Kapitel 9 Pink und Motorräder

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Pink. Verloren. Verfickt.

Wütend springe ich auf, knalle die Serviette auf den Tisch und brause aus dem Raum. Ich kann spüren, wie mir alle verwirrt nachschauen, und ich kann Anastasia lachen hören. Fickt euch doch alle! Schnaubend gehe ich meine Tasche holen, und will mich auf den Weg ins Stadion machen. Doch als ich die Türe wieder öffne, steht Otabek vorne dran, und grinst nur hämisch. Er hält mir ein Shirt hin. Wenn Blicke töten könnten... Ich reisse ihm das Shirt aus der Hand und stapfe davon. Nein, ich schaue mich nicht mehr um! Die können mich alle mal! Endlich komme ich in der Eishalle an. Ich gehe rein und ziehe mich um. Momentan bin ich noch alleine in der Umkleide. Das Shirt kommt mir in die Hände. Ja, ich kenne es gut, Anastasia trägt es oft. Es ist ein knallpinkes Shirt, das eine rote Paillettenrose auf der Vorderseite hat mit dem Spruch 'Neverending Love'.  Eines ihrer Lieblingsshirts! Ich stosse einen russischen Fluch aus und streife es mir über. Ihr ist es etwas gross, doch mir passt es wie angegossen. Na schön, dann steh ich diesen Tag halt so durch. Wettschulden sind schliesslich Ehrenschulden, und es soll niemand sagen können, Yuri Plisetzki sei ein schlechter Verlierer. In diesem Moment kommt ausgerechnet Viktor und das Schweinchen in die Umkleide. Und klar, Viktor kann es nicht sein lassen: «*Pfeif* Wow, Yurio! Du siehst heiss aus!» «Nenn mich nicht so!» «Was, darüber nervst du dich?», er lacht auf. «Halt deine verdammte Fresse, ich habe halt ne Wette verloren! Na und?» «Und das ist die Strafe! Du hast echt Mumm, das muss man dir schon lassen! Respekt! Naja, nun werden Aussenstehende wenigstens nicht mehr merken, dass zwei Männer miteinander laufen!» Ich könnte Viktor gerade köpfen. War klar, dass der sich darüber lustig macht. Ich schaue grimmig Yuuri an. Der schaut aber ganz normal, er macht sich nicht lustig über mich. Ach, scheiss Katsudon! Bemitleide mich nicht! Schnell gehe ich raus und steige aufs Eis. Stöpsel und Musik rein, und warmlaufen. Ich habe gerade sowas von keine Lust und laufe zornig einige Runden. Die anderen Teilnehmer trudeln auch langsam ein, aber offensichtlich macht mein Gesichtsausdruck allen soweit Angst, dass sie mich in Ruhe lassen. Auch Otabek und Anastasia kommen dazu, doch auch sie lassen mich in Ruhe. Endlich beginnt das Training. Yakov und Lilia mustern mich zwar mit undurchschaubaren Blicken, sagen aber nichts. Sie wissen, dass das nicht mein Shirt ist. Wir werden wieder aufgeteilt, und Stephane erklärt uns unsere Übungen heute. Pirouetten. Kein Thema. Hab ich geübt.
Moment... Paarpirouetten?! Die Übung, die er uns zeigt, hat es echt in sich! Wir müssen ineinander reinfahren, und irgendwie verkeilen, und dann drehen wir uns zusammen. Verdammt! Warum nur. Am liebsten würde ich Otabek so weit wie möglich von mir fernhalten, doch das geht gerade sowas von gar nicht. Nach der ersten Stunde werden wir zu Stephane zitiert, und ich kriege eine fette Standpauke. So von wegen Konzentration, und ich soll mich mal einfach darauf einlassen. Stimmt ja schon, Otabek gibt sich echt Mühe, und schlussendlich war es ja meine Idee mit dem Shirt! Also beschliesse ich, meinen ganzen Stolz herunterzuschlucken und ernsthaft zu trainieren. Tatsächlich funktioniert das auch, und wir kriegen am Schluss echt tolle Pirouetten hin. Ich muss mich anfangs ein wenig überwinden, ihn anzufassen, doch ihm scheint es nichts auszumachen. Stimmt ja, er ist es sich von seiner Schwester gewohnt, bei Pirouetten angefasst zu werden. Schlussendlich nützt es ja eh nichts, mein Wettkampfdenken kickt rein und ich überwinde meinen Starrsinn.
Endlich kommt die Mittagspause, und am Nachmittag geht es ins Kraftstudio. Ganz ehrlich, ich bin neidisch, wie viel Otabek stemmen kann! Kein Wunder hat er so einen geilen Körper, und ich bin Lauch! Falsch, ich habe auch ordentlich Kraft, aber ich habe mehr Wert auf Beweglichkeit gelegt. Was ich ihm gestern im Ballett überlegen war, ist er es mir heute beim Pumpen. Der Vorteil vom Kraftnachmittag ist, dass er relativ früh fertig ist, und wir ziemlich viel freie Zeit haben. Nachdem wir zurück ins Hotel sind und geduscht haben, zieht er mich plötzlich hinter sich her. «Hey, wo gehen wir hin?», frage ich, er lacht mich an: «Hab doch gesagt, n Motorrad mieten!» "Aber ich hab doch keinen Helm und so dabei!» «Vertrau mir, kein Problem!» Er zieht mich durch die Stadt, immer seinem Handynavi folgend. Auf einmal stehen wir vor einem grossen Gebäude, ein riesiges Motorradgeschäft, in dem man alles Mieten kann, von Ausrüstung bis zum Gefährt selbst. Zielsicher geht er rein und steuert auf ne freundlich ausschauende Frau zu. Er spricht kurz mit ihr, und sie ruft jemanden anderes. Sie kann wohl nicht wirklich Englisch. Der Mann, der uns nun beraten kommt, prüft seinen Ausweis, klärt was ab, und dann kriegen wir beide unsere Ausrüstung. Was er wohl für ein Motorrad gemietet hat? Der Mann geleitet uns nach unten, wo viele Motorräder sind und erklärt uns, welche Motorräder wir haben könnten. Ich sehe in einer Ecke eine Maschine, die mit Leopardenmuster lackiert ist. Geil! Zaghaft zupfe ich an Otabeks Ärmel: «Können wir diese haben?» Der Verkäufer folgt meinem Blick, und meint dann bedauernd: «Tut mir leid, diese ist nur zum Verkauf. Aber dasselbe Modell könntet ihr haben, gleich da drüben steht eine. Es handelt sich um eine Kawasaki Ninja. Ein sehr beliebtes Modell.» Menno, ich wollte den Leo! Etwas enttäuscht bin ich schon, doch verstehe auch, dass nicht jede Maschine zu vermieten ist. «Yuri? Was hältst du von der? Gefällt sie dir?» Ich schaue mir das Motorrad genauer an. Sieht aggressiv aus. Gefällt mir eigentlich ganz gut. Auch wenn sie ganz anders aussieht, als das Motorrad das Otabek zuhause hat. Ich nicke nur, und so ist es beschlossene Sache, wir kriegen eine Ninja. Ich finde es mega lieb, dass er mich auch nach meiner Meinung gefragt hat. Und nach einigen weiteren kurzen Instruktionen können wir auch schon in den Sattel steigen und losfahren. Ich habe keine Ahnung, wo er hin will, er hat nur was von nem Käsesee gesagt, und ist dann losgefahren. Das Motorrad hat extra eine Halterung fürs Handy, sodass wir den See problemlos finden. Der Sattel ist nicht so bequem wie der seiner eigenen Maschine, aber das Fahrgefühl ist cooler! Wir fahren einige Strassen und kommen dann schliesslich endlich bei unserem Ziel an. Das ist ein ganz normaler Stausee! Wir halten an einer Aussichtsplattform nahe dem Ufer an. Mitten auf dem See hat es eine Insel mit einem Schloss drauf, es ist atemberaubend schön. Saukalt, aber echt schön. «Du, sag mal, was hat dieser See nun mit Käse zu tun? Ist bei den Schweizern alles Käse?», wende ich mich nach einigen Minuten an ihn. «Hä? Ach sooo! Ja, der See heisst wie ein sehr beliebter Schweizer Käse, Lac de Gruyère!» «Ach so... die Schweizer lieben Käse, oder?» «Jap, Schweizer sind bekannt für ihren Käse, die Schokolade und die Uhren!» Ich schaue ihm ins Gesicht, er schaut immer noch in die Ferne: «Woher weisst du das?» «Hat mir Chris erzählt.» Wir stehen eine Weile schweigend nebeneinander. Der Wind weht angenehm, ist wohl der erste frühlingshafte Tag hier. «Hey Yuri... ich hab n bisschen Hunger, gehen wir was kleines Essen?» Ich schaue ihn an. Ja, irgendwie hat er recht, was kleines zu essen wäre ganz nice! Ich nicke, und wir setzen unsere Helme wieder auf und suchen uns ein kleines Restaurant mit ner Terrasse. Die gibt es hier einige. Zum Glück reden die hier alle Englisch. Wir bestellen uns ein Eis und essen es gemütlich, reden über alles mögliche. Auf einmal klingelt Otabeks Handy. Echt geil, sein Klingelton, ich kenne den gar nicht!
«Сәлем тәтті! Қалайсыз?»(Hallo Süsse, wie geht es dir?)
...
«Мен дәл қазір мотоциклмен жүрмін.» (Ich bin gerade mit dem Motorrad unterwegs.)
...
«Юрий менің қасымда.» (Yuri ist bei mir)
Ich verstehe kein Wort. Auch wenn ich genau weiss, was es für eine Sprache ist. Er lächelt und sieht sehr glücklich aus. Ich beobachte ihn argwöhnisch. Sonst lächelt er nur so bei mir. Ich kann hören, dass eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung ist. Doch was sie sagt verstehe ich noch weniger. Da plötzlich reicht er mir das Telefon rüber. «Da?» «Du bist mit Beka unterwegs?», fragt eine junge Frauenstimme. Sie spricht fliessend russisch. Woher kann sie Russisch? Und wer zum Henker ist sie überhaupt? «Ja? Wieso fragst du?» «Pass bloss gut auf ihn auf! Und bring ihn mir ganz zurück, sonst mach ich dich einen Kopf kürzer? Haben wir uns verstanden?!» Was ist denn das für eine? Ihre Stimme wirkt plötzlich drohend. Sofort triggert mich das wieder und forscher als geplant blaffe ich sie an: «Sag mal, wie sprichst du denn mit mir?» «Ich spreche mit dir, wie ich will! Ich habe dir befohlen, auf ihn aufzupassen für mich, er ist mein grösster Schatz und sollte Iihm irgendwas zustossen, mach ich dich kalt!» Ich bin gerade etwas überfordert, und Wut kocht in mir hoch. Doch bevor ich ins Telefon schreien kann, nimmt Otabek es mir wieder ab und spricht wieder mit ihr. Ich habe alle Mühe, meinen Zorn wieder runterzuschlucken! Wer glaubt sie denn, wer sie ist!? Otabek hängt auf. Wütend wende ich mich an ihn. «Wer war denn das! Bei der stimmt doch was nicht? Was hast du bloss für ne Psychopathin als Freundin?» Es ist mir gerade egal, dass ich sie beleidige. Otabek lacht entschuldigend: «Sorry... ist nicht meine Freundin, ist meine kleine Schwester. Hab doch schon erzählt, dass sie etwas eigen ist!» «Etwas eigen? Die hat mir ne Morddrohung gemacht!» «Haha, nicht ernst nehmen! Ist nicht so schlimm.» Ich atme drei Mal tief durch, dann frage ich die andere Frage, die mir noch unter den Nägeln brennt: «Aber sag mal, woher kann sie denn so fliessend Russisch?» Otabek schaut mich erst erstaunt an, dann schleicht sich ein süffisantes Grinsen auf seine Lippen: «Yuri, du weisst schon, dass die meisten in Kasachstan Russisch können? Auch ich...» Ich spüre, wie die Farbe aus meinem Gesicht weicht. Er... kann russisch? Er hat alles verstanden, was ich auf Russisch gesagt habe? Was ich ihm an den Kopf geworfen habe? «Was.. wieso... wieso hast du denn nie was gesagt!? Und ich habe mich immer bemüht Englisch zu reden?!» Otabek lächelt etwas verlegen: «Weisst du, du hast immer so selbstverständlich Englisch mit mir geredet... Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Ausserdem mag ich deinen Akzent wirklich sehr gerne..." Am liebsten würde ich jetzt im Erdboden verschwinden. Ich weiss noch so wenig über ihn! «Aber wenn du lieber willst, können wir auch Russisch miteinander reden.» «Schon gut... mir egal, in welcher Sprache wir reden, Hauptsache du verstehst mich.» «Dann ist ja gut.» Er strahlt mich an, wir bezahlen und fahren dann wieder zurück zum Hotel.


***Bild ist nicht von mir, den Künstler findet Ihr hier; https://www.zerochan.net/Pixiv+Id+4310505 ***

Otayuri Es begann im MärzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt