Kapitel 13 - Deine Seele gehört mir

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Der Ritt begann mit dem Weg, den Feli und ich emporgelaufen waren, vor einigen Tagen. Wie viele waren es bisher? Wie lange waren wir schon hier auf dem Schloss? Ich hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Es war eigentlich auch egal, wie lange. Fakt war, dass wir uns nicht ewig hier aufhalten konnten. Was für ein toller Witz! Ewig... Dem Grafen wäre es sicher nur recht.
Das Schnauben meines Fuchses riss mich aus meinen Gedanken. Prompt konzentrierte ich mich wieder auf die Bewegungen des Tieres. Es war definitiv keine Angelegenheit von Sicherheit, im Damensattel auf einem riesenhaften Warmblüter zu sitzen. Ich fühlte mich wie auf hoher See. Nur dass ich nicht vom weichen Wasser aufgefangen würde, sollte ich kentern. Da unten war nichts als harter Boden. Mit dem wollte ich nicht unbedingt Bekanntschaft machen.
„Meine Damen, wir werden zunächst diesem Weg weiter folgen und später die linke Abzweigung nehmen. Da meine Grafschaft nicht von geringer Größe ist, schlage ich vor, einen leichten Trab einzulegen." Der Graf ritt neben Feli, ich ein wenig versetzt hinter beiden. Das war die beste Position für Lisat. So hatte er Artgenossen vor sich. Das ließe ihn weniger nervös werden, hatte der Graf erklärt.
„Ich hätte nichts dagegen", erklärte Feli und lächelte ihrem Nachbar strahlend zu. Meine Güte, zwischen denen musste es vorige Nacht ja heftig gefunkt haben. Was der Graf ihr wohl alles erzählt hatte, während er meinen Kopf für sich beansprucht hatte?
„Laura, wärest du auch einverstanden?" Seine Frage ließ mich aufhorchen. Ich wurde doch noch nach meiner Meinung gefragt? Oh Wunder, oh Wunder!
„Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist", gab ich zu bedenken. „Mein Sitz in diesem Sattel ist noch nicht so gut."
Der Graf machte keine Anstalten, mir ins Gesicht zu sehen, während er antwortete. „Lisat hat einen sehr geschmeidigen Trab. Du wirst keine Probleme haben, ihn auszusitzen." Seine Stimme zeugte nicht gerade von Kompromissbereitschaft. Ich zog unbewusst den Kopf ein. „Nun, dann traben wir an."
Noch ehe er ganz ausgesprochen hatte, trieb er dem Pferd seine Sporen in die Seite und der Hengst sprang in einen flotten, federnden Trab. Feli tat es ihm gleich und drückte ihre Wade gegen die Rippen ihres Rayis. Auch er fiel in einen lockeren Trab.
Bevor ich mich dazu aufraffen konnte, auch Lisat zum Trab aufzufordern, bekam ich seinen Übereifer zu spüren. Überrumpelt von seinem Vorwärtsdrang hopste ich einem Flummi gleich im Sattel. Mit jedem Hopser klatschten meine Lungenflügel Beifall. In halber Panik versuchte ich, irgendwie in den Rhythmus des Tieres zu gelangen. Meine Hände hielten sich viel zu sehr an den Zügeln fest. Das arme Pferd tat mir leid, so sehr, wie ich ihm im Maul zog.
Lehn dich ein wenig mehr zurück und schwing in der Hüfte mit.
Die plötzliche Stimme in meinem Kopf erschreckte mich. Ich japste nach Luft und holperte noch einige Trabschritte weiter, nicht in der Lage, zu reagieren. Wie konnte der sich so schnell in meinen Kopf schleichen? Weiterhin durchgeschüttelt rang ich damit, seinen Ratschlag anzunehmen. Mein Ego war dagegen. Mein Selbsterhaltungstrieb nicht.
Letztendlich siegte die Vernunft. Ich legte meinen Oberkörper etwas weiter zurück. Prompt saß ich fester im Sattel. Es war erstaunlich, an welchen Kleinigkeiten man scheitern konnte. Auch wenn mir bei dem Tempo noch immer nicht wohl war, fürchtete ich nun zumindest nicht mehr so sehr, den Halt völlig zu verlieren. Das führte dann auch dazu, dass ich halbwegs locker lassen konnte, statt mich gänzlich zu verkrampfen. Mir war bewusst, dass mein Vertrauen in das Pferd bei weitem noch nicht ausreichend war. Zumindest aber vertraute ich dem Rat des Grafen. Der wollte ja immerhin mein Blut. Das bekam er, solange ich am Leben war. Es wäre also dumm von ihm, mich sterben zu lassen. Punkt!
Nach einer mir schier unendlich langen Strecke, die alsbald wieder an Höhe gewann, zügelte der Schlossherr schließlich seinen Hengst. Als er und Rayis Schritt gingen, wurde auch Lisat wieder ruhiger. Mit einem Seufzen der Erleichterung fiel die Anspannung von mir, als wir wieder zu einem gemächlichen Reisetempo fanden.
Nebenbei fing der Graf an, uns einige unwichtige Dinge zu erzählen. „Wir erreichen gleich den Zweithöchsten Punkt meiner Ländereien. Den höchsten bildet das Schloss. Von diesem hier jedoch überblickt man die Gebiete besser, da keine Wälder den Horizont verdecken." Ein Windstoß ließ seinen Umhang sich aufblähen. So betrachtet konnte das Ding fast als Fallschirm herhalten.
„Bei Tageslicht und guten Sichtverhältnissen", fuhr er fort und sah zu Feli herüber, „kann man in dieser Richtung sogar Bukarest erkennen." Er zeigte mit dem rechten Arm in besagte Richtung. Während Felis Augen bewundernd glänzten, konnte ich ihm nicht recht Glauben schenken. Bukarest war sehr weit entfernt. Warum sollte man es von hier aus sehen können? Wie vor allem, ohne Fernglas?
„Wie viele Dörfer liegen in Euren Ländereien?" Feli lenkte Rayis noch etwas näher an Thor heran.
„Vier kleinere und ein größeres. Die Entfernungen zwischen ihnen sind jedoch recht groß. Man kann in keinem Fall in einer Nacht alle bereisen", erklärte der Graf.
Kam es mir nur so vor, oder rückte sie dem Grafen gerade mächtig auf die Pelle? Ich schüttelte grimmig den Kopf. Sie mochte ihm ja verfallen sein, doch das schien mir nicht der richtige Weg, um in ihm ähnliches Empfinden aus zu lösen.
Aber was dachte ich denn überhaupt? Verlor ich jetzt den Verstand? Das klang ja fast so, als wäre ich eifersüchtig. Zum Geier nochmal, das war ich nicht! In keinster Weise! Sollte sie ihm doch verfallen und er auf ihre Anmache hereinfallen! Was kümmerte es mich? War doch ihr Problem.
Eigentlich. Irgendwie. Denn da war ja noch dieses kleine, sture und widerspenstige Etwas, das sich Gewissen schimpfte und immer zu den ungünstigsten Momenten zu beißen begann. So wie jetzt. Weil Feli mir nicht egal war. Nicht mehr. Ich konnte ja schlecht zusehen, wie sie in ihren Tod rannte. Das hatte ich einfach nicht drauf. Verdammt! Manchmal war dieses Gewissen echt mehr als unbrauchbar!
Wenig später lichteten sich die Bäume um uns. Der Sternenhimmel trat hervor. Ein fast runder Mond beleuchtete den schmalen Pfad, der sich den Berg hinauf wand. Er war schmaler als der zum Schloss führende Weg. Mir wurde übel, als ich zu meiner Rechten einen nicht kleinen Abgrund entdeckte, der schwarz geifernd zu mir empor blickte. Ich würgte einen Kloß durch meine Kehle.
Feli ritt nun dicht hinter ihrem Grafen, wobei ihr Pferd das seinige fast anschob. Ihn störte es jedoch nicht. Er war die Gelassenheit in Person. Er hatte ja auch nichts zu befürchten. Als Vampir konnte er ja schlecht nochmal sterben. Zumindest nicht durch einen bedeutungslos harmlosen Sturz – so einige hundert Meter hinab.
„Keine Sorge, die Pferde kennen den Pfad. Vertraut ihnen und lasst sie sich ihren Weg selber suchen." Der Graf hatte gut reden. Er saß sicher im Sattel. Außerdem hatte er auf jeder Seite des Pferdes ein Bein. Da hätte ich mich auch wohler gefühlt. Aber das hier war ja – leider Gottes – nicht meine heißgeliebte Gegenwart. Himmel, was ich die Moderne lieben werde, sobald ich wieder in ihr angekommen war!
Nach weiteren zehn Minuten des Aufstieges erreichten wir endlich ein Plateau. Die Pferde schnauften, Lisat scharrte auf dem kahlen Fels. Feli lenkte Rayis neben mich. Der Graf stellte Thor unweit von uns auf, sodass er uns beide im Blick hatte.
„Da wären wir." Er legte die Hände auf dem Sattelknauf ab. Seine Haltung auf dem Rappen maßte majestätisch an. Fast heroisch. Sie schien mir auf die eine Art passend, auf die andere jedoch bei weitem zu übertrieben perfekt. „Ihr könnt zwischen den Wäldern freie Flächen erkennen. Das sind die Felder. In deren Mitte befinden sich die Dörfer, an den kleinen Lichtpunkten zu erkennen."
Ich musste die Augen zusammen kneifen, um die Lichtpünktchen zu sehen. Ansonsten sah ich nichts weiter. Weder Wald noch Felder. Dazu war es einfach zu dunkel. Was Feli natürlich nicht davon abhielt, dem Grafen verbal um den Hals zu fallen.
„Eine beeindruckende Reichweite", meinte sie. „Ich bin sicher, dass es sich hier gut lebt."
„Ich hoffe doch sehr, dass es dieser Grund war, dem ich eure Anwesenheit zu verdanken habe." Er lächelte Feli schief zu. Ich warf ihr einen warnenden Blick zu. Sie sollte nicht auf die Idee kommen, sich zu verplappern! Immerhin lebten wir laut eigener Aussage eigentlich in einem der Dörfer...
„Ja, sicher. Das ist der Grund", antwortete sie leicht nervös.
Ich atmete nochmal erleichtert auf. Bis der Graf mit einem siegessicheren Zupfen an den Mundwinkeln hinzufügte: „Nun, Felicitas. In welchem der Dörfer wohnt ihr denn nun?" Ich sog instinktiv und dementsprechend scharf die Luft ein, was der Graf mit Sicherheit bemerkte. Nur zeigte er dies nicht. Arschloch.
Feli rang nach Worten. Sie war anscheinend überfordert mit seiner Frage und meinen zurechtweisenden Blicken. Ich fühlte mich aufgefordert, die Situation zu retten. „Das können wir nicht so genau sagen. Wisst Ihr, wir kennen die Umgebung noch nicht sehr gut. Aus dem Grund haben wir uns auch zu Ihnen verirrt."
Weiterhin betrachtete er Feli in ihrer Nervosität, die ihr die Röte in die Wangen trieb. Ich fühlte mich leicht ignoriert. Wollte er mich verarschen? War ich jetzt Luft oder was? Na super, dann konnte ich mich ja auch gleich zurück nach Hause teleportieren.
Wenn ich nur könnte...
Ehe ich melancholisch werden konnte, rief mich das Scharren Lisats wieder zur Aufmerksamkeit. Der Fuchs war anscheinend recht arbeitswütig. Ein erstaunliches Tier. An seiner Stelle würde ich mir lieber den ganzen lieben langen Tag mit Gras oder Heu den Wanzt fett fressen.
„Nun denn, setzen wir die Reise fort", verkündete der Graf und trieb seinen Hengst wieder an. Dann folgte der Abstieg über denselben Weg, diesmal mit dem Abgrund zu meiner Linken. Wo er noch wesentlich bedrohlicher wirkte. Wenn ich jetzt aus dem Sattel rutschen würde, gäbe es kein Halten mehr.
Dementsprechend fiel mir ein Stein vom Herzen, als uns endlich wieder die Bäume verschlangen. Der Weg wurde dunkler, das Sternenlicht von den Baumkronen verschluckt. Mit jedem Meter, den wir zurück legten, wurde Lisat wieder unruhiger. Von Zeit zu Zeit tänzelte er den anderen beiden Pferden hinterher, verlangsamte dann wieder, warf den Kopf hoch und blickte schnaubend um sich. Ich konnte nicht leugnen, dass ich mit ihm unruhiger wurde – zumal mein Gesäß allmählich genug von dem Sattel hatte.
Außerdem hatte ich nichts dagegen, diesen Ausritt zu beenden. Hier war ich ohnehin nur das dritte Rad am Wagen. Ich fühlte mich überflüssig. Weil es mir sowohl vom Grafen wie auch von Feli suggeriert wurde. Sehr schön. Würde sicher auch niemanden interessieren, wenn ich vom Blitz erschlagen würde.
In dem Moment hörte ich irgendwo hinter mich ein unangenehmes Knacken. Lisat riss den Kopf hoch. Ein lautes Krachen ließ die Stille zerschellen.
Ich wollte eigentlich noch die Zügel kürzer fassen und mich am Sattelknauf festhalten. Ich wollte beruhigend auf Lisat einreden. Doch stattdessen sah ich den Grafen und Feli an mir vorbei ziehen, fand mich wild hin und her hüpfend auf dem Rücken des Pferdes wieder, das gerade mit Vollgas auf ein Dickicht zuraste. Zweige klatschten mir ins Gesicht. Lisat schlug einen Haken.
Plötzlich war der Sattel weg. Die Welt stand einen Augenblick lang still.
Dann sah ich den Boden auf mich zukommen.
Mit einem heftigen Aufprall wurde mein Universum erschüttert, wirbelte noch einen Augenblick lang um mich herum, bis ich auf der Seite liegen blieb.
Einen Moment lang lag ich nur reglos da, starrte auf das Gras vor meinem Gesicht. Dann fand die Luft endlich wieder ihren Weg in meine Lungen. Mit einem kräftigen Zug atmete ich ein, spürte einen ebenso stechenden wie dumpfen Schmerz im Brustkorb. Reflexartig drehte ich mich auf den Rücken.
„Laura? Laura!" Ich hörte das Trommeln von Hufen. Dann ein dumpfes Aufkommen auf dem Boden. Kaum später hockte Feli neben mir und hielt mich an den Schultern. „Oh Gott, Laura! Ist alles ok? Hast du dir was gebrochen?"
Ich hustete vor mich hin, hatte noch Mühe, zu Atem zu kommen. „Ja", krächzte ich schließlich. „Glaube... schon." Ich umklammerte meinen Bauch, als ich wieder husten musste. Mein rechter Ellenbogen protestierte mit einer Explosion von Schmerz.
Ich musste ihn intuitiv festgehalten haben. „Ist klar", meinte Feli schlicht. „Zeig mal her."
Sie inspizierte meinen Arm, während ich meine Mimik nicht mal ansatzweise zu kontrollieren versuchte. Danach stand mir der Sinn gerade nicht. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, zu erfassen, was geschehen war. Immerhin lebte ich noch. Wie hatte ich das nur geschafft?
Weiteres Hufgetrappel ertönte. Dann erkannte ich schemenhaft den Grafen, der nicht weit von mir gehalten hatte. Allerdings machte er keine Anstalten, abzusteigen. Stattdessen blickte er von oben zu mir herab, begutachtete mich mit dieser arroganten Miene, die ich nicht sehen, mir aber bestens vorstellen konnte.
„Ich habe schon elegantere Abstiege gesehen", meldete er sich schließlich zu Wort. Ich hätte ihm das Maul stopfen können. Sollte der sich noch erdreisten, irgendetwas an meinem Reitstil aus zu setzen! Ich lebte! Allein dafür hätte ich jetzt gerne die Erde geküsst. Nun, irgendwie hatte ich das ja bereits unfreiwillig.
„Laura, kannst du aufstehen?" Feli staubte meine Jacke ein wenig ab. Als ich gezwungenermaßen nickte griff sie mir unter die Arme und half mir hoch. „Alles gut?"
Ich nickte wieder. „Ja, glaube ich. Ich kann nur nicht auftreten, muss mir das Bein verdreht haben", erklärte ich und mied es, mein rechtes Bein auf zu setzen. „Und mein Ellenbogen ist angeschlagen." Der Schmerz pulsierte noch immer im Gelenk. Das war alles andere als angenehm.
„Ja, der ist heftig geprellt. Aber nicht gebrochen, soweit ich das beurteilen kann." Feli stützte mich weiter. Bis wir bei ihrem Pferd angelangt waren. „Wie befördern wir dich denn jetzt nach Hause?"
„Ihr Pferd hat sie sehr elegant davonlaufen lassen", warf der Graf ein. Er hockte auf dem Rappen, als biete sich ihm ein sehr bemerkenswertes Schauspiel. „Vielleicht sollte ich dir bei Gelegenheit ein paar private Nachhilfestunden geben, Laura."
Ich schüttelte den Kopf. „Danke, nein."
„Ich denke kaum, dass du wirst ablehnen können. Es sei denn, du willst zu Fuß zurück zum Schloss." Ich sah zu ihm auf. Und hätte ihm im selben Moment das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht schlagen können.
Aber er hatte ja Recht. Ich musste irgendwie zurück. Und bei Feli mit zu reiten ging kaum. Ihr Damensattel war ja schon für eine Person sehr wacklig. Zwei Personen würde er wohl kaum tragen können. Also blieb mir keine andere Möglichkeit als... Mir würde nachträglich übel.
Der Graf stieg indes mit elegantem Schwung von seinem Ross und stellte sich an dessen Schulter. „Wenn ich bitten darf." Er gab mit einer galanten Geste zu verstehen, dass Feli mich zu ihm bringen sollte. Die war recht still geworden, wie mir auffiel. Doch ich dachte mich nichts dabei, was sollte sie auch großartig sagen?
Beim Grafen angekommen, funkelte ich ihn warnend an. Der sollte ja nicht auf die Idee kommen, sich irgendwelche besonderen Späße zu erlauben. Mit den Händen fasste er um meine Taille. Die Berührung selbst war schon mehr als unangenehm. Dann hievte er mich auf den Widerrist des Rappen. Er stieg gleich danach wieder auf, während Feli den Aufstieg beeindruckender Weise selbst meisterte.
Im nächsten Moment rückte er mich noch einmal zurecht. Dann saß ich direkt vor ihm. In den Armen eines Vampirs. Desjenigen Monsters, das die ganze Zeit nach meinem Blut lechzte. Ich wusste auch nicht, warum ich mich da so sehr verspannte...
Zu allem Überfluss wusste ich, dass der Graf wieder einmal sein triumphierendes Grinsen aufgesetzt hatte. Es lief ja alles nach seiner Nase. Und wie es mir dabei ging, interessierte niemanden. Verdammt! Warum konnte man mich nicht einfach mal in Ruhe lassen? Warum konnte ich nicht zurück nach Hause? Einfach so? Hier einschlafen und zuhause aufwachen. In meinem geliebten Bett, das so warm und kuschelig war. Bei meinen Eltern. Und meinem Bruder, der mich damit aufgezogen hätte, dass ich noch keinen Führerschein hatte.
Ist dir nicht wohl, Laura? Du könntest momentan keinen sichereren Platz besetzen.
Ernüchterung stieg in mir auf. Die Welt hatte etwas gegen mich. Nicht nur der Kleiderschrank...
„Wenn ich es mir recht überlege, fand ich den moosigen Waldboden doch ziemlich gemütlich", konterte ich die Stichelei.
Ich kann dich gerne wieder dorthin befördern,
erklärte der Graf und drückte seitlich mit einem Arm stärker gegen meine Rippen.
Sofort verkrampfte ich mich und lehnte mich gegen den Druck. „Danke, ich verzichte."
Kluges Kind. Der Graf hörte mit seinem unlustigen Spaß auf.
Mein Puls beruhigte sich langsam wieder. „Hat es einen bestimmten Grund, warum Ihr in meinen Schädel eindringt oder wollt Ihr mich nur provozieren?"
Eigentlich finde ich es nur sehr interessant, dass Felicitas momentan äußerst beleidigt ist.
Ich zuckte mit den Schultern und verkniff mir ein Augenrollen. Feli wieder! „Sie hat ja wohl auch allen Grund dazu."
Darf ich das also als Eingeständnis einer relativ intimen Situation deuten?
„Deutet es, wie Ihr wollt. Ich hätte jedoch nichts dagegen, mit Feli zu tauschen."
Wahrscheinlich ginge es mir dann ohnehin wesentlich besser, als in der jetzigen Lage. Die mir, nebenbei gesagt, fast schrecklicher vorkam, als der Sturz an sich, auch wenn mein rechter Arm immer noch vor Schmerz taub war.
Nicht doch, meldete sich der Graf wieder zu Wort. Deine Nähe kann ich so selten genießen. Ich meinte sein triumphierendes Grinsen in seinem Tonfall hören zu können.
„Ich möchte ja nicht unhöflich sein", warf ich nach kurzer Stille völlig zusammenhanglos ein, „aber ist das, was ich da gerade spüre, der Sattelknauf?"
Was wäre dir denn lieber? Ich unterdrückte ein Husten, während mir Wärme in den Kopf stieg. Nicht so schüchtern, meine Liebe. Der Graf sollte lieber aufhören in meinen Gedanken so höhnisch zu reden!
„Oh, ich bin nicht schüchtern. Ich habe nur langsam das Gefühl, von einem Tod in den nächsten zu taumeln."
Der Atem des Grafen strich mir über den Nacken. Das halte ich für unwahrscheinlich, erklärte er mir. Aber vielleicht könnte ich dir etwas Entspannung verschaffen. Es gibt viele stimmungsvolle Orte in meiner Grafschaft.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Wollte ich dieses Gesprächsthema?
Da wäre ein wunderschöner Tümpel auf einer Waldlichtung, von Weiden beschattet und mit Seerosen geschmückt. Oder eine wundervolle Grotte, weit ab jedweder Zivilisation, wo das Wasser die Sterne widerspiegelt.
Wir ritten aus dem Wald heraus, auf eine Lichtung. Der Schnee glitzerte hell im Mondlicht.
Der Mond lässt dein Haar noch schöner aussehen.
Oh Gott, wie viel Schmalz konnte eine Grafenstimme bitte vertragen, bis sie zu sehr der Edwards glich?
Dein Nacken wirkt im Übrigen gerade überaus verlockend.
Ich spürte, dass er die Worte nahe an meinem Genick aussprach. Sein Atem kitzelte an meinen kleinen Nackenhärchen. Ich konnte nur mit Mühe den Schauer unterdrücken, der mir eine Gänsehaut verschafft hätte. Verdammt, dieser Graf konnte aber auch herzerweichend sein!
Aber ich wäre ja nicht ich, würde ich darauf rein fallen. Ich versuchte diese Annäherungsversuche zu ignorieren. Doch als sein Atem nochmals meinen Nacken streifte und ihm ganz sanft und zärtlich die Lippen des Grafen folgten, konnte ich mich der Gänsehaut nicht verwehren. Hitze stieg mir in die Wangen. Mein Herz wollte einen Marathon laufen. Verdammt! Ich wollte nicht schwach werden...
Aber ich kam auch nicht umhin, diese Art des Grafen als überaus angenehm zu empfinden. Und faszinierend. Ich entspannte mich sogar ein wenig, vergaß beinahe den Schmerz in meinen Gliedern. Noch während ich um meine Selbstbeherrschung rang und die Augen schloss, spürte ich, wie sich seine Lippen auf meiner Haut verzogen.
„Als wenn ich nicht wüsste, dass Ihr gerade wieder triumphierend grinst."
Doch der Graf flüsterte nur gegen meinen Nacken: „Ich grinse nicht, ich genieße."
In dem Moment spürte ich, wie sich seine Arme enger um meine Taille legten. Es war erstaunlich, wie viel sanft bestimmende Kraft in ihnen lag. Allerdings hatte diese Geste etwas Beklemmendes an sich. Die Nervosität kehrte zurück. Unruhig versuchte ich, seinem Griff zu entkommen. Doch er verstärkte ihn nur noch, indem er die Zügel in eine Hand nahm, und seinen rechten Arm um meine Hüften schlang.
Verdammt, Laura! Willst du dir bei einem weiteren Sturz das Genick brechen? Die Stimme in meinem Kopf war plötzlich wieder barsch und bestimmend. Nichts war mehr da von der Sanftheit.
Angst kam in mir auf. Er war ein Vampir! Wie hatte ich das nur verdrängen können? Er würde mich umbringen, wenn er nur wollte!
Ein tiefes Knurren hallte in meinem Schädel wider. Die Hand, die eben noch meine Hüfte umfasst hatte, wanderte meinen Bauch entlang, bis sie direkt über meinem Herzen liegen blieb. In meinem Magen explodierte die Panik. Ich versuchte dem Griff zu entkommen, doch er hielt mich zu fest, ließ mir keine Bewegungsfreiheit mehr.
Du kannst nicht mehr fliehen, grollte er in meinem Kopf. Deine Seele gehört mir! Es gibt kein Entkommen von der Dunkelheit.
Ich biss die Zähne zusammen, Tränen stiegen mir in die Augen. Mama! Papa! Ich wollte nach Hause. Ich wollte weg. Ich wollte nicht sterben. Doch ich würde. Nicht jetzt, aber bald. Ich würde sterben. Sterben...
Die Dunkelheit um mich herum verschwamm, wurde eine Masse. Ich vergaß seinen Griff, ich vergaß Feli. Die Nacht hüllte mich ein. Und ließ mich zurück sinken, gegen etwas Festes, das mir Halt und Geborgenheit gab. Das verwunderte „Laura?", das hinter mir erklang, verhallte ungehört im leeren Raum.

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