Kapitel 14 - Wechselbad der Gefühle

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Nur langsam kehrte mein Bewusstsein dorthin zurück, wo es hingehörte. Schwammig war mir. Alles schien dumpf und verschwommen, wie durch einen Schleier hindurch. Selbst das Gefühl, mein Schädel sei in einer Schraubzwinge eingeklemmt, drang nur mäßig zu mir durch. Umso heftiger dagegen war das Pochen in ihm. Ein mehr als nur unangenehmes Hämmern, das meine gesamte Schädeldecke vereinnahmte.
Ich kniff die Augen zusammen, versuchte, etwas Ordnung in meinen Zustand zu bekommen. Zuerst fiel mir auf, dass das Pochen nicht nur von meinem Schädel herrührte. Meine Schultern schmerzten, mein Hintern sandte stumme Empörung darüber aus, dass ich auf ihm lag. Jedes meiner Glieder fühlte sich schwer wie Blei an.
Müde und noch benommen versuchte ich zu blinzeln. Noch immer war es dunkel. Nur wenige Silhouetten konnte ich erkennen, die vom Schein eines Feuers erhellt wurden. Allen voran der Baldachin meines Bettes. Irgendwo weit entfernt in meinem Unterbewusstsein kam die Frage auf, wie ich hierher gekommen war. Doch ehe ich sie festhalten konnte, verschwand sie auch schon wieder. An ihrer Stelle bemerkte ich eine dumpfe Übelkeit, die sich mit fester Hand um meinen Magen schloss. Und die Trockenheit in meinem Mund. Ich schluckte müßig, um sie ein wenig zu vertreiben.
Für einen Augenblick schloss ich wieder die Augen, horchte nur dem Protest meines Körpers, während ich eine angenehmere Position für meinen Kopf auf dem weichen Kissen suchte. Aus irgendeinem Grund blinzelte ich. Dabei erkannte ich Umrisse, die mir seltsam vorkamen. Nicht so grade und glatt wie die der Möbel. Sie waren wesentlich unregelmäßiger. Mein Blick folgte ihnen nichtsahnend aufwärts, wo ich mehrere Augenblicke lang nur auf die Konturen eines Gesichtes starrte. Auf die blasse Haut, die Schatten der Augenhöhlen, die so edel geschwungenen Lippen. Unbewusst strich ich mir mit der Zunge über meine eigenen, die trocken und rissig waren. Der hübsche Mund wurde zu einem Lächeln verzogen. Ich sah an der leicht konvexen Nasenlinie hinauf, bis ich die hellen, durchdringenden Augen fand. Etwas an diesem Blick war gleichermaßen faszinierend wie furchterregend.
Plötzlich war mein Verstand wieder voll auf der Höhe. Ich riss die Augen auf, schnappte nach Luft und richtete mich zu schnell auf. Mein Kopf drohte mit einer Explosion, mein Magen zog sich krampfhaft zusammen. In einem Anflug von Schwindel stützte ich mich nach Hinten auf meine Ellenbögen. Eine schlechte Idee, denn der rechte knickte unerwartet ein, während ich einen Laut des Schmerzes hervor brachte. So sank ich wieder zurück in die Kissen, konnte eine Träne nicht unterdrücken, die mir unerhört langsam die Wange hinab rollte. Um doch noch ein wenig Abstand zwischen mich und den Grafen zu bringen, rutschte ich ein paar Zentimeter in Richtung linker Bettkante.
Mein nächtlicher Besuch lächelte währenddessen stoisch weiter, als wäre ich ein sehr unterhaltsames Nachtprogramm. Schön, wie er doch auf die Situation einging. Aber es stimmte schon: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
„Schön, dass du wieder wach bist", erklärte der Graf und löste sich aus seiner Wartezimmer-Haltung, indem er die übereinandergeschlagenen Beine wieder nebeneinander setzte.
„Was wollt Ihr?", brachte ich rau und kratzig hervor. Das Zimmer um mich herum drehte sich noch immer. Ich wollte eigentlich nur weg von dem, der mich in eine Ohnmacht getrieben hatte.
„Findest du nicht, dass du mich etwas vorschnell verurteilst? Ich bin nur für einen Krankenbesuch hier, weil ich mich um dich sorge." Er lehnte sich ein wenig vor und sah mir erst in die Augen, dann hinab auf meinen Arm, den ich inzwischen leicht angewinkelt auf meinem Bauch platziert hatte.
Ich mochte ihm diese Heuchelei nicht glauben. „Als wenn Ihr Euch um mich sorgen würdet", protestierte ich. Mein Blick huschte über sein Gesicht, suchte nach Anzeichen dafür, dass ich Recht behielt. Unbewusst wollte ich mich aufstützen, um ihn besser sehen zu können, doch prompt meldete sich wieder mein Ellenbogen zu Wort.
Aus dem Augenwinkel sah ich noch, wie der Graf kurz eine Augenbraue hob. Vielleicht war er inzwischen ja richtiggehend genervt von meiner Art. Vielleicht sogar so sehr, wie ich von meinem Ellenbogen und den Kopfschmerzen genervt war. „Darf ich?", fragte er dann, unerwartet nahe. Er stand an der Bettkante und deutete auf diese. Ohne eine Antwort abzuwarten setzte er sich. „Dein Ellenbogen scheint dir Probleme zu bereiten."
Ich konnte nicht leugnen, dass der Duft, der zu mir herüber driftete, keinesfalls unangenehm war. Ohnehin schien mir in diesem Moment recht wenig an ihm unangenehm. Nicht einmal die Angst meldete sich gerade zu Wort. Ich war zu perplex von dieser Erkenntnis, als dass ich meinen Arm hätte wegziehen können, als er nach ihm griff. „Was macht Ihr da?"
„Ich möchte mir den Grad der Verletzung ansehen. Es tut mir leid, dass der Ausritt ein so unschönes Ende fand. Ich hätte dich nicht dazu drängen sollen." Er hielt meinen Arm vorsichtig in den schlanken Händen. Die Berührung fühlte sich kalt an, irgendwie ungewohnt. Dennoch war sie angenehm.
Sollten das jetzt Annäherungsversuche werden? „Da muss ich Euch wohl zustimmen", gab ich nicht ganz unwillig zu. Warum auch immer, dieser Graf wirkte in diesem Moment leider gar nicht wie ein Monster.
Da änderte auch seine ruhige, sorgenvolle Stimme nichts dran. „Du musst nicht, wenn du nicht willst." Er übte ein wenig Druck auf mein Gelenk aus. Die Prellungen rund herum taten dumpf und unangenehm weh. Doch sie waren nicht so schlimm, dass ich nicht mit ihnen hätte leben können.
Schlimmer wurde es, als er vorsichtig meinen Arm beugte. So sorgsam er auch vorging, von den Fingerspitzen bis zur Schulter durchfuhr mich ein stechender, lähmender Schmerz. Ich sog die Luft scharf ein. Fürsorglich brachte er den Arm wieder in seine Ausgangsposition, dirigierte mich sanft wieder in die Kissen zurück und legte seine kühlende Hand auf das Gelenk. „Warum seid Ihr so vorsichtig?" Ich konnte mir nicht erklären, was sich seit dem Ritt verändert haben sollte. Doch die Person mir gegenüber war gerade keinesfalls der böse Vampir, als den ich ihn sonst wahrgenommen hatte.
Er wandte sich kurz von mir ab, um nach einem Verband zu greifen, während er mir mit verboten weicher und dunkler Stimme antwortete: „Wie ich sagte, ich sorge mich um dich. Du bist mein Gast und vom Pferd gefallen. Es wäre mehr als verwerflich, würde ich nicht zumindest einen Krankenbesuch vornehmen." Als er gefunden hatte, was er suchte, wandte er sich mir wieder zu, legte meine Hand auf sein Knie und hob meinen Arm an, um den Verband anlegen zu können.
Das Pochen, mit dem mein Ellenbogen protestierte, schluckte ich herunter. Warum zum Teufel war da so ein Charme in seiner Stimme! Das war doch unverschämt! Wie sollte ich denn dem fürsorglichen Grafen noch böse sein? Zumal ich ihn ganz eindeutig langsam gerne reden hörte. Moment... Was? Ich musste mir den Kopf angeschlagen haben, das hier war eindeutig einer Gehirnerschütterung zuzuschreiben.
Ein leises Lachen des Grafen riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah mit gerunzelter Stirn zu ihm herüber. Er war noch immer mit dem Verband beschäftigt, der allmählich meinen Arm in einem gewissen Stadium der Beugung fixierte. „Was belustigt Euch so?", fragte ich. Zum ersten Mal wollte ich wirklich wissen, was in seinem Kopf so vor sich ging.
„Dein Wechselbad der Gefühle. Es ist sehr interessant, wie du von einer Empfindung in die nächste schwankst." Aha, das dachte er also. Hätte seine Stimme nicht noch immer so friedlich geklungen, wäre vielleicht so etwas wie Trotz in mir aufgestiegen. Momentan aber fühlte ich mich einfach noch zu Schlapp, um irgendwelchen Widerstand zu leisten.
Obwohl ich mir einen Kommentar nicht verkneifen konnte. „Spielt Ihr eigentlich gerne mit den Gefühlen fremder Mädchen?" Ich hatte es nicht gewollt, doch in meiner Stimme lag etwas Schnippisches, Herabwürdigendes.
Der Graf befestigte das Ende des Verbandes, ehe er meinen Arm vorsichtig auf das Laken zurück sinken ließ. „Nein, keinesfalls", seufzte er. Etwas an seinem Tonfall klang traurig. „Man verlernt nur allzu zeitig mit der Gesellschaft junger Menschen umzugehen." Ich hatte das Gefühl, dass sein Blick sich trübte, irgendwo in eine Leere hinter meinen Arm starrte.
Ob ich ihm traute oder nicht, konnte ich nicht sagen. Etwas in mir warnte mich vor einer Finte des Grafen. Doch ebenso empfand ich Mitleid für ihn. Er wirkte so einsam, irgendwie alleine und hilflos. Ich selbst kam mir momentan ebenfalls hilflos vor, auf eine andere Art und Weise. Bei mir war es mein Körper, der mich hilflos machte. Er musste hingegen vielmehr einer geistigen Hilflosigkeit ausgeliefert sein, die ich mir schlimmer vorstellte, als eine körperliche.
„Dein Ellenbogen ist nicht unerheblich gestaucht", durchschnitt er schließlich die Stille. „Die Prellungen werden schnell abheilen, alles andere wird seine Zeit dauern. Doch die Heilung sollte unproblematisch vonstatten gehen." Sein Blick gewann an Klarheit zurück und er richtete sich wieder voll an mich. „Vielleicht wären ein paar private Reitstunden doch angebracht", schlug er vor.
„Nein, danke", lehnte ich ab. Etwas an der ganzen Situation hatte sich verändert. Irgendetwas zwischen uns hatte sich verändert. Warum musste er auch so anders sein heute?
„Wenn ich mich recht erinnere, fandest du den Ritt gar nicht so unangenehm, wie du dir selbst einredest." Oh dieser verfluchte Klang seiner Stimme! Sie war zum Verführen geschaffen, da war ich mir sicher.
„Wenn ich mich recht erinnere", imitierte ich ihn, „bin ich bei selbigem Ritt ohnmächtig geworden. Das geschieht doch sicher nicht einfach so."
„Das mag sein", fuhr er fort. Sein Zeigefinger strich sachte über meinen Unterarm. Die Berührung ließ einen höchst angenehmen Schauer durch meinen Körper laufen. „Doch die Signale deines Körpers vor jenem Zeitpunkt, waren recht eindeutig." Das selbstsichere Grinsen auf seinen Lippen hatte durchaus etwas Dreckiges an sich.
Das war doch nicht sein Ernst! Meinte er ernsthaft, er hätte sich bei diesem Ritt meine Gunst erschlichen? Der Kerl hatte mich halb wahnsinnig gemacht mit seinen Andeutungen und mich in eine Ohnmacht getrieben! Als wenn das sehr verführerisch war...
Das Lächeln wandelte sich in eine höhnische Form. „Glaubst du dir deine Abneigung eigentlich selbst?" Sein Blick legte sich durchdringend wie so oft in meinen.
Und ich war sprachlos. Völlig perplex starrte ich ihn mit offenem Mund an, wollte ihm etwas an den Kopf werfen, irgendein Argument, so fadenscheinig es auch sein mochte. Doch insgeheim war ich mir gar nicht so sicher, wie die Antwort auf seine Frage lautete. Um ehrlich zu sein wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich vom Grafen halten sollte.
Der Augenblick verstrich und das Lächeln des Grafen wurde wieder selbstgefällig, mit einem Hauch Triumph. Ich fühlte mich völlig vor den Kopf gestoßen, was die Kopfschmerzen nicht gerade angenehmer machte. Sie hämmerten inzwischen wieder so heftig gegen meine Schädeldecke, dass jeder Gedanke schmerzte. Müde schloss ich die Augen.
Es konnte doch nicht wahr sein! Fühlte ich mich etwa tatsächlich zu ihm hingezogen? Konnte es sein, dass mein so verlässlicher Verstand mich im Stich ließ? Dass ich seinem Charme und dem dunklen Zauber verfiel? Ja, verdammt! Er hatte diese mysteriöse, faszinierende Art. Doch ich war doch kein hormongesteuerter Teenager mehr! Ich wusste doch, dass das alles nur eine Masche war! Nur, wusste ich das wirklich?
„Ich möchte mich ausruhen. Bitte verlasst den Raum", erklärte ich nüchterner als gedacht, noch immer das raue Kratzen in der Stimme.
„Natürlich", drang die samtene Stimme des Grafen an mein Ohr. „Nimm dir die Zeit, dich auszuruhen und dir über deine Gefühle klar zu werden." Ich spürte, wie er aufstand, wie sein Geruch aus meiner Umgebung verschwand. „Gute Nacht", sagte er noch, dann hörte ich seine Schritte, wie er zur Tür ging und schließlich das charakteristische Geräusch, als selbige wieder ins Schloss fiel.
Ich atmete tief durch, um meine Brust hatte sich ein Gürtel aus Blei geschnürt. Alles war auf einmal so kompliziert. Der Graf. Feli. Die Flucht, die ich noch immer plante. Und die Sehnsucht nach Hause, die von der Zuneigung zu diesem verflucht attraktiven Vampir überschattet wurde. Verdammt, er könnte mein Vater sein! Aber da war mehr als elterliche Fürsorge, die er mir entgegen brachte. Und wie mein Herz darauf reagierte, gefiel mir ganz und gar nicht.

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