Kapitel 38

4.6K 313 18
                                    


Verzweifelt klammerte ich mich an Ilir, wollte ihn unter keinen Umständen loslassen. Ich war doch noch nicht bereit ihm gegenüber zu treten. Ich war nicht bereit ihm ins Gesicht zu sehen. Ich wollte nicht, ich konnte nicht!

„Keine Sorge, er kann dir nichts tun", flüsterte mir Ilir ins Ohr.

Als ob er mir nicht schon genug getan hätte. Ich hielt die Luft an und löste mich letztendlich doch aus seinen Armen. Mein Vater stand nur zirka zwei Meter von uns entfernt. Auf seinem Gesicht lag ein angewiderter und auch spöttischer Ausdruck.

„Teilst du dir mit deiner Mutter jetzt auch schon den Mann?", höhnte er.

Meine Knie bebten. Ich wich seinem Blickkontakt aus. Ilir ignorierte die ekelhafte Bemerkung und schüttelte nur verständnislos mit dem Kopf. Mein Vater steckte die Hände in die Hosentaschen und sah sich um. Täuschte ich mich, oder lag ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen?

„Da geht es wohl jemanden nicht gut, was?"

„Was willst du?", fragte Ilir.

„Wie geht es deiner Hand?"

Mein Blick fiel auf Ilirs rechte Hand, an der ein Finger fehlte. Natürlich war mir das schon bei unserem ersten Treffen aufgefallen, aber die Frage meines Vaters irritierte mich. Zumal mir der spöttische Ton in seiner Stimme nicht entging. War es möglich, dass er ... nein. Oder etwa doch?

„Was willst du?", wiederholte Ilir ungerührt.

„Der Hure beim Krepieren zusehen. Verdient hat sie es."

Ilir ballte die Hände zu Fäusten. Sein Kiefer mahlte und die Adern an seinen Hals traten hervor. Ich sah die Eskalation schon kommen, doch gerade rechtzeitig tauchte Raif auf. Er trat neben Ilir und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Misstrauisch musterte er meinen Vater.

„Gibt es hier ein Problem?", wollte Raif wissen.

„Und wer bist du, dass du das wissen willst?", fragte mein Vater.

Ich weiß nicht genau wieso, aber ich bekam eine Heidenangst. Zu allem Überfluss sprang Fisnik plötzlich auf und zeigte auf meinen Vater.

„Das ist er!", rief der Kleine aufgebracht. „Das ist der böse Mann, der Egi weh getan hat."

Ich schluckte schwer. Raif drehte seinen Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich. Er verstand. Das merkte ich daran, dass sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Ich bekam Panik.

„Bitte geh", flehte ich meinen Vater an.

„Gleich. Ich will dabei sein, wenn der Arzt die Todesnachricht überbringt."

„Verschwinde von hier", zischte Ilir.

„Ein feierlicher Moment."

Raif ging auf ihn zu und packte ihm am Arm. Vor meinen Augen drehte sich alles. Ich wollte meine Ohren mit den Händen bedecken, doch ich konnte mich nicht bewegen. Mein Körper gehorchte einfach nicht.

„Du gehst jetzt, hast du verstanden?", sagte Raif.

„Sonst was?"

„Sonst hole ich die Polizei."

Mein Vater riss sich von ihm los und lächelte ungerührt.

„Schon gut. Dann lasse ich euch eben allein. Informiert ihr mich, wenn sie endlich tot ist?"

Fisnik begann zu weinen. Der Boden unter meinen Füßen schwankte. Bevor er ging, warf er mir noch einen drohenden Blick zu, was dazu führte, dass meine Knie einknickten. Ich lag mitten auf dem Gang und sah diesem Mann hinterher. Dem Vergewaltiger meiner Mutter. Ich wollte sterben.

SeelensplitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt