Kapitel 24 - Wiedersehen

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Etwas später bogen die Vier in die Straße ein, in der sich Gavriels altes Haus befand. Sowohl Gavriel, als auch Eliza, erinnerten sich gut an den Weg dorthin. Gavriel drückte aufmunternd Elizas Hand. Sie blickte ihn an und zwang ein unsicheres Lächeln auf ihre Lippen. Etwas mulmig war ihr schon zumute. Eliza und Gavriel nickten einander zu und ließen den Blick die Straße entlang schweifen.

Das Haus stand in alter Pracht vor ihnen. Die Fassade und die Fenster waren sauber, die Fensterläden und die Tür frisch gestrichen und in den Blumenkästen vor den Fenstern wuchsen wunderschöne, rote Blumen. Aus dem Schornstein quoll Rauch in den wolkenlosen Himmel. Eliza seufzte erleichtert. Das hier war definitiv die Variante, die sie insgeheim dem verfallenen Haus vorgezogen hatte. „Lass uns hingehen", flüsterte Eliza. Sie raffte ihren Rock und lief mit Gavriel an der Hand auf ihren alten Wohnsitz zu. Lysandra und Aedion folgten ihnen auf dem Fuße. Sobald Eliza an der Tür angelangt war, betätigte sie den eisernen Türklopfer in Form eines Löwenkopfes – wie passend. Keuchend kam sie zum Stehen.

Glücklich lächelte sie Gavriel an, der sich sofort hinunterbeugte, um sie auf den Mund zu küssen. Ein paar Sekunden später schwang die Tür auf. Eine ältere Frau starrte auf das sich küssende Paar. Eliza löste sich von Gavriel und blickte mit einem entschuldigenden Lächeln in Richtung Tür. Augenblicklich fror ihr Lächeln ein. Vor Überraschung klappte ihr der Mund auf. „Dalia?", keuchte sie. „Eliza?", erwiderte die Dame ihrerseits. Sie starrte nicht nur die Flügel, sondern Eliza als Gesamtheit völlig verdattert an. Eliza warf ihren Koffer achtlos zu Boden, machte einen Schritt auf die alte Dame zu und schlang ihre Arme um sie. Verdutzt erwiderte Dalia die Umarmung. Aedion, Lysandra und Gavriel wechselten einen Blick und zuckten ahnungslos die Schultern.

„Oh, Mädchen... Das muss doch ein Traum sein, nicht wahr?" Eliza schüttelte den Kopf. Freudentränen glitzerten in ihren Augen. „Nein, kein Traum, Dalia", sagte sie. „Du musst mir alles erzählen. Wie du es geschafft hast, den Tod zu überwinden, zum Beispiel", sagte sie augenzwinkernd und in einem Plauderton, als wäre das das Alltäglichste der Welt. Dalia schob Eliza ein Stückchen von sich und musterte sie lächelnd. Sie kniff ihr in die Wange und strich über Elizas spitze Ohren. „Du bist jetzt eine Fae, was? Du bist noch schöner als früher, Eliza." „Danke." Dalia tätschelte Elizas Arm und spähte über Elizas Schulter. „Junge, Junge!", rief sie. „Komm her", bat sie den jungen, blonden Mann mit den türkisen Augen. Sie winkte ihn zu sich. Aedion stellte sich neben seine Mutter und streckte grüßend die Hand aus. „Freut mich. Kennen wir uns denn? Ich bin..." „Aedion, nicht wahr?", unterbrach ihn Dalia. Aedion nickte und blickte fragend zu Eliza.

„Du bist so groß geworden! Junge, Junge!" Der junge Mann überragte sie um Längen. Als sie ihn zuletzt gesehen hatte, hatte er ihr kaum bis zum Oberschenkel gereicht. Gut, das war nun auch schon wieder 20 Jahre her... „Aedion, das ist Dalia. Wir beide verdanken Dalia unser Leben. Außerdem war sie bis zu meinem Tod eine gute Freundin von mir." „Freut mich, Sie kennenzulernen, Dalia", sagte Aedion und neigte leicht den Kopf. „Du musst mich nicht siezen, kleiner Aedion. Ich kenne dich seit vor deiner Geburt." Lysandra kicherte. Kleiner Aedion. „Dalia, möchtest du ihm erzählen, wieso wir dir unser Leben verdanken?", fragte Eliza. Dalia seufzte. Ihre dunkelbraune Haut legte sich in Falten. „Also gut. Ich schätze es normalerweise nicht so sehr, wenn man... Wenn man seine guten Taten so anpreist und sich selbst beweihräuchert, aber ich mache eine Ausnahme für euch." Sie kicherte.

„Aedion, als deine Mutter mit dir schwanger war, hat ihre Mutter – eine Frau, auf die die Welt übrigens gut hätte verzichten können – sie in einen Turm gesperrt. Eliza hat irgendwann die Flucht ergriffen und ist aus dem Fenster gesprungen. Ich..." Sie kratzte sich am Kopf, der von lockigen, grauen Haaren bedeckt wurde. „Ich habe manchmal Visionen, die mir einen möglichen Ausschnitt der Zukunft zeigen. So auch an diesem Tag. Ich sah eine Frau, die aus einem hohen Turm fällt... Daraufhin habe ich so viel Schnee – es war ein Wunder-Winter, hier gibt es sonst fast nie Schnee – wie ich irgendwie auftreiben konnte, unter dem Fenster aufgeschichtet. Bald darauf fiel deine hochschwangere Mutter in den Berg. Ich glaube, ihr Sturz wurde durch den Schnee ziemlich abgefedert. Ansonsten..." Sie machte ein unglückliches Gesicht. Aedion wusste, was sie hatte sagen wollen: Ansonsten hätte deine Mutter den Sturz wahrscheinlich nicht überlebt.

The Lion and his Angel - Throne of Glass FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt