Kapitel 22 - Pläne

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„Varese?", wiederholte Gavriel. Eliza nickte. „Ja, ich möchte nach Varese. Ich möchte meinen Vater wiedersehen." „Welchen meinst du, Eliza?" Sie hatte ihm natürlich erzählt, dass der Mann, der sie aufgezogen hatte, nicht ihr biologischer Vater war. Eliza seufzte. „Ich... Am liebsten würde ich beide sehen. Aber... Ich habe dir ja erzählt, dass mein... mein biologischer Vater krank war. Genau wie ich. Er ist gestorben, kurz bevor ich gestorben bin." Gavriel schluckte. „Stimmt." „Mein Vater war immer der Einzige, der zu mir gestanden hat. Ich möchte ihn wiedersehen. Er soll wissen, dass ich wieder unter den Lebenden weile. Eigentlich hätte er es schon längst erfahren sollen."

Gavriel fuhr sich durch die Haare. „Varese?", fragte er verunsichert. „Bist du sicher, dass du... Dass du diese Stadt besuchen willst, in der dir so viel Leid widerfahren ist? Willst du deinem Vater nicht lieber einen Brief schreiben und ihn darum bitten, herzukommen?" Sie stand von ihrem Stuhl auf und ging um den Tisch herum, um sich auf Gavriels Schoß zu setzen und sich an ihn zu kuscheln. „Viel Leid, ja, da hast du recht", flüsterte sie, „aber noch viel mehr Gutes. Ich habe dich kennengelernt, ich hatte eine wunderschöne Zeit mit dir, ich habe einen Sohn bekommen, ich durfte fast fünf Jahre lang Mutter dieses Sohnes sein. Ja, ich will nach Varese." Sie lächelte dieses Lächeln, das die Welt zum Strahlen brachte, das, das Gavriel so um den Verstand brachte.

Er fuhr mit den Händen durch ihre blonden Haare und lehnte seine Stirn an ihre. „Dann soll es so sein. Wir gehen nach Varese." Gavriel küsste seine Gefährtin liebevoll. „Oh Gav, danke! Ich freue mich riesig", flüsterte sie, „Lass uns einen schönen Erinnerungsurlaub für uns daraus machen. Lass uns die wunderschönen, alten Zeiten wiederaufleben lassen." „Ja, das würde mich sehr freuen." Er lachte nah an ihren Lippen. „Eliza, möchtest du Doranelle sehen?", fragte er. „Ja, das würde ich sehr gerne." „Sehr schön. Dann werde ich dir meine alte Heimat zeigen." Das wollte er unbedingt, ja, aber es gab noch weitere Gründe, warum er Doranelle besuchen wollte: Einerseits hoffte er, dass die Kiste mit seinen persönlichen Gegenständen noch in dem Geheimversteck in Maeves altem Schloss ruhte.

Es gab da ein paar Gegenstände, die er gerne wiederhaben würde. Es waren Erinnerungen an Eliza, die er nun zwar er nicht mehr brauchte, da er etwas viel Besseres als Erinnerungen hatte – Eliza selbst -, aber trotzdem gerne in den Händen halten würde. Zum anderen wollte er sich wieder an seinen Nachnamen erinnern – für seine weiteren Vorhaben würde er ihn brauchen. Er hatte ihn vor langer, langer Zeit, als er in Maeves Dienst getreten war, heimlich auf einen Zettel geschrieben und diesen irgendwo in seinem Zimmer versteckt. Er wusste nicht mehr, wie er lautete, denn Maeve hatte ihm bei seinem Dienstantritt gezwungen, ihn nie wieder zu verwenden- und schlimmer noch: Ihn bald zu vergessen. Er wusste noch, dass er ihrer Meinung nach Hoffnung, statt Angst, verströmte. Man sollte erzittern, wenn man seinen Namen hörte, und da war sein Nachname wohl hinderlich gewesen.

Gavriel hatte seinen Nachnamen nicht ganz aufgeben wollen und ihn deswegen notiert, um ihn zumindest auf einem Stück Papier festzuhalten. Bald darauf hatte er den Namen vergessen. Er hatte sich nie den Zettel angesehen, aus Angst, Maeve könne darauf aufmerksam werden und ihn ihm wegnehmen. Mittlerweile hatte er keine Ahnung mehr, wo er das Papier damals versteckt hatte... Aber er musste es finden, wirklich, er brauchte seinen Nachnamen. Unter anderem, weil er dann eine bessere Chance haben würde, seine Familie zu finden. Maeve hatte einen Befehl ausgesprochen, dass er sie, solange er in ihrem Dienst stand, nicht besuchen und nicht an sie denken würde. Das mit dem Daran-Denken hatte nicht immer funktioniert, hin und wieder hatte er sich erinnert. Gesehen hatte er sie jedoch tatsächlich seit ein paar hundert Jahren nicht mehr.

Und er würde gerne die große Bibliothek besuchen, er brauchte spezielle Bücher, die Eliza vielleicht würden helfen können. Als Eliza ihm vor ein paar Minuten ihren Plan, nach Varese zu fahren, erzählt hatte, hatten diese Vorhaben in seinem Kopf Gestalt angenommen. „Gavriel?", riss ihn Elizas Stimme aus seinen Gedanken. „Äh, ja?" „Ist da etwa jemand in seinen Gedanken versunken?", kicherte sie, „Ich habe bereits zweimal deinen Namen gesagt, und du hast nicht reagiert!" „Ähm, ja, entschuldige." „Woran hast du gedacht?" Mittlerweile schafften sie es beide hin und wieder, ihre Gedanken über den Seelenbund nicht zugänglich zu machen. Nicht, um den Anderen auszusperren, sondern, um manche Dinge erst einmal geheim halten zu können. Gavriel zum Beispiel, hatte Pläne, mit denen er Eliza überraschen wollte.

The Lion and his Angel - Throne of Glass FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt