3 - Der Messerangriff

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Als ich an diesem Abend im Schatten der Dunkelheit verschwinde, schlägt mein Herz schneller als sonst. Ausnahmsweise liegt das nicht an der Tatsache, dass ich mich vor einem weiteren Einbruch fürchte, sondern an einem Mädchen mit bernsteinfarbenen Augen.

Shay hat heute Nachmittag in dem Spielwarengeschäft deutlichgemacht, was sie von mir hält – nicht besonders viel. Und dennoch weiß ich ganz genau, dass sie auf meine Hilfe angewiesen ist.

Sie selbst würde sich vermutlich eher totprügeln lassen, statt sich gegen ihren Vater zur Wehr zu setzen. Um dieses Unglück zu verhindern, werde ich sie vor einem weiteren Angriff beschützen.

Hoffentlich bin ich noch nicht zu spät!

In der riesigen Villa, die mir plötzlich alles andere als nobel und schick erscheint, ist es mucksmäuschenstill. Stattdessen brennt aber Licht in der Küche, die an das Wohnzimmer angrenzt.

Innerlich bereite ich mich schon einmal darauf vor, jeden Moment einem betrunkenen und aggressiven Mann gegenüberzustehen, doch wie eigentlich immer kommt es ganz anders.

In der Küche erwarten mich nämlich kein gewalttätiger Mann und auch kein Alkohol, nur eine schlafende Shay hockt am Essenstisch. Sie hat ihre Hände auf die Tischplatte gelegt, um ihren Kopf darauf betten zu können. Um sie herum liegen Schulbücher, Stifte und Ordner.

Anscheinend war die Brünette so erschöpft, dass sie während des Lernens eingeschlafen ist. Oder die Inhalte waren zum Einschlafen langweilig – genau sagen kann ich das nicht.

Für ein paar Sekunden beobachte ich Shay dabei, wie sie friedlich auf der Tischplatte liegt und dabei leise vor sich hin schnarcht. Ihre Gesichtszüge sind entspannt und ihre Lippen tatsächlich zu einem schwachen Lächeln verzogen.

Am liebsten würde ich sie die ganze Nacht beobachten, doch leider ist das wegen ihres Alkoholiker-Vaters schier unmöglich. Das ist auch der Grund, weshalb ich schweren Herzens auf sie zugehe und vorsichtig an ihren Schultern rüttele.

Sollte ihr Vater sie in diesem ausgelaugten Zustand zu Gesicht bekommen, wäre sie nur noch leichtere Beute für ihn, als sie es vermutlich ohnehin schon ist.

„Shay", murmele ich deshalb gedämpft den Namen des braunhaarigen Mädchens. „Du musst aufstehen."

„Mhm."

„Komm!" Um die Dringlichkeit dieser Situation zu unterstreichen, ziehe ich sanft an ihrem Arm. Wieder gibt Shay bloß ein unzufriedenes Grummeln von sich.

Unter anderen Umständen würde ich ihre Reaktion süß finden, doch für diese Gedanken bleibt aktuell kein Platz.

Da ich nicht weiß, wie ich Shay möglichst sanft aufwecken kann, schüttele ich nun stärker an ihren Schultern.

Tatsächlich schlägt die Brünette wenig später ihre Augen auf und starrt mich böse an. „Hey!", beschwert sie sich auch sogleich. „Was soll-" Mitten in ihrem Satz hält sie inne.

Ich kann genau sehen, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf in Gang setzen und sie Eins und Eins zusammenzählt.

„Du bist schon wieder bei uns eingebrochen?!", möchte Shay schließlich mit schriller Stimmfarbe wissen. „Habe ich dir etwa nicht deutlich genug gesagt, dass du dich von mir fernhalten sollst? Nur weil ich heute Nachmittag einigermaßen nett zu dir war, musst du dir nichts darauf einbilden. Entweder du verschwindest jetzt oder ich rufe die Polizei, Kylan!"

Shay redet sich so sehr in Rage, dass sie sich verschluckt und husten muss. Eigentlich möchte ich ihr auf den Rücken klopfen, doch ihr feindseliger Blick hält mich im letzten Moment davon ab.

Der Dieb der HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt