Kapitel 16

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„Ist das Berat?“, fragte Rebecca mich.

„Nein, er ist bei seiner Mutter.“

„Aber wer ...“

Sie sprach nicht weiter und sah mich ängstlich an. Erneut hämmerte es gegen die Wohnungstür. Rebecca zuckte zusammen. Ihr Verhalten irritierte mich, ich hatte Mühe die Fassung zu bewahren. Was zur Hölle ging hier gerade vor? Das war doch skurril!

„Ich geh kurz in die Küche und hole ein Messer“, sagte Rebecca plötzlich.

Sie gab mir nicht einmal die Gelegenheit zu protestieren, und kurz darauf stand sie mit einem Riesen Küchenmesser vor mir. Mit weit aufgeklapptem Mund starrte ich sie an.

„Geh jetzt an die Tür, ich bleib direkt hinter dir“, sagte sie mit ernster Miene.

„Ist das dein ernst?“

„Mach jetzt.“

„Als ob ein Psychopath am helllichten Tage an der Tür klopft.“

„Egi, verrückte Leute machen verrückte Dinge!“

„Wenn hier jemand verrückt ist, dann bist du das. Leg das Messer weg, das ist doch lächerlich.“

Abermals klopfte es lautstark, und ich hatte das Gefühl, dass die Person gleich die Tür eintreten würde. Unwillkürlich krampfte sich mein Magen zusammen, mein Herz begann zu rasen.

„Okay, anders überlegt. Behalte das Messer“, sagte ich flüsternd.

Rebecca ging dicht neben mir. Als wir an der Tür standen, hielt ich noch einmal inne. Verdammt, wieso zitterte ich? Durch den Spion erkannte ich nichts – alles schwarz. Öffnen auf gut Glück. Rebecca stieß mich leicht mit dem Ellenbogen an. Ein, Zwei, Drei. Und dann …

„Frau Wagner?“

Meine Nachbarin, die in der Wohnung unter mir wohnte. Erleichterung strömte durch meinen Körper, und im selbem Moment wurde mir bewusst, wie absurd das Ganze gerade gewesen war.

„Tut mir leid, dass ich störe und so energisch geklopft habe“, begann meine Nachbarin, „aber da hat jemand sehr ungünstig geparkt. Ich komm nicht raus und habe es sehr eilig. Der Wagen gehört soweit ich weiß ...“

Frau Wagner hielt inne und starrte Rebecca an, die noch immer das Messer in der Hand hielt. Und das Schlimme war, diese Idiotin hielt es quasi einsatzbereit in die Höhe. Mein Gott!

„Ich .. also .. wir kochen gerade. Aber meine Freundin wird natürlich kurz Platz machen.“

Ich wandte mich zu Rebecca, nahm ihr das Messer aus der Hand und warf ihr einen strengen Blick zu, um sie zur Vernunft zu bringen. Es wirkte – Gott sei Dank.

„Ja .. natürlich“, stotterte sie und verschwand dann mit Frau Wagner die Treppen nach unten.

Ich ging wieder rein, legte das Messer zurück und wagte es erst jetzt laut auszuatmen. Als Rebecca wieder oben war, standen wir in der Küche und sahen uns ein paar Sekunden lang schweigend an, bevor wir in schallendes Gelächter ausbrachen.

„Du bist verrückt!“, lachte ich.

„Ich kam mir gerade vor wie in einem Horrorfilm“, grinste Rebecca.

„Du schaust eindeutig zu viele davon“, stellte ich fest.

Erleichtert ließ ich mich auf einen Stuhl war. Raif war kein Psychopath. Zumindest sagte mir das mein Gefühl …

Es war kurz nach 14 Uhr, als Rebecca mich zum Friedhof fuhr. Wir hatten was gegessen und uns dann noch lange im Wohnzimmer unterhalten. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was ich ohne sie gemacht hätte. Wahrscheinlich wäre ich schon längst in der Klapse gelandet – oder auf den Zugschienen.

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