Kapitel 11

10.6K 430 34
                                    

Bedrückendes Schweigen hatte sich im Zimmer ausgebreitet. Raifs Augen waren mit Tränen gefüllt, Lynn starrte stattdessen ausdruckslos in die Luft.

„Das tut uns .. das tut uns leid“, stotterte ich mit bebender Stimme und drückte Berats Hand.

Er zitterte. Sein Blick suchte meinen, auf seinem Gesicht lag ein gequälter Ausdruck.

„Es war ein gewaltiger Schock, aber ich bin so froh, dass ich Raif und Lorik noch habe. Ich weiß gar nicht, was ich ohne meine beiden Männer gemacht hätte“, antwortete Lynn.

Sie rückte näher an ihren Mann heran und kuschelte sich in seine Arme. Dann fing sie an zu erzählen, und mir fiel auf, wie Wortgewandt sie war. Sie beschrieb den Unfall, den kurzen Krankenhausaufenthalt, und sie erzählte das alles so .. intensiv und ohne Unterbrechungen, dass es mir unter die Haut ging. Als würde sie von einem Buch oder einem Film berichten. Das war fast schon unheimlich.

„Vielleicht sollten wir gehen“, flüsterte Berat mir zu.

Ja, das wäre vielleicht der richtige Zeitpunkt gewesen, um diesem grauenhaften Abend ein Ende zu setzten. Aber vom Neuem sprang Lynn auf und hielt uns zurück.

„Ach, Leute. Ich hab den Tee aufgesetzt, bleibt noch ein bisschen!“
„Danke, aber ich glaube das verschieben wir aufs nächste Mal“, antwortete Berat.
„Soll ich den Tee etwa ausleeren?“, sagte sie und warf ihm einen eindringlichen Blick zu.
„Nein, natürlich nicht. Wir bleiben noch ein bisschen“, warf ich ein.

Ich konnte es ja selbst kaum erwarten von hier zu verschwinden, aber ich hatte Mitleid mit ihr. Vielleicht war das ihre Art mit dem Schmerz umzugehen. Zufrieden nickte sie mir zu und verschwand dann in der Küche.

„Es tut mir leid. Sie kann manchmal sehr überzeugend sein“, sagte Raif leise.

Er seufzte tief und rieb sich den Nasenrücken. Da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte, hielt ich einfach meine Klappe. Berat sah aus wie eine Leiche, sagte aber ebenfalls nichts.

Die Situation war uns dreien mehr als unangenehm, nur Lynn tat so, als sei nichts gewesen. Während ich zitternd nach dem Teeglas griff, wechselte sie problemlos das Thema und erzählte Geschichten aus ihrer Kindheit.

Eine handelte davon, wie sie einen kleinen Hund aus einen Fluss rettete. Sie übertrieb maßlos, ihre Erzählung hatte schon etwas absurdes an sich. Vor allem war das ja auch so ein super Augenblick, um bizarre Märchen zu erfinden. Wahrscheinlich wollte sie einen möglichst guten Eindruck bei uns hinterlassen, indem sie sich als Heldin präsentierte …

Es dauerte noch eine gute Stunde, bis wir endlich gehen konnten. Kaum hatte ich die Tür zu unserer Wohnung aufgeschlossen, eilte Berat auch schon ins Bad.

Müde ließ ich mich auf der Couch im Wohnzimmer sinken und vergrub das Gesicht in meine Hände – meine Nerven lagen blank! So hatte ich mir diesen Abend nun wirklich nicht vorgestellt.

„Egi, ich geh schlafen.“

Ich hob meinen Kopf und sah Berat am Türrahmen stehen. Er war den ganzen Abend über erschreckend blass gewesen, nun bekam sein Gesicht allmählich wieder Farbe.

„Ich komme gleich nach“, antwortete ich.

Er nickte kurz angebunden, bevor er schnell wieder ging. Man merkte, dass ihn das Ganze mitnahm, aber da war er definitiv nicht der Einzige.

SeelensplitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt