Kapitel 35

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„Lass ihn in Ruhe! Hast duverstanden? Fass ihn mit deinen dreckigen Händen nicht an!"


Ich stand auf. Papa war nur noch eineHand breit von Fisnik entfernt, als ich den Schrei ausstieß. Erverzog das Gesicht zu einer hässliche Fratze und kam wieder auf michzu.


„Sonst was?", fragte er leise undholte gleichzeitig aus.


Er prügelte blind auf mich ein. Zuerstverfehlte er meist das Ziel, schlug gegen meine Arme, die ichschützend vor meinem Gesicht hielt, doch dann traf eine Faust genauins Schwarze. Ich hatte das Gefühl, als hätte er mir gerade denKiefer zertrümmert. Schmerzerfüllt stöhnte ich auf und fiel zuBoden. Blut rann mir am Mundwinkel herab. Selbst durch das Blut ließer sich nicht beirren. Im Gegenteil, es pushte ihn noch mehr.


„Fisnik, hau ab! Geh ins Schlafzimmerund schließe die Tür ab!"


Sofort flitzte der Kleine los. Papaschien ohnehin ganz auf mich fixiert gewesen zu sein. Rüde packte ermich erneut an den Haaren, schleifte mich Richtung Tür. Quer durchdas Wohnzimmer wurde ich mitgezogen. Dabei gab er Wörter wie: „Hure,Schlampe, Verräterin", von sich und schüttelte seinen Kopf. SeineAugen huschten orientierungslos durch den Raum, so, als wäre er vonSinnen. Meine Kopfhaut brannte, ich klammerte mich mit beiden Händenan Papas Arm und biss die Zähne zusammen. Die Schmerzen in meinemGesicht waren schier unerträglich, aber wenigstens war Fisnik inSicherheit. Ich würde nicht zulassen, dass er dem Kleinen wehtut.

Ich hatte keine Ahnung, was Papavorhatte. Ich glaube, er wusste es selbst nicht. Als wir die Kücheerreichten ließ er schließlich von mir. Verwirrt lief er auf undab, ließ mich dabei aber nicht aus den Augen. Wie ein Verrückterstarrte er mich an.


„Seit wann triffst du dich mit ihr?",wollte er wissen.

„Ich wusste nicht .. ich wusstenicht, wer sie ist."

„Willst du mich für dumm verkaufen?"

„Nein .. ich wusste es wirklichnicht."

„Hör auf zu Lügen!"


Der Schrei hallte durch die ganzeWohnung. Mein Körper versteifte sich. Papas Auge zuckte unmerklich,außerdem ballte er immer wieder sein Hände zu Fäusten. Ich kam mirso hilflos vor, wie ich hier auf dem Boden lag und zu ihm herauf sah.


„Das ist keine Lüge, ich -"

„Du Hure, ich bring dich um!"


Ich zweifelte keine Sekunde an seinerDrohung. Im Gegenteil, ich war fest davon überzeugt, dass erwirklich dazu in der Lage war. Der folgende Tritt kam unerwartet undnahm mir die Luft. Ich krümmte mich zusammen, hielt mir stöhnendden Bauch. Papa trat ein paar Schritte zurück und gabunverständliche Worte von sich. Irgendwie gelang es mir michaufzurichten, und ich schaffte es, wenn auch schwankend, auf denBeinen zu bleiben. Mir war schwindelig. Ich hatte in den letztenTagen kaum etwas gegessen, hinzu kam der Unfall und die Angst umJeta. Die Frustration meiner gescheiterten Ehe. Meine Gefühle fürRaif, die ich nicht einordnen konnte. Der Hass auf mich selbst, dassich mich jahrelang wie Dreck behandeln lassen hab. Noch ehe ichrealisierte, was ich da tat, öffnete ich eine Schublade und griffnach einem Messer. Ich hielt es in die Höhe und sah meinen Vaterherausfordernd an. Ich wusste, dass wir gerade an einenentscheidenden Punkt waren.

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