Chapter 26

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Der Rest der Beerdigung ging genauso von statten, wie ich es erwartet hatte. Nach Moms Trauerrede sprachen alle Anwesenden ein letztes Gebet mit dem Pfarrer, danach ging es im Trauerzug zum nahegelegenen Friedhof. Als der Sarg in die Erde gelassen wurde, weinten einige der Anwesenden. Ich allerdings nicht. So hart es auch klang – ich hatte meinen Vater nie wirklich gekannt. Sogar an den Wochenenden war er nur selten Zuhause gewesen und ich hatte so gut wie keine Vater-Sohn-Erinnerungen. Ich wusste nicht einmal, was sein Lieblingsessen war. Dad war im Grunde ein Fremder für mich gewesen.

So kam es, dass meine Augen auch dann noch trocken waren, nachdem sich alle Gäste mitleidig lächelnd auf der darauffolgenden Trauerfeier von mir und meiner Familie verabschiedet hatten. Tante Amy hatte sich mit meiner Schwester ebenfalls auf den Weg gemacht. Liza hatte sich genauso sehr über ihren Besuch gefreut wie ich und war ganz aus dem Häuschen gewesen, sowie Amy ihr erklärt hatte, dass sie die kommenden Wochen bei ihr übernachten dürfte.

„Ich brauche einen Moment, um mich umzuziehen. Fang du schon mal mit dem Aufräumen an, Joshua", sagte meine Mutter, als das Dröhnen des letzten davonfahrenden Autos verklungen war. Ich wollte eigentlich selbst schnellstmöglich aus dem unbequemen Anzug raus, leistete ihrer Aufforderung aber dennoch Folge. Seufzend sammelte ich Champagnerflöten, Taschentücher und Servierplatten ein. Ich war gerade dabei, ein zerknülltes Tempo aus den Polstern der Couch zu befreien, als mich Moms Stimme aufschreckte.

„Wo warst du eigentlich gestern Nacht?"

Ich wirbelte herum, ein Keuchen auf den Lippen.

„Du hast mich erschreckt, Mom."

Sie ging nicht darauf ein, sondern taxierte mich mit durchdringendem Blick.

„Wo warst du letztens in der Nacht, Joshua?"

Die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf.

„Nirgendwo. Ich brauchte nur frische Luft, um -"

„Lüg mich nicht an", schnitt sie mir das Wort ab. Ihre Stimme war so kalt und schneidend, wie ich sie kannte. Der Tod meines Vaters hatte mir eine Seite an ihr gezeigt, die fähig war, Emotionen zu zeigen und Trauer zu empfinden. Von dieser Seite konnte ich gerade nichts mehr erkennen.

„Ich war bei Alec", flüsterte ich. Das Gesicht meiner Mutter versteinerte.

„Ich habe dir verboten, ihn jemals wieder zu sehen. Weißt du denn nicht, was mit Menschen passiert, die sich zu", sie rümpfte angeekelt die Nase, „Gleichgeschlechtlichen hingezogen fühlen? Sie kommen in die Hölle. Gott hat Mann und Frau erschaffen. Mann und Mann ist gegen die Natur. Ich hatte gehofft, dass du zu derselben Einsicht gelangst, vor allem da du dich doch so gut mit Alyssa verstanden hast. Aber da habe ich mich wohl geirrt."

„Mom -"

„Nein, hör mir jetzt zu! Du bist mein Sohn und ich werde nicht zulassen, dass du dich von diesem Jungen ins Verderben ziehen lässt und in Sünde lebst. Ich möchte doch nur dein Bestes. Deshalb musst du ihn aus deinem Leben verbannen, Joshua. Das ist der einzige Weg, wie du eine würdige Zukunft haben kannst. Vielleicht wird dir Gott ja irgendwann diesen ... Fehler verzeihen. Lösch seine Nummer; ich werde mich in den kommenden Tagen mit ein paar Freundinnen aus der Kirche treffen. Die haben alle ganz bezaubernde Töchter, wenn du erst mal siehst, dass eine Frau deine Bedürfnisse so viel besser versteht, dann hast du diese fixe Idee ganz schnell vergessen. Eine Ehe mit einem dieser Mädchen wird dich so viel glücklicher machen, als -"

„Ach, so wie sie Dad und dich glücklich gemacht hatte?", rutschte es mir heraus. Ich riss meine Augen auf. Shit, das hatte ich gar nicht sagen wollen.

„Was hast du da gesagt?", fragte Mom in mit drohend gesenkter Stimme. Mit einer Hand hielt sie sich allerdings am Türrahmen fest, was ihrer Unberührtheit Lügen strafte. Ihre Knöchel traten weiß hervor. Ich erinnerte mich wieder daran, was ich nach ihrer Trauerrede gedacht hatte: Ich wollte nicht so enden wie sie. Dann dachte ich an meine Tante, wie sie mir versprochen hatte, dass alles gut werden würde. Und an meine Schwester, die gemeint hatte, ich wäre Cinderella und Alec mein Prinz auf dem weißen Pferd. Meine Freunde, die alle so gelassen reagiert hatten, als ich ihnen erzählt hatte, dass ich schwul war. Alec, der mich genauso liebte, wie ich war.

Ich hatte so viele Menschen, die mich unterstützten. Wieso wollte ich da unbedingt an etwas festhalten, das mich nur zerstörte? Liza würde ich mit der Hilfe meiner Tante weiterhin sehen können. Und die angespannte Situation zwischen meinen Eltern hatte sich mit dem Tod meines Vaters aufgelöst, so dreist sich das auch anhörte. Meine Mutter würde ihren Weg finden.

„Deine Ehe mit Dad war alles andere als glücklich. Du magst vielleicht ihn geliebt haben, doch er dich nicht. Hab ich recht?"

Mit gestrafften Schultern blickte ich der Frau, von der ich die ganze Zeit über so unbedingt bedingungslos geliebt hatte werden wollen, in die Augen. Farbe wich aus ihrem Gesicht und ihr Mund öffnete sich empört.

„Du magst dich irgendwann damit arrangiert zu haben, aber ich möchte das nicht. Ich möchte jemanden, der mich so liebt wie ich bin; jemanden bei dem ich mich nicht verbiegen muss. Und Alec tut das. Er möchte mich nicht verändern, im Gegensatz zu dir. Du kannst mich nicht so akzeptieren wie ich bin. Oder?" Ich wartete auf eine Antwort, irgendetwas, das mir sagte, dass ich falsch lag. Doch es kam keine.

„Das hab ich mir gedacht", seufzte ich und gab damit auch meine letzte Hoffnung auf eine intakte Beziehung zu meiner Mutter auf. „Und deshalb", ich atmete tief durch, „deshalb werde ich wieder ausziehen."

Es fühlte sich an, als wäre mir eine riesige Last von den Schultern genommen worden. Ich würde von jetzt an auf keine andere Stimme außer meiner eigenen hören.

„Nein", hauchte meine Mutter, einen Ausdruck des Schreckens im Gesicht.

Ich ging die Treppe hoch in mein altes Zimmer und packte die wenigen Klamotten, die ich hierher mitgenommen hatte, in meine Tasche. Dann lief ich wieder nach unten, griff nach meinem Schlüssel, den ich auf dem Couchtisch abgelegt hatte und ging auf die Tür zu. Erst als ich bereits mit einem Bein über der Schwelle war, drehte ich mich ein letztes Mal zu Mom um. Sie sah verloren, ja beinahe panisch, aus und streckte verzweifelt eine Hand nach mir aus.

„Joshua", flüsterte sie.

„Auf wiedersehen, Mum. Ich hoffe wirklich, dass du irgendwann glücklich mit dir selbst wirst."

Damit zog ich die Tür mit einem befreienden Klicken hinter mir zu.

Ich denke, das hier ist das absolut kürzeste Kap von twau

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Ich denke, das hier ist das absolut kürzeste Kap von twau. Sorry deswegen. 😅

Allerdings ist es zugleich auch das Kap, auf das ich während des Schreibens am meisten hingefiebert habe. Josh steht endlich vor seiner Mutter für sich selbst ein. Yesss! 🥳

Seid ihr genauso stolz auf ihn wie ich?

Seid ihr genauso stolz auf ihn wie ich?

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