Kapitel 12

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„Gerne“, antwortete ich.

„Echt?“

„Ja.“

Er schien sichtlich überrascht zu sein. Womöglich hatte er nicht gedacht, dass ich so schnell einwilligen würde.

„Passt 19 Uhr?“

Ich nickte ihm zu, strich mir eine Locke hinter das Ohr und holte Lorik. Zum Abschied winkte ich ihnen hinterher und stieß dann einen tiefen Seufzer aus.

Nachdem Berat mir heute Morgen mitgeteilt hatte, dass er mit seinen Freunden übers Wochenende nach Berlin fährt, kam mir das Treffen gerade gelegen. Es war das perfekte Timing, um ein für alle Mal Klartext mit diesem Mann zu reden!

Zu Hause angekommen, frischte ich kurz mein Make-Up auf – nicht, dass mein Aussehen eine Rolle spielte –, und streifte mir einen dünnen Cardigan über.

Anschließend telefonierte ich noch mit Rebecca. Sie entschuldigte sich, dass sie sich nicht gemeldet hatte, schob die Schuld lachend auf Danny und versprach mir am Sonntag vorbeizuschauen.

Als ich den Flur betrat und mein Spiegelbild sah, hielt ich inne. Beim Anblick meines noch leicht gewölbten Bauches, überfiel mich der Schmerz, wie ein plötzlicher Regen. So viele Erinnerungen schossen durch meinen Kopf. Die regelmäßigen Tritte, das schlagende Herz, die kleinen Fingerchen.

Ich kämpfte mich ins Leben zurück, machte weiter, weil ich weiter machen musste. Ich verdrängte so gut es ging. Die Wut, den Schmerz, die Schuldgefühle, all das wurde ganz tief vergraben. Aber dann reichte die Babyabteilung im Einkaufszentrum, eine fremde Frau, die ihren Kinderwagen vor sich her schob, oder einfach nur ein Blick in den Spiegel, um alles wieder hervorzuholen.

Ich legte die Hand auf meinen Bauch und nahm tief Luft. Meine Augen wurden feucht, ich riss mich aber zusammen, da es der falsche Zeitpunkt war, um in Tränen auszubrechen.

Raif hatte 19 Uhr gesagt. Jetzt war es schon Viertel nach, und weit und breit keine Spur von ihm. Sein Wagen stand auch nicht vor dem Haus. Ich saß auf der Schaukelbank, die mit Ketten direkt neben der Eingangstür angebracht war und betrachtete den wunderschönen Garten, der zum Träumen einlud. Vielleicht sollte ich wieder rein gehen, dachte ich mir nach einer Weile.

Gerade als ich mich erhob, fuhr der silberne Mercedes von Raif heran. Nachdem der Motor verstummte, stieg er aus dem Wagen und eilte auf mich zu.

„Egzona.“

„Raif.“

Er lächelte, und mir fiel auf, dass ich ihn zum ersten Mal beim Namen genannt hatte.

„Entschuldige bitte die Verspätung, hatte noch etwas wichtiges zu erledigen.“

„Passt schon.“

„Gehen wir?“

Ich zögerte. Was, wenn mich jemand sah? Wie sollte ich das erklären? Vielleicht war es besser, wenn wir einfach hier blieben? Andererseits war die Aussicht allein mit ihm zu sein, nicht gerade verlockend. In einem Café wären wir immerhin von Mitmenschen umgeben.

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