Kapitel 1 - Lebenstropfen

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Dieses Kapitel widme ich voller Stolz Meunter_ijotande217, weil du mich seit Veröffentlichung des ersten Kapitels dieser Geschichte fortwährend mit lieben Kommentaren überschüttest und unterstützt. Ich danke dir vielmals! 🥰😍

Gavriel, der Löwe von Doranelle, merkte, wie seine Kräfte ihn verließen. Noch nie hatte er auf einem Schlachtfeld gestanden, das ihn dermaßen ausgelaugt hatte. Er schwang sein Schwert, schlitzte Valg von oben bis unten auf und versuchte, am Leben zu bleiben. Für Aedion. Für seinen Sohn musste er weiterkämpfen, denn auf keinen Fall durfte er ihm gegenüber erneut versagen. Er musste verhindern, dass Orynth von den Valg überfallen wurde. Doch obwohl überall um ihn herum Menschen starben und schrien, war Gavriel glücklich. Aedion hatte ihn als Vater akzeptiert. Endlich. Seit vielen Jahren hatte ihn etwas nicht mehr so glücklich gemacht wie Aedions Worte, bevor er aufs Schlachtfeld hinausgeeilt war. Wenn er ehrlich war, war sein Leben seit einiger Zeit ziemlich unerfüllt und trist gewesen. Bis zu dem Tag, an dem er erfahren hatte, dass er einen Sohn hatte. Das hatte seinem Leben wieder einen Sinn gegeben, der darüber hinausging, Maeves Befehle auszuführen. 

Plötzlich fuhr ein brennender Schmerz durch seinen Körper. Gavriel keuchte, als die Klinge eines Valg-Soldaten in seinen Bauch schoss. Verdammt, er war abgelenkt gewesen. Der Valg packte Gavriel am Arm und schlitzte ihn dann vom Bauch bis zum Hals auf, so, wie er es vorher bei den Valg getan hatte. Alles ging so schnell, dass Gavriel nicht einmal Zeit hatte, zu schreien. Der Feind ließ ihn los und er sackte kraftlos zu Boden. Sein ganzer Körper war aufgerissen und er verlor so viel Blut auf einmal, dass er bereits merkte, wie sich der Tod an ihn heranschlich.

Die Valg lachten, dann liefen sie zum Stadttor, um es zu durchbrechen. Sie ließen ihn zum Sterben zurück, denn sie wussten genauso gut wie er, dass er höchstens noch wenige Sekunden in der Welt der Lebenden verweilen würde. Gavriels Blick wurde trüb und leer, seine Welt verschwamm um ihn herum. Der schreckliche Schmerz in jeder Faser seines Körpers schrumpfte zu einem dumpfen Pochen. Gavriel wünschte nur, er hätte seinem Sohn, seinem kleinen Löwen, ein einziges Mal die wichtigsten aller Worte gesagt. Ich liebe dich. Denn er liebte Aedion. Vom ersten Moment an hatte er ihn geliebt. Obwohl Aedion alles andere als herzlich ihm gegenüber gewesen war – wozu er allen Grund hatte – hatte er seinen Sohn immer geliebt. Nun würde er nie mehr die Gelegenheit dazuhaben, Aedion das zu sagen... Doch er hatte gekämpft, war für Aedion gefallen.

Vielleicht war das ja auch eine Art Liebesbeweis. Gavriels Leben zog rasend schnell an seinem inneren Auge vorbei. Er erlebte alles im Schnelldurchlauf noch einmal, sah Szenen aus seiner Kindheit, seiner Jugend, dann aus der Zeit, als er Maeve gedient hatte. Es waren schrecklich dunkle Jahrhunderte, undurchdringlich und ohne Lichtblicke, bis... Bis er sie kennenlernte. Seinen leuchtenden Stern in der Dunkelheit. Er sah wunderschöne Szenen aus seiner Zeit mit ihr, strahlend hell und wunderbar.

Und als Gavriel starb, lächelte er. Endlich. Endlich, nach all dieser Zeit, würde er sie wiedersehen. Endlich.

Eine Frau, genauer gesagt, ein Engel, so schön wie die Sonne selbst, wenn sie ihre wärmenden Strahlen über die Erde sandte, kniete an einem großen See und hielt die Hand hinein. Ihre langen, blonden Haare streiften das Wasser. Es war ein magischer See. Wer durch seine Oberfläche blickte, konnte gelegentlich in die Länder der Lebenden sehen, zu den Personen, die er dort am meisten liebte. Sie blickte nun seit fast 20 Jahren ab und an sehnsüchtig auf die Erde hinab, um den Fae zu Gesicht bekommen, der ihr Herz erobert hatte. Es hatte immer geschmerzt, ihn zu sehen, aber nicht zu ihm gelangen zu können. Aber es hatte sie auch glücklich gemacht, denn trotz allem, was passiert war, liebte sie ihn noch immer. Wie sollte das auch anders sein? Sie hatte die leise Hoffnung, dass auch er sie noch liebte. In all den Jahren hatte er nie eine andere Frau auch nur geküsst, soweit sie das gesehen hatte.

Einmal war sie todtraurig gewesen, weil sie gesehen hatte, wie er eine hübsche Fae mit auf sein Zimmer im Schloss von Doranelle genommen hatte. Obwohl sie gewusst hatte, dass es töricht war, hatte sie den Blick nicht abgewandt. Wider Erwarten war im Zimmer jedoch etwas ganz Anderes passiert: Er hatte sie dafür bezahlt, dass sie niemandem sagte, dass in diesem Schlafzimmer nichts geschehen war. Sie sollte sogar herumerzählen, wie schön die Nacht mit dem Löwen gewesen war. Sie hatte das Geld genommen und die ganze Zeit neben ihm gelegen, beide vollständig bekleidet und die Gesichter einander abgewandt. So war das die ganzen nächsten Jahre abgelaufen. Sie hatte die Hoffnung, er hatte vielleicht wegen ihr auf andere Frauen verzichtet.

Und jetzt wagte die Engelsfrau kaum zu Atmen, denn ihr Fae stand im Begriff, zu sterben. Als sie das vor ein paar Minuten entdeckt hatte, hatte ihr Herz ein paar Schläge lang ausgesetzt, dann hatte sie sich in einem egoistischen Moment darauf gefreut, bald wieder mit ihm vereint zu sein, hier im Unendlichen Königreich, dem Königreich der Toten. Doch es war mehr als falsch gewesen, seinen Tod herbeizusehnen. Gerade jetzt, wo er und Aedion einander als Vater und Sohn akzeptiert hatten. Aedion... Sie vermisste ihn so sehr, ihren kleinen Löwen. Doch wenn sie ihn einfach sterben ließe, um wieder vereint mit ihm zu sein, würde auch er seinen Sohn so schnell nicht wiedersehen. Also musste sie etwas unternehmen. Gavriel musste am Leben bleiben. Damals, als sie mit Aedion schwanger gewesen war, hatte sie ihm seine Magie, seine Unsterblichkeit und die Fähigkeit, die Gestalt zu wandeln, die er von seinem Vater geerbt hätte, gestohlen, um aus diesem Turm zu entkommen.

Eigentlich hatte sie nur die Magie nehmen wollen, denn nur die hatte sie zum Fliehen gebraucht, doch die anderen Gaben hatte sie ihm versehentlich ebenfalls entrissen. Doch das konnte vielleicht jetzt Gavriels Leben retten. Als sie Aedion im Mutterlaib seine übermenschlichen Kräfte geraubt hatte, hatte sie damit einen Tropfen von Gavriels Lebenskraft in sich aufgenommen. Vielleicht, nur ganz vielleicht, konnte sie ihm diese Lebenskraft nun zurückgeben und ihn so am Leben halten. Der Engel streckte eine Hand aus und berührte die Wasseroberfläche. „Gavriel", hauchte sie. Sie holte tief aus ihrem Inneren den Teil von Gavriels Lebenskraft, oder Aedions, je nachdem, wie man es sah. All die Jahre hatte sie diesen Tropfen wie einen Schatz gehütet. Sie holte den Funken hervor, sandte ihn über den speziellen Bund, der sie beide verband, in Gavriels sterbenden Körper.

Und als der Lebenstropfen in Gavriels toten Körper schoss, kehrte das Leben darin zurück. Eliza Ashryver lächelte, als sie spürte, wie Gavriels Herz wieder zu schlagen begann.

Gerade, als ich das Kapitel so durchgelesen habe, war ich nicht mehr so zufrieden damit. Aber ich wollte jetzt endlich damit beginnen, das hier zu veröffentlichen! 😂😁Ich hoffe, es hat euch besser gefallen als mir und ihr seid gespannt, wie es weitergeht🙃

The Lion and his Angel - Throne of Glass FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt