Kapitel 34

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Es war mehr als nur eine Schrei, der da von mir kam. Es war ein Klagelaut, der durch Mark und Bein ging und meinen eigenen Körper zum Beben brachte.

„Ruft einen Krankenwagen ... ich glaube, sie ist tot ... atmet sie noch?"

Die Stimmen um mich herum schwollen an, wurden lauter, hysterischer. Ich strich Jeta eine blutige Haarsträhne aus dem Gesicht, berührte ihre Wange. Dann griff ich nach ihrer Hand.

„Fass sie nicht an!", schrie Fiona mir entgegen. „Es ist deine Schuld!"

Aber ich wollte sie anfassen. Ich wollte sie fühlen, sie umarmen, sie küssen. Ich wollte meinen Kopf an ihre Brust drücken und ihren Duft einatmen. Ich wollte all das tun, was mir davor verwehrt geblieben war. Auch wenn ich keine fünf Minuten zuvor das Gegenteil behauptet hatte, so wusste ich doch, dass es das war, was ich wirklich wollte.

Doch jetzt war es zu spät, und es war meine Schuld. Fiona hatte Recht. Ich war hierfür verantwortlich, nur ich. Was hatte ich mir überhaupt dabei gedacht hier her zu kommen? Was wollte ich damit erreichen? Was hatte es mir gebracht, meine Enttäuschung und meine Frustration, die sich Dank meines gescheiterten Lebens anhäufte, an ihr raus zu lassen?

Jetzt lag sie hier. Die Frau, die mich auf die Welt gebracht hat. Meine Mutter. Blutverschmiert, bewusstlos, dem Tode nahe. Wegen mir, alles wegen mir.

„Du darfst nicht sterben", flüsterte ich ihr zu. „Du darfst nicht sterben, bitte."

Ich wiederholte meine Worte unaufhörlich und ließ dabei ihre Hand nicht los. Fiona versuchte vergebens Fisnik von diesem schrecklichen Anblick abzuschirmen. Der Kleine schrie wie am Spieß nach seiner Mutter. Mir wurde schwer ums Herz, mein Atem stockte. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Mir war, als würde jemand meine Luftröhre zudrücken.

„Steh auf, bitte", sagte ich leise.

Ich beugte mich zu ihr herab und tätschelte ganz leicht ihre Wangen. Ich hatte Angst. Angst, zwei Kinder zu Halbwaisen zu machen. Angst, einen Ehemann zum Witwer zu machen. Ich hatte fürchterliche Angst meine Mutter zu verlieren, ohne sie je wirklich gehabt zu haben. Bitte, lieber Gott, lass sie nicht sterben, betete ich stumm.

Der Blutgeruch stieg mir in die Nase. Ich spürte, wie mein Magen rebellierte und hielt mir die Hand vor dem Mund. Die Sirenen des Rettungswagen kamen näher und übertönten die Stimmen um mich herum. Dann ging alles ganz schnell. Die Nachbarn machten Platz, Notfallsanitäter und ein Notarzt sprangen aus dem Wagen. Schwankend stand ich auf und sah dabei zu, wie sie sich um Jeta kümmerten. Eine Halskrause wurde ihr angelegt, anschließend wurde sie vorsichtig auf eine Trage gelegt. Ich konnte meine Augen nicht von Jetas Gesicht nehmen. Erst als Fisnik zu kreischen begann, erwachte ich aus meiner Schockstarre. Fiona redete auf ihn ein und drückte ihn zu einer Nachbarin. Der Kleine wehrte sich nach Kräften.

Als der Rettungswagen mit Blaulicht davon fuhr, nahm ich tief Luft und ging auf Fiona zu. Mit zitternden Händen holte ich meinen Autoschlüssel hervor und reichte ihn ihr.

„Fahr hinterher. Ich .. ich kümmere mich um Fisnik."

Ihr Blick war niederschmetternd. Trotzdem nahm sie die Schlüssel und rannte zu meinem Wagen. Ich musste Fisnik festhalten, damit er nicht auf die Straße rannte. Erst, als Fiona weg war, gab er sich schließlich geschlagen. Erschöpft nahm er meine Hand und suchte meinen Blick.

„Egi, ich will zu Mama", sagte er weinend.

Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte nicht fassen, was soeben passiert war. Eine geschlagene Minute stand ich wortlos da, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Als mein Blick auf den Brief fiel, der noch immer auf dem Boden lag, versiegten meinen Tränen. Ich vergewisserte mich, dass keine Autos kamen, drückte fest Fisniks Hand und holte mir den Brief, auf den Blutflecken klebten. Mein Magen zog sich zusammen.

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