Kapitel 20 Ausflug und Ausblick

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POV Otabek

«Ist ja nicht so, als wäre ich schwul oder so»
Diese Worte geistern in meinem Kopf, seit Yuri sie ausgesprochen hat. So ist das also, er hat es nochmals unmissverständlich ausgedrückt. Mein Herz will zerspringen.


>^.^<


Verdammt, war diese Woche wieder hart. Als ich am morgen nach der Show aufgewacht bin, war Yuri nicht mehr da. All seine Sachen waren verschwunden, und er ohne was zu sagen oder Notiz zu hinterlassen weg. Wieso hatten wir uns bloss gestritten? Ja, ich versuchte noch, ihm nachzulaufen und konnte gerade noch sehen wie er in ein Taxi einstieg, doch als ich nach ihm gerufen habe hat er sich extra beeilt. Obwohl ich rausgestürmt bin, hat er mich keines Blickes gewürdigt, auch wenn Ana mich gesehen hat und gewunken und gerufen hat. Es hat mir das Herz gebrochen, ihn so zu sehen. Aber was sollte das? Ich sprintete nach oben, um mein Handy zu holen, doch als ich es in der Hand hatte, erinnerte ich mich an seinen kalten Blick. Und ich brachte es nicht übers Herz, ihm zu schreiben, geschweige denn anzurufen. Da ich jetzt eh nichts mehr zu tun hatte, bin ich noch einmal zur Eishalle gelaufen. Vor der Halle stand das Motorrad, das würde morgen abgeholt werden. Ich strich sanft über die Maschine, und liess die Show nochmal Revue passieren. Meine Finger glitten über das kühle Metall, und fanden den Punkt, wo ein kleiner Kratzer im Metall war. Dort hatte Yuri mit seinen Schuhen im Training gestreift. Ich kramte einen Zettel hervor und hinterliess eine Notiz für das Motorradhaus, ich wollte dieses Motorrad kaufen. Keine Ahnung wieso mir das jetzt gerade durch den Kopf ging, aber ich musste sie einfach haben. Am nächsten Morgen kam dann auch das Telefon, und ich besass die Kawasaki daraufhin offiziell. Doch bis sie hier bei mir eintrudeln würde, würde noch einige Zeit vergehen.

Das war vor einer Woche. Unterdessen steht sie hier, und ich habe bereits meine erste Fahrt damit unternommen. Das Gefühl des kalten Metalles und des heissen Motores liessen mich vor Freude erzittern. Natürlich kann ich mit dieser Maschine keine Fotos machen, was würden sich die anderen wohl denken, wenn ich mit Yuris Maschine herum fähre? Doch ich konnte es nicht lassen, ein Video von der Fahrt hochzustellen. Ich habe extra geschaut, dass man nur die unlackierten Teile sieht. Ich meine, dieses Bike ist so gar nicht meines, dennoch musste ich sie einfach haben. Es gäbe nichts schlimmeres, als wenn irgend einer damit rumfahren würde. Was mich mehr erstaunte, war, das Yuri es gesehen hat. Ich meine, wie doof muss ich sein, wir haben hunderte Male auf diesem Schätzchen rumgeturnt, er musste sich ja alles genaustens einprägen, damit nichts schief ging. Klar hat er sie erkannt, auch wenn ich nicht damit gerechnet habe, dass er meinen Status anschaut. Und er hat mich angerufen. Ich habe heute einen Job in nem angesagten Club, und wollte mich schon auf den Weg machen, da hörte ich das unverkennbare Geräusch des WA Anrufes. Und ich Trottel habe abgenommen. Das Gespräch lief ziemlich schnell aus dem Ruder. Sein Blick, als ich ihm gestanden habe, dass ich nun mal auf Männer stehe... ich werde es wohl nie vergessen. Was würde ich dafür geben, wenn ich in diesem Moment seine Gedanken hätte lesen können. Wobei sie ihm ja ziemlich klar ins Gesicht geschrieben standen. Völlig unmotiviert verlasse ich mein Zimmer und gehe zu meinem Club. Dort kann ich mich super ablenken.

Yuri versucht mich zu erreichen. Schon wieder. Und das seit einer Woche. Doch ich habe die Kraft nicht, um mich ihm zu stellen. Am Dienstag versucht es auch noch Anastasia, doch ich will dieses Kapitel einfach nur abschliessen. Den Schock in seinen Augen, das will ich nicht nochmals. Er war der erste, dem ich offen gesagt habe, dass ich nicht 'normal' bin. Auch wenn ich mich darauf gefasst gemacht habe, auf Ablehnung zu stossen, von ihm will ich nicht abgestossen werden. Er schreibt mir auch, doch ich klicke die Nachrichten einfach ungelesen weg.
Jetzt bin ich wieder im Training, und mein Trainer meckert nur rum. Ist auch kein Wunder, so beschissen, wie ich fahre. «Mensch, Otabek! Wo bist du mit deinen Gedanken? Du hast so Fortschritte im Camp gemacht, und jetzt fährst du sogar noch schlechter als vorher?» «Tut mir leid, Coach. Mir geht gerade zu viel durch den Kopf.», entschuldige ich mich. «Ich glaube eher, du verbringst zu viel Zeit in den Clubs! Davon solltest du mal etwas weniger machen!» «Ich brauche das aber! Ist mein Ausgleich zum Eiskunstlauf. Aber keine Sorge, dieses Wochenende lege ich nicht auf.» «Super, dann kannst du dich ja besser aufs Training konzentrieren!» «Ehrlich gesagt, mache ich vielleicht das Wochenende auch eine Trainingspause. Ich fühle mich einfach nicht so gut...» «Oh je, du wirst mir jetzt aber nicht krank, oder?», fragt er kritisch. «Nein, keine Sorge.»
Ja, sein Blick sagt etwas anderes. Aber das kann ich ignorieren, schliesslich bin ich der Held Kasachstans, und alle machen sich Sorgen. Wer hat sich bloss diesen bescheuerten Namen ausgedacht?

Und so verbringe ich den Samstag wie angekündigt im Sattel statt auf dem Eis. Es gibt hier in der Nähe eine tolle kurvenreiche Strecke, da will ich mal hin mit meiner Kawa. Das sind Strassen, die ich eher weniger mit meinem anderen Bike mache, doch in der Schweiz habe ich das PAssfahren kennen und lieben gelernt. Oben angekommen gönne ich mir ein Eis in einem der Restaurants, und stelle das in den Status. *Ring* Was? Wieso ruft mich mein Trainer jetzt an? «Ja hallo?» «Also, so haben wir das nicht abgemacht! Du schwänzt, um fahren zu gehen?» «Was? So ist das nicht...» «Dann schwing deinen Arsch jetzt hier herunter und komm aufs Eis! Keine Widerrede, wir brauchen dich heute hier. Die anderen Läufer sind ziemlich angepisst, weil du nicht hier bist!», mein Trainer lässt wohl nicht locker. Zum Glück sieht er nicht, wie ich meine Augen verdrehe, doch er hat ja schon recht. Ich sollte mein Training nicht vernachlässigen, nur weil ich wegen Yuri depri bin. So schwinge ich mich aufs Bike und fahre zurück in die Eishalle. Ich muss meine Trainingsklamotten und Schuhe nicht zu Hause holen, da ich alles in meinem Schliessfach deponieren kann. Schnell ziehe ich meine Schuhe an, und beeile mich, aufs Eis zu kommen. Wir haben zwei Felder, Samstags ist immer eines der Öffentlichkeit freigegeben, und eines für das Training. Sofort werde ich vom Trainer in Empfang genommen: «Na endlich, da bist du ja!» «Was, ich war nicht gerade hier um die Ecke!» «Na schön. Heute trainierst du auf dem öffentlichen Feld.» Häää? Ich glaub ich hör nicht recht, ich soll auf dem überfüllten Platz draussen trainieren? Wie stellt der sich denn das vor? Entgeistert starre ich ihn an, doch er schaut noch strenger zurück: «Du sollst mit deinen Skills einige Leute anwerben. Wir brauchen Nachwuchsfahrer.» Fluchend gehe ich nach draussen, auf das grosse Feld. Dafür bin ich nun hergekommen!? Manchmal verstehe ich euch Trainer echt nicht. Angepisst schaue ich über das vollgestopfte Feld. Moment? Wer ist denn das? Mein Herz verkrampft sich, als ich einen Jungen entdecke, der von der Statur her wie Yuri aussieht. Er hat seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Seine Bewegungen gleichen denen von Yuri auch. Verdammt, jetzt sehe ich ihn schon in Fremden Leuten! Er ist relativ weit weg, und ich beschliesse, ihm nicht zu nahe zu kommen, er erinnert mich wirklich zu sehr an meinen Schwarm. Da lichtet sich die Menge um ihn herum etwas, und der Typ setzt zum Sprung an. Ein Doppelter Axel. Wie gebannt schaue ich zu dem Typ hin, den Sprung erkenne ich wieder. Bei der Landung verrutscht sein Hoodie etwas, und ich kann blondes Haar darunter hervor blitzen. Was? «Er fährt schon seit 11 Uhr hier.» Ich habe den Coach nicht hinter mich hintreten hören, und ich erschrecke mich beinahe zu Tode. «Das ist doch dieser Russe, mit dem du gelaufen bist, oder?» «Du hast es gewusst?» «Als ich ihn heute morgen aufs Feld gehen sah, habe ich an dich gedacht. Da hatte er die Kapuze noch unten. Und ich weiss, dass du und er irgend einen Streit hattet und du ihm aus dem Weg gehst. Nun ist er hier, stelle dich ihm!» Keine Ahnung, wo mein Trainer diese Infos wieder her hat, doch er schiebt mich entschlossen aufs Feld. Unsicher stehe ich an der Bande und beobachte ihn weiter. Er hat mich noch nicht bemerkt, er zieht nur unmotiviert seine Runden zwischen den Menschen durch. Ein kleines Mädchen fährt fast in ihn rein und fällt hin. Sofort stoppt er und hilft ihr auf. Sie strahlt ihn an und fährt weiter, während er noch eine Minute weiter da hockt. Dann senkt er den Kopf zwischen seine Hände. So verharrt er wiederum einige Zeit, ehe er auf die Uhr schaut, aufsteht und dann mit hängendem Kopf zum Ausgang am anderen Ende des Feldes fährt. Ich schaue auch auf die Uhr, unterdessen ist 16 Uhr. Ich vermute er will gehen. Oder zumindest eine Pause machen. Trotzdem bringe ich es nicht über mich, zu ihm hinzugehen. Resigniert schaut er nach draussen. Dann plötzlich strafft er sich, stürzt sich an die Abschrankung und starrt nach draussen. O-oh. Mein Bike steht da. Sein Bike steht da, und er kann es offensichtlich sehen. Blitzartig dreht er sich um und läuft in die Halle, wo die anderen Läufer trainieren. Mich hat er immer noch nicht entdeckt. Er bleibt in der Türe stehen, sein Blick streift über das kleine Feld. Natürlich kann er mich nicht sehen und ich kann die Enttäuschung spüren, die ihn befällt, als er mich nicht sieht. Komm endlich, Otabek, wie lange willst du noch hier stehen und zusehen, wie der Mann den du liebst leidet? Ich klopfe mir mit beiden Händen ins Gesicht und laufe langsam auf ihn zu. Er dreht sich um und verlässt mit gesenktem Kopf die Halle. Ich stelle mich in den Weg. Er bleibt stehen, hebt seinen Kopf und schaut mir direkt in die Augen. Wir starren uns eine Weile nur wortlos an, ich kann sehen, dass er gar nicht weiss, was er sagen soll. Und ich ehrlich gesagt auch nicht.
Jetzt sag endlich was, Otabek! Irgendwas! 

Otayuri Es begann im MärzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt