Kapitel 16 - Schmerz

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⚠️ !Achtung, in diesem Kapitel geht es ziemlich blutig zu! ⚠️

Sie war nicht fähig, weiterzusprechen, denn gegen ihren Willen tauchte sie tief in ihre Erinnerungen an diesen Tag ab.

Ich folgte meiner Mutter mit mulmigen Gefühl im Bauch. Aedion trug ich auf meinem Arm. Warum hatte sie mich herbestellt, wenn sich an ihrer Einstellung mir gegenüber eh nichts verändert hatte? Aedion musterte argwöhnisch alle Flure und Gänge, die wir durchquerten. Wenn uns Dienstboten entgegenkamen, barg er das Gesicht an meiner Brust. Er war ziemlich schüchtern. Dann kamen wir an den Gemächern meiner Mutter an. Sie schloss die Tür auf und ließ mich eintreten. Ich war schon ewig nicht mehr hier gewesen, aber sofort umfing mich der vertraute, meiner Meinung nach viel zu süße Geruch des Parfüms, das meine Mutter immer benutzte. Manche Dinge änderten sich wohl nie. „Ich mache Tee", sagte meine Mutter und ich fragte mich, warum sie das keinen Dienstboten machen ließ. Sonst machte sie sich ihren Status doch auch immer zu Nutzen. „Setz dich an den Tisch", befahl sie mir. Wie überaus freundlich sie doch war. Unsicher ging ich auf den dunklen Mahagoni-Tisch zu.

Meine Mutter machte sich derweil am Feuer in der Kaminecke zu schaffen. Äußerlich hatte sie sich kaum verändert, aber ihre Augen hatten heute einen seltsamen Ausdruck, den ich noch nie zuvor gesehen hatte und den ich auch nicht ganz einordnen konnte. Er machte mir Angst. Ich setzte mich auf einen Stuhl, mit dem Rücken zu ihr, damit ich ihre angewiderten Blicke nicht sehen musste. Ich setzte Aedion auf meinem Schoß ab und kraulte geistesabwesend sein kurzes, blondes Haar. Aedion beugte sich zu mir und versuchte leise zu flüstern, was ihm nicht wirklich gelang. Sicher hatte es meine Mutter auch gehört. „Wer ist das, Mama?" „Deine Großmutter", antwortete ich mit monotoner Stimme.

Ich hörte, wie meine Mutter verächtlich schnaubte. Ich hätte nicht herkommen sollen. Danach würde ich mich bloß schlecht fühlen. Doch jetzt ließ es sich wohl nicht mehr ändern. Eine Tasse Tee, sagte ich mir, dann war es vertretbar, wenn ich wieder ging. Aedion hakte nach: „Deine Mama?" Ich nickte. Ich fragte mich wirklich, warum ich gedacht hatte, sie hätte sich gebessert. Gut, vielleicht urteilte ich vorschnell, aber das glaubte ich eigentlich selbst nicht. Ihre Blicke vorhin hatten Bände gesprochen. Ich lehnte meine Stirn an Aedions, um mich zu beruhigen, denn meine Nerven drohten wegzuknicken. Auch, wenn ich mir sagte, es könnte mir gar nicht mehr passieren, als mit einem miesen Gefühl nach Hause zurückzukehren, fürchtete ich mich.

Meine Mutter hatte mich einmal eingesperrt, was, wenn sie es wieder tat? Ich schloss meine Augen und zog mich tief in mein Inneres zurück, um mir vorzustellen, ich säße jetzt mit Aedion in unserem Haus und äße von dem Kirschkuchen, den ich gestern gebacken hatte. Als ich ein paar Minuten später die Augen wieder aufschlug, wartete ich schon fast darauf, von meiner Mutter geschimpft zu werden, dass ich in Gedanken versunken gewesen war. Doch Aedion und ich saßen nach wie vor alleine am Tisch. Ich konnte zwar nicht sicher sagen, dass ich mehrere Minuten meinen Gedanken nachgehangen hatte, aber ich war mir fast sicher, dass dem so war. Wieso brauchte meine Mutter so lange für Tee? Klar, das Wasser musste erst kochen, aber sie hätte doch in der Zwischenzeit zu mir kommen können, oder nicht? Schließlich hatte sie mich doch eingeladen!

Ich stand auf, Aedion noch immer auf dem Arm, dann lief ich hinüber zum Kaminfeuer, wo meine Mutter stand. Mit ihrem ausladenden Kleid verdeckte sie die Sicht auf das Feuer, aber ich hätte schwören können, dass sie keinen Tee kochte. Ich hörte weder das Sprudeln von kochendem Wasser, noch das Pfeifen der Teekanne. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Meine Mutter stand einfach vor dem Feuer, machte nichts, starrte nur in die Flammen. „Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich hier, zu Hause, aufkreuzen würdest", sagte sie zu mir, ohne sich zu mir umzudrehen und fügte ganz leise hinzu: „Du kleine Hure." Ich zuckte zusammen. Sie lud mich ein und beleidigte mich dann? Was war der Zweck dieses Besuches? Mich erinnerte das Ganze hier irgendwie an ein Buch, das ich einmal gelesen hatte. Darin ging es um eine alte Frau, die zwei Kinder in ihr Haus lockte und dann verschlingen wollte.

The Lion and his Angel - Throne of Glass FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt