waren schwitziger als sonst, als ich die gold berankte Türklinke zu Lauras Zimmer herunter drückte. Mir war unwohl bei dem Gedanken, sie dort mehr oder weniger bewusstlos vor zu finden. Der Graf war bei ihr gewesen, das hatte er mir noch erzählt, als er sich zu Tagesanbruch verabschiedet hatte. Er hatte ihr den Arm verbunden. Ich wusste nicht ganz, wie ich mit der Info hatte umgehen sollen. Ich wusste ja, dass ich nicht der Mittelpunkt der Welt war und dass ich nicht auf Laura neidisch sein brauchte. Sie wollte den Grafen ja gar nicht, sie blieb ihm ja lieber fern. Und trotzdem wäre ich zu gerne an ihrer Stelle gewesen, auf dem Pferd des Grafen, in seinen starken Armen.
Ich seufzte, die Gedanken ließen mir nicht wohler werden. Ich war eben doch neidisch. Und das wiederum bereitete mir einen flauen Magen. Das, und die Sorge um eine lieb gewonnene Freundin. Denn das war Laura inzwischen für mich geworden. Eine Freundin.
Ich zog die Tür hinter mir zu und ging zu ihr herüber. Sie lag so ruhig in ihrem Bett, das kurze Braune Haar wuschelig um ihren Kopf herum verteilt. Wie ein Löwe, irgendwie. Ihr ruhiger Atem hatte etwas Hypnotisches an sich, so gleichmäßig und stetig ging er. Fast sah sie aus, als sei sie noch immer ohnmächtig, weit weg von all den Erlebnissen hier.
Dieser Anblick erinnerte mich an den Moment, als ich auf ihre Ohnmacht aufmerksam geworden war.
Die Stimme des Grafen hatte mich aus meinem stillen Schmollen gerissen. "Laura?", hatte er gefragt. Als ich mich umgesehen hatte, lag sie in seinen Armen, an seine Brust gelehnt. Ich hatte plötzlich Sorgen gehabt, ob es ihr wirklich so gut ging, wie ich glaubte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen bekommen, das stärker wurde, als der Graf auf ihren Hals gesehen hatte und dabei so schief gelächelt hatte. Dieses triumphierende Lächeln, bei dem sich einer seiner Mundwinkel höher als der andere zog und seine Fangzähne dezent hervor lugten. Das war der Moment gewesen, in dem ich mich gefragt hatte, ob Laura nicht doch Recht hatte - mit allem. Damit, dass wir in Gefahr waren, dass wir sterben würden, fänden wir keinen Weg hier raus. Ich fühlte mich so schuldig, dass ich wieder weg gesehen hatte. Ich hatte seitdem keinen Blick mehr auf sie werfen können, bis ich ihr Zimmer betreten hatte. Und sie da liegen sah.
Ihre Schultern lagen frei, die Decke war nur bis zu den Schlüsselbeinen gezogen. Unwillkürlich sah ich zu ihrem Hals. Ich setzte mich auf die Bettkante, während ich ihn betrachtete. Was faszinierte Vampire nur so an dieser Halsschlagader? Wie konnte ein Vampir so süchtig nach Blut sein, was war so besonders daran. Wenn ich an die Momente dachte, in denen ich unfreiwillig Blut auf der Zunge hatte, dann überkam mich Übelkeit. Ich hasste diese metallische Note. Sie war einfach nur ekelhaft. Warum also änderte sich so ein empfinden drastisch, wenn man Vampir wurde?
Was war an Vampiren überhaupt besonders? Sie lebten ewig, hatten alle Zeit der Welt und würden nie krank. Sie konnten der Welt dabei zusehen, wie sie sich entwickelte, erlebten all die Fortschritte der Menschheit ganz nah. Als Unsterblicher lebte man in der Nacht. In der ruhigen Nacht, die mir ohnehin viel lieber war als der Tag. Der war immer hektisch und grell. Von der Sonne bekam man einen Sonnenbrand und all die Leute auf der Straße hetzten nur von einem Termin zum nächsten. Der Tag war ein reißender Strom. Die Nacht hingegen war ein leise vor sich hin plätschernder Bach, der in gemächlichen Windungen all die Kleinigkeiten des Lebens offenbarte. Sie schien mir so viel schöner und geheimnisvoller. Mystischer. Sehnte man sich nicht immer nach dem, was man nicht ganz verstand?
Ich schluckte den Gedanken herunter. Vampirsein war vielleicht nicht die schlechteste Option der Welt - eigentlich erschien sie mir sogar recht angenehm - aber Laura tat ihr bestes, um einem solchen Los zu entgehen. Ich wollte ihr dabei nicht im Weg stehen. Aber ich konnte doch nicht einfach meine einmalige Chance, dem Grafen nahe zu sein, verstreichen lassen...
Aus einem Anflug von Schuldgefühlen heraus nahm ich das Kopfende der Zudecke in die Hände und zog sie bis an Lauras Kinn. Sie fühlte sich bestimmt wohler, wenn ihr Hals nicht so frei lag. Das hier war und blieb ja immerhin ein Vampirschloss, so seltsam es sich auch nach wie vor anhören mochte. Immerhin waren Vampire bis vor kurzem noch Fabelwesen gewesen. Vielleicht war das alles aber auch nur ein Traum. Eine Fantasie zwischen Schönheit und Horror.
Von der Bewegung wurde Laura wach. Erst flatterten ihre Lider, dann blinzelte sie verschlafen und streckte den Unversehrten Arm über den Kopf.
"Feli," nuschelte sie und sah mich aus schmalen Augen an. Sie war bestimmt noch k.o.
"Laura," antwortete ich und hielt sie an der Schulter fest, als sie sich aufsetzen wollte. "Bleib liegen, du bist doch total fertig."
Schneller als für sie üblich gab sich Laura mit dieser 'Bevormundung' zufrieden. "Um ehrlich zu sein: Du hast recht. Ich bin total platt." Laura schloss die Augen wieder.
Mich quälte das schlechte Gewissen. "Es tut mir leid," brach ich schließlich heraus. "Ich bin überhaupt nicht für dich da und ich bin so egoistisch und so dumm..."
"Hey, Feli!" Ich sah auf, begegnete Laura mit vorsichtigem Blick und sah doch wieder auf meine Hände herab, die sich ineinander wanden. "Mach dich nicht selbst schlecht."
Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Denn eigentlich konnte ich ja verstehen, wie Laura fühlte. Und doch konnte ich diesem verdammt attraktiven und verführerischen Grafen nicht widerstehen. Verdammt - mir wurde gleich wieder warm im Bauch, als ich an seine Einladung zum Ball dachte. Ich würde mit ihm tanzen. Ich würde ihm ganz nahe sein. Seinen Duft in der Nase haben... Allein das war es fast wert, ein wenig Blut zu lassen. Ich räusperte mich. Die Gedanken trugen sicher nichts zu Lauras Genesung bei. "Ich mache mir nur Sorgen", gestand ich. "Ich hab einfach das Gefühl, dass ich dir nicht helfen kann. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll." Ich biss mir auf die Unterlippe. Mit einem zaghaften Lächeln sah ich wieder zu Laura auf. Sie hatte die Decke wieder von ihren Schultern geschoben. Auf ihrer Stirn standen winzige Schweißperlen. "Ich hab noch nicht mal gefragt, wie es dir geht."
Laura zuckte mit den Schultern und verzog darauf das Gesicht. "Es geht einigermaßen", log sie. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es ihr wirklich gut ging. Aber ich fragte nicht weiter nach.
"Kann ich dir irgendetwas bringen? Etwas zu Essen vielleicht? Oder Trinken?" Irgendetwas musste ich tun, um nicht selbst nur hilflos zusehen zu können.
"Trinken wäre toll. Ich so einen trockenen Mund."
Ich nickte hastig und stand auf, auf dem Weg ins Bad, um dort ein Glas mit Wasser zu holen. Vor der Tür blieb ich stehen. "Brauchst du sonst noch etwas? Sag einfach Bescheid, ich versuch mein Bestes, um dir jeden Wunsch zu erfüllen."
Laura schüttelte den Kopf. Etwas an ihr wirkte irgendwie anders als sonst, aber ich konnte mir nicht erklären, was es war. Vielleicht war sie nur blasser seit dem Sturz. Ja, es war sicher nur die Erschöpfung. "Ich habe eigentlich keine Wünsche," murmelte sie ein wenig kraftlos. "Mir würde es reichen, wenn du den Grafen von mir fernhältst."
Ich blieb noch einen Moment stehen. "Den Grafen? Was hast du gegen ihn? Ich hatte das Gefühl, er hätte sich ganz fürsorglich um dich gekümmert," kam es unbedacht über meine Lippen. Vermutlich war das nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden.
Laura sah zum Baldachin ihres Bettes hinauf. "Im Grunde nichts," meinte sie, "immerhin will er mich ja nur umbringen. Genau genommen will er uns beide umbringen, womit er ein Serienkiller wäre. Aber sonst..."
Okay, jetzt war also wieder dieser triefende Sarkasmus am Laufen. Damit war die Situation größtenteils verdorben. Soweit zum Thema Mitgefühl. Aber aus einem Impuls heraus wollte ich den Grafen verteidigen. Und noch etwas mehr von dem herausfinden, was Laura über den Vampir dachte. Irgendwo lauerte da nämlich mehr, wie ich vermutete. "Mal abgesehen davon, dass er ein Vampir ist," gab ich zurück. "Nehmen wir an, der Graf wäre ein ganz normaler Mensch. Dann wäre er doch ein ziemlich attraktiver Mann." Ich stützte mich lässig auf die Türklinke.
Laura schnaubte in die Luft. "Er wäre ja nur in etwa so alt wie mein Vater. Ich finde das ist dann doch ein wenig zu skurril. Aber sonst..." Sie sah nun ganz weg, hinaus aus dem Fenster, wo grauer, wolkenverhangener Himmel zu sehen war.
Und doch fehlte im letzten Satz irgendwie die Laura-typische Ironie. "Also findest du ihn rein objektiv doch gar nicht so schlecht?" Sie sagte nichts. Keine Widerrede, keine Zustimmung. Ich wurde stutzig. "Hey, du fühlst dich zu ihm hingezogen...!" Ich merkte erst im Nachhinein, wie dämlich meine Reaktion war.
Lauras Schultern begannen zu zucken. Einen Moment lang hatte ich die Befürchtung, sie weint. Doch dann hörte ich das leise Glucksen. Besorgt, ob Laura jetzt verrückt geworden war oder nur einen Nervenzusammenbruch hatte - den ich ihr nicht verübeln konnte - ging ich wieder zu ihrem Bett, "Hey, was ist los?"
Laura hielt sich vor Lachen mit der unversehrten Hand den Bauch. "Alles gut," kicherte sie.
"Habe ich was verpasst?" Ich konnte mir nicht erklären, was jetzt so lustig sein sollte...
Laura lachte noch heftiger. "Weißt du noch, die Musicalvorstellung?"
"Die vor einer gefühlten Ewigkeit?"
'Jap." Laura holte tief Luft, um weiter zu lachen. Ihre Wangen waren schon ganz rot. Ich starrte sie völlig irritiert an. Laura beeierte sich weiter. Jetzt wahrscheinlich, weil ich so doof aus der Wäsche sah. "Ach Feli, ich hatte nur gerade so eine schöne Assoziation."
Ich schüttelte ratlos den Kopf. "Okay, jetzt verlierst du völlig den Verstand. Vielleicht solltest du noch etwas schlafen."
"Oh man... Feli!" Laura schniefte vor Amüsement. "Weißt du nicht mehr... 'Bis deine Sehnsucht eine Frau aus MIR macht'?"
Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich tat mich schwer damit, an mich zu halten. "Okay," kicherte ich, "DAS ist wirklich eine... schöne Assoziation."
"Sag ich ja."
Nur langsam fanden wir zu unserer Fassung zurück. "Der Graf sollte davon lieber nicht erfahren," mutmaßte ich schließlich.
"Ganz deiner Meinung." Laura seufzte und schloss wieder die Augen. Ihr Hals lag wieder völlig frei. Und wieder erinnerte ich mich an dieses arrogante, triumphierende Lächeln vom Grafen, als er ihre Halsschlagader fixiert hatte. Mir wurde übel und schwindlig.
"Ich hole dir erstmal was zu Essen und zu Trinken," verkündete ich. Laura nickte noch zaghaft, wieder halb im Schlaf versunken. Ich drehte mich um und ging erneut zur Tür, öffnete diese und schloss sie so leise, wie es mir möglich war. Draußen auf dem Gang schlug mir Kälte entgegen. Erst jetzt wurde ich mir der Wärme in Lauras Zimmer bewusst. Der Kamin musste angeheizt gewesen sein. In der kurzen Zeit, die wir schon hier waren, hatte ich mich an das Knistern des Feuers gewöhnt. Es war schon erstaunlich, wie schnell man in eine neue Form des Alltages schlitterte.
Ich ging hinab in Richtung Speisesaal, wo sich sicherlich auch eine Küche befinden musste. Zur Not würde ich Laura eine Brühe kochen. Das hatte ich für Mama schon öfters gemacht, wenn sie krank gewesen war. Auf dem Weg die Treppe herunter wurde ich jedoch von einem seltsamen Geräusch überrascht. Am Tag war das Schloss eigentlich still. Jetzt drang ein hohles, unregelmäßiges Klopfen aus einem der Zimmer im Erdgeschoss. Neugierig folgte ich dem Geräusch. Hinter einer unscheinbaren Tür hervor luschernd entdeckte ich schließlich Koukol, wie er an einem Kasten zimmerte. Einem großen Kasten, der beinahe einem Sarg gleich kam. Ein weiteres Exemplar lag bereits am Ende des Zimmers. Das war vielleicht eines von seinen Hobbys. Er musste sich ja auch irgendwie beschäftigen, den lieben langen Tag lang. Und die Friedhofsvampire freuten sich bestimmt über neue "Betten", wenn man es so nennen wollte. Bestimmt würde die sich noch um diese zwei Särge prügeln, immerhin gab es ja von diesen Untoten hier einen ganzen Haufen.
Leise schlich ich mich wieder von der Tür fort. Ich wollte Koukol nicht stören. Nicht, dass er noch wütend wurde. Das wäre nicht in meinem Interesse.
Lieber ging ich in die Küche und bereitete was Schönes zu Essen. Das entspannte wenigstens.

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