6 - Rettung in letzter Sekunde

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Zwar kenne ich Shay noch nicht besonders lange und erst recht nicht besonders gut, aber dass sie lebensmüde ist, steht spätestens jetzt außer Frage.

Was denkt sie sich bloß dabei, einem bewaffneten Mann nachzulaufen?

Hoffentlich macht sie das nicht, um mir zu beweisen, dass sie auf sich selbst aufpassen kann.

Ein schmerzerfülltes Keuchen verlässt meine Lippen, als ich mich aufrichte. Jetzt kann ich nur noch beten, dass die Wunde an meinem Bauch nicht wieder aufgeplatzt ist.

Vermutlich sollte ich mich schleunigst auf den Weg zu einem Arzt begeben oder zumindest selbst nachschauen, wie es meiner Verletzung geht, doch meine Gedanken kreisen ununterbrochen um Shay.

Sollte sie schwerverletzt oder gar tot am Straßenrand liegen, würde ich mir das niemals verzeihen.

„Wir müssen sie retten, Snake", murmele ich entschlossen und starre dem Grünhaarigen dabei ernst in die Augen. Kurz huscht ein nachdenklicher Schatten über sein Gesicht, aber dann nickt er glücklicherweise zustimmend.

Ich wusste, dass auf Snake Verlass ist.

Der Grünhaarige ist kaum älter als ich – höchstens zwei oder drei Jahre. Seit sein älterer Bruder Tiger vor einem halben Jahr an einer Überdosis Drogen gestorben ist, leitet er das FIGHT. Die Kriminalitätsrate ist seitdem höher als je zuvor.

„Dann mal los."

Gemeinsam stürmen wir aus dem Boxstudio und halten nach Shay Ausschau. Weit und breit ist nichts von ihr zu sehen.

Verdammt! Sie könnte mittlerweile überall sein.

„Schau mal hier", lenkt Snake meine Aufmerksamkeit auf sich. Er hockt neben dem Bürgersteig und inspiziert einen roten Fleck auf dem Gehweg. „Ist das-"

„Blut?" Snake nickt bestätigend. „Ja, ist es."

Wie es scheint, ist Shay doch nicht verloren, denn wir haben eine Spur. Hoffentlich ist das auch wirklich das Blut des maskierten Mannes und kein Tritt ins Leere.

Die nächsten fünf Minuten verbringen Snake und ich damit, die Blutspur zu verfolgen. Sie führt uns direkt am Straßenrand her und endet schließlich in einem kleinen Wald.

„Wo bist du nur, Shay?", frage ich mich leise, während meine Augen die Umgebung nach ihren haselnussbraunen Haaren abscannen.

Dieser Tag ist der reinste Horror!

Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass Shay im FIGHT angegriffen wurde, enden die Blutkleckser mitten auf dem Waldweg. Von der Brünetten fehlt immer noch jede Spur.

„Scheiße!" Ich raufe mir verzweifelt die Haare und möchte die Suche innerlich bereits aufgeben, als mir Snake einen winzigen Hoffnungsschimmer spendet. „Ey! Das solltest du dir ansehen, Alter!"

Mit rasendem Herzen eile ich zu dem Drogendealer, der zwischen zwei Bäumen steht, und halte schockiert die Luft an.

„Shay."

Die Braunäugige steht inmitten einer kleinen Waldlichtung und hält eine Pistole fest in ihren Händen umschlossen.

Auf wen sie diese Waffe richtet?

Auf den maskierten Mann, der röchelnd am Boden liegt.

Auch wenn ich Shays Augen nicht sehen kann, wirkt sie entschlossen. So ruhig wie sie ihre Hand und die Waffe hält, ist davon auszugehen, dass sie den Mann jeden Moment erschießen könnte.

„Shay", versuche ich ein weiteres Mal ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie soll jetzt bloß keine Dummheiten machen!

Ich kann verstehen, dass sie wütend ist, aber ein Mord würde ihre Wut sicherlich nicht besänftigen.

Der Dieb der HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt