16 - Messerstiche ins Herz

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Es ist halb zwölf in der Nacht, als ich mich vorsichtig aus Weyas Klammergriff löse und die Beine über die Bettkante schwinge.

Auch wenn ich Shays Entscheidung – mir nichts von Snakes Erpressung zu erzählen – immer noch nicht nachvollziehen kann und zugegeben auch ein bisschen wütend auf sie bin, muss ich sie vor dem grünhaarigen Psychopathen beschützen.

Es darf nicht noch einmal passieren, dass er sie mittels einer Drohung zu etwas zwingt.

„Kylan?", ertönt auf einmal die verschlafene Stimme meiner Schwester, weshalb ich automatisch in meiner Bewegung innehalte. „Wo gehst du hin?"

Kurz habe ich die Hoffnung, dass Weya einfach wieder einschläft, wenn ich ihr nicht antworte, doch leider trifft das Gegenteil zu, denn die Blondine setzt sich aufrecht hin und knipst wenig später das kleine Licht auf ihrem Nachttischchen an.

Verdammt. So war das nicht geplant.

„Kylan", wiederholt der Engel leise meinen Namen, als ich nichts auf ihre Frage entgegne. „Geh nicht."

Ohne mich überhaupt erklären zu können, klettert Weya aus ihrem Bett und kommt mit schnellen Schritten zu mir getapst. „Lass uns bitte weiterschlafen", murmelt sie, während sie meine Hand von der Türklinke löst.

Bei ihrer sanften Berührung zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen.

Weya ist so unfassbar stark. Sobald sie den beschissenen Krebs besiegt hat, verlasse ich zusammen mit ihr und Mum die Stadt, um den beiden ein besseres Leben bieten zu können. In unserer Heimat hält uns sowieso nichts zurück.

„Es ist doch mitten in der Nacht", fährt die Blauäugige gähnend fort. „Und in der Nacht muss man schlafen."

Überzeugt von ihrer Argumentation zieht Weya an meinem Arm, um mich zurück in Richtung Bett zu zerren, doch ich rühre mich nicht von der Stelle.

Ich muss zum FIGHT und Snakes dämlichen Gefallen erfüllen. Andernfalls werde ich mich nie von ihm lösen können. Außerdem bin ich das Shay schuldig.

„Weißt du was, Prinzessin?", wende ich mich also lächelnd an meine kleine Schwester. „Du legst dich jetzt wieder ins Bettchen und wärmst die Decke für uns beide auf, okay? Wenn ich dann in ein paar Minuten wieder da bin, kuscheln wir die ganze Nacht. Versprochen!"

Meistens funktioniert die Strategie mit der Bettdecke, doch ausgerechnet heute, wo ich unter Zeitdruck stehe, verschränkt Weya beleidigt die Arme vor der Brust.

„Du sollst nicht gehen, Kylan", protestiert sie mit ihrem besten Hundeblick.

Am liebsten würde ich nachgeben und mich wieder ins Bett legen, aber stattdessen sage ich: „Es geht nicht anders, Prinzessin. Ich verspreche dir, dass ich nicht lange weg sein werde."

Im Einklang mit meinen letzten Worten trage ich Weya zurück in ihr Bettchen und lege sie behutsam auf der Matratze ab. Sofort schlingt die Blondine ihre kleinen Ärmchen um meinen Bauch und klammert sich somit verzweifelt an mir fest.

„Bleib hier, Kylan!", fleht sie mich nun mit weinerlicher Stimme an. „Bitte!"

Ein genervtes Seufzen verlässt meine Lippen, denn ich habe jetzt keine Zeit, um Weya zu besänftigen. Wenn ich mich nicht gleich auf den Weg zum FIGHT mache, komme ich zu spät – und was dann passiert, möchte ich lieber nicht erfahren.

„Mach jetzt nicht so ein Theater, Weya!", ermahne ich meine Schwester mit einem strengen Blick. „Ich bin gleich wieder da. Du bekommst also gar nicht mit, dass ich weg bin."

Anstatt nun von mir abzulassen, kullern die ersten Tränen über ihre Wangen. Ihre Unterlippe bebt und ihre blauen Augen sind mit blanker Panik gefüllt.

Der Dieb der HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt