Kapitel 2

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Ich ließ meine Handtasche fallen und ging mit geballten Fäusten auf den Fernseher zu.

„Egzona, du bist schon da?“, fragte Berat.
„Ist das euer ernst?“, zischte ich.

Ich schaltete den Fernseher aus. Mit zitternden Händen rieb ich mir über das Gesicht. Meine Nerven! Meine Schwiegermutter stand auf und wollte sich ganz unauffällig aus dem Staub machen.

„Wohin gehst du?“, rief ich.
„Schlafen“, antwortete sie.

Ja, abhauen. Jeglichen Diskussionen aus dem Weg gehen – wie immer. Lieblingsbeschäftigung der Familie Salihi. Aber heute nicht. Heute nicht! Ich hatte lang genug die Klappe gehalten.

„Wieso schlafen? Bleib doch und schau weiter Hochzeit“, sagte ich.
„Egzona, ich -“
„Was Mutter? Was? Willst du vielleicht den Zweiten Teil sehen? Oder den Dritten?“, schrie ich.

Berat sprang auf und ergriff Partei.

„Beruhige dich mal. Es war meine Idee“, sagte er.
„Deine Idee?“, antwortete ich. „Das wird ja immer schöner hier!“

Ich lachte hysterisch auf und griff mir an den Kopf. Mein Atem beschleunigte sich, Hitze stieg mir ins Gesicht. Die Wut überwog meine Trauer, meinen Schmerz und meine Enttäuschung. Da war nur noch Wut und Hass, die von mir Besitz ergriffen hatte. Hass, auf ihn! Seine Gleichgültigkeit, die so verdammt schmerzte, raubte mir den letzten Funken Hoffnung.

Meine Schwiegermutter verließ schweigend das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Berat kam auf mich zu. Mit seinen weichen Gesichtszügen und seinem liebevollen Lächeln. Seine braunen Augen fixierten mich abwartend. Dann hielt er mir die Hand hin.

„Du bist bestimmt müde, leg dich schlafen“, sagte er leise.

Das hätte er wohl gerne. Ich schlug seine Hand weg.

„Wie kannst du nur?“, fragte ich.
„Egzona, ich hab doch nur -“
„Gelacht?“, schrie ich.
„Ich -“
„Sei still! Ich rede jetzt.“

Meine Stimme zitterte nun, meine Knie bebten. Vorsichtig trat ich einen Schritt näher.

„Wie kannst du lachen, während ich weine? Wie kannst du schlafen, während ich neben dir liege und mich ständig hin und her wälze? Wie kannst du einfach so weitermachen, während sich meine Hand noch immer instinktiv auf meinen Bauch legt und auf den nächsten Tritt wartet?“

Tränen kullerten mir über das Gesicht. Die Worte sprudelten aus mir heraus.

„Wir müssen weiterleben, natürlich. Aber wieso verdammt, könnt ihr meine Trauer nicht respektieren? Ich hab mein Fleisch und Blut vor zwei Wochen begraben, Berat! Stell dir vor, es war auch dein Baby, aber das scheint dich nicht im Geringsten zu kümmern.“
„Was redest du da für einen Schwachsinn, Egzona?“, erwiderte er wütend.

Er packte mich an den Armen, doch ich schüttelte ihn ab.

„Fass mich nicht an“, sagte ich ruhig. „Ich bin müde, ich geh jetzt schlafen.“

Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen. Ich ging geradewegs ins Bad, wo ich mich auf den Wannenrand setzte. Erneut schüttelte mich ein heftiger Hustenanfall. Das ging soweit, dass ich kaum noch Luft bekam und plötzlich würgen musste. Auf wackeligen Knien stand ich auf und hielt mich am Waschbecken fest, bis der Anfall abebbte. Meine Brust brannte. Der kurze Blick in den Spiegel zeigte mir, dass meine Augen rot unterlaufen waren.

Aber mal abgesehen davon, dass es mich gesundheitlich scheinbar erwischt hatte. Es ging mir mies. Es ging mir unbeschreiblich mies!

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