Kapitel 2 - Erinnerungen

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Auch dieses Kapitel erhält wieder eine Widmung. Diesmal möchte ich dir, LiasBuchwelt, für deine riesige Unterstützung danken. Dass du mir immer so schönes Feedback gibst, bedeutet mir unglaublich viel. Ich danke dir dafür! 🥰😍🥰😍

Während Gavriels Geist auf der Schwelle des Todes schwebte, begann er irgendwann, sie zu sehen. Er erlebte Szenen aus ihrer gemeinsamen Zeit durch Elizas Augen, dann sah er Geschehnisse aus ihrem Leben, bei denen er nicht dabei gewesen war. Es begann mit dem Tag ihrer Trennung, ihrem achtzehnten Geburtstag. Gavriel fühlte sogar, was dabei in Eliza vorgegangen war. Es brach ihm das Herz, zu sehen, wie sie seinen Zettel las und dann schluchzend auf dem Boden zusammenbrach. Es folgte ein einsamer Monat voller Trauer und Schmerz, dann der Tag, an dem ihr Verlobter nach Varese kam. Es war schrecklich mitanzusehen. Eliza saß auf einem Schemel, alle Blicke lasteten auf ihr. Dann stolzierte Lord Taran von Doranelle herein, mit einem widerlich gierigen Ausdruck im Gesicht. Gavriel sah noch immer alles aus Elizas Perspektive.

Er spürte, wie ihr himmelangst wurde beim Anblick des Fae. Er lief auf sie zu, blieb vor ihr stehen, dann überprüfte er sie auf ihre Jungfräulichkeit. Und dann... Gavriel sackte das Herz in die Knie. So hatte sie also von ihrer Schwangerschaft erfahren? Wie schrecklich! Die folgenden Minuten waren pure Folter für ihn, als er sah, wie Eliza beschimpft, gedemütigt und dann von ihrer Mutter geschlagen wurde. Bei allen Göttern! Dann sah er, wie man sie in einen hohen Turm sperrte, als Strafe für ihr „Fehlverhalten". An alldem war er schuld, er ganz allein, nur er... Er sah, wie man Antworten von ihr verlangte, wer der Vater ihres Kindes war, doch Eliza blieb standhaft. Sie ließ lieber Gefangenschaft und Spott über sich ergehen, als jemandem zu sagen, wer ihr Kind gezeugt hatte. Er wusste, dass sie es aus demselben Grund tat, warum sie auch gestorben war, anstatt sich in Doranelle heilen zu lassen: Maeve. Kurze Zeit später sah er, wie ihre Mutter immer wieder versuchte, Eliza zum Abtreiben zu „überreden".

Das machte ihn unfassbar wütend. Was für eine schreckliche Mutter! Doch Eliza gab nicht nach. Sie zog nicht einmal ansatzweise in Betracht, sich dem Willen ihrer Mutter zu beugen. Gavriel erlebte viele qualvolle Minuten, Stunden, Tage, in diesem Turm und litt mit Eliza. Irgendwann zeigte sich ihm die Szene, wo Eliza am Turmfenster stand und mit ihm sang. Es berührte sein Herz zutiefst. Er hatte sie ja damals gehört, aber jetzt alles aus ihren Augen zu sehen und zu wissen, dass auch sie ihn gehört hatte... Es verschlug ihm die Sprache. Er sah noch ein paar Szenen der nächsten Monate in dem Turm.

Bei den Göttern, sie war mehrere Monate alleine eingesperrt gewesen, nur hin und wieder hatte sie Besuch empfangen dürfen. Er wusste nur, wieviel Zeit vergangen war, weil Eliza jeden Tag eine Kerbe in einen Tisch kratzte. Und dann war da natürlich ab einem gewissen Zeitpunkt noch ihr Bauch. Sie sah oft hinunter, streichelte darüber und redete mit ihrem ungeborenen Baby - Aedion. So hatte Eliza ihre Schwangerschaft verbracht? Diese Erkenntnis war erschütternd. Aber Elizas Babybauch zu sehen... Trotz der schrecklichen Umstände ihrer Schwangerschaft liebte er diesen Anblick.

Er spürte, wie Eliza das Kind in ihrem Bauch - sein Kind - heiß und innig liebte - das wärmte sein Herz. Und plötzlich fragte er sich, wo Aedion schließlich zur Welt gekommen war. Hatte er in diesem schrecklichen Turm das Licht der Welt erblickt? Wenn er sich Elizas Bauch und die Kerben auf dem Tisch so ansah, konnte es nicht mehr allzu lange dauern. Doch er erfuhr nicht, wie es weiterging, denn auf einmal verließ sein Geist Elizas Erinnerungen. Plötzlich fand er sich in seinem eigenen Körper, der aber irgendwie durchsichtig schien, auf einer sonnenüberfluteten Wiese wieder. Er blinzelte ein paar Mal, dann konnte er langsam eine Gestalt ausmachen, die vor ihm stand.

Mit der Zeit kristallisierten sich die Umrisse einer wunderschönen Frau heraus, dann ihr Gesicht. Doch schon bevor er sie ganz erkennen konnte, wusste Gavriel, wer vor ihm stand. Eliza. Er fiel vor ihr auf die Knie. Reglos stand Eliza da, lächelte ihn nur breit an, wunderschön wie eh und je. Nein - schöner. Noch schöner als je zuvor. Ihr ganzer Körper strotzte vor Kraft und strahlte eine tiefe, unerschütterliche Ruhe und Zufriedenheit aus. Ihr Gesicht war, seit er sie das letzte Mal zu Gesicht bekommen hatte, älter geworden. Nicht im Sinne von Falten oder etwas Ähnlichem. Nein. Elizas Gesicht war nun das einer erwachsenen Frau, die viel durchgemacht hatte und trotzdem glücklich war. Ihre Augen zeugten von unendlich viel Leid, doch er konnte Elizas strahlende, fröhliche Seele dahinter erkennen. Ja, Eliza war erwachsen geworden. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich, war sie gewachsen und erstarkt.

Während er vor ihr am Boden kniete und sie ihn anlächelte, studierte er sie und ihr Aussehen: Ihre Ohren waren nun nicht mehr rund, sondern liefen spitz zu. Hatte Eliza ihr Festsitzen durchlebt? Sie trug ein fließendes, weißes Gewand, das sich luftig und locker an ihren Körper schmiegte. Um ihre Taille wand sich eine kleine, zarte Goldkette. Ihr honiggoldenes, welliges Haar reichte ihr bis zu den Hüften und flatterte leicht im Wind. Sah er gerade wirklich Eliza im Jenseits? Oder war das hier nur ein Fiebertraum? Plötzlich fiel ihm ein weiteres Detail auf, das ihn völlig sprachlos machte. Er taumelte rückwärts. Denn hinter Elizas Rücken... Riesige, gefiederte, schneeweiße Schwingen wuchsen aus ihren Schulterblättern. Manche Federn am Rand schillerten golden. Gavriels Augen wurden groß. Eliza war das, was in Sagen und Mythen als Engel bezeichnet wurde, dessen war er sich sicher.

Sie war wunderschön und so anmutig wie eine Göttin. Sie legte den Kopf schief, dann schritt sie langsam und mit unsterblicher Eleganz auf ihn zu. Dabei raschelten ihre weißgoldenen Flügel. Er konnte den Blick einfach nicht von ihr und von ihren Engelsschwingen abwenden. Eliza blieb vor ihm stehen und streckte ihre Hand aus.

„Steh auf, Gavriel", bat sie ihn. „Steh auf." Er zögerte, dann hob er zitternd seine Hand und legte sie in ihre. Als er sie berührte, schoss ein Lichtimpuls durch seinen Körper, rasend schnell und wunderschön. Gavriel fragte sich, was er da eben gefühlt hatte. Er zog sich hoch, bis er wieder vor Eliza stand. Er überragte sie zwar um einige Zentimeter, aber dennoch sah er zu ihr auf. Sie blickte ihm in seine goldbraunen Augen.

„Kehre jetzt zurück", flüsterte Eliza. „Dein Körper hat sich nun ausreichend ausgeruht. Lass deine Seele wieder heimkehren." „Aber...Ich will nicht", widersprach er, „ich will hierbleiben, bei dir..." Bestimmt war es ohnehin nur ein Traum. „Das geht nicht. Irgendwann, Gavriel, werden wir uns wiedersehen. Aber jetzt... Es gibt jemanden, der sehnsüchtig wartet, dass du aufwachst „Wer?", fragte Gavriel mit schwacher Stimme.

„Dein Sohn", antwortete Eliza mit einem schmalen Lächeln. Sie trat näher zu ihm. Gavriel hatte so viele Fragen, so vieles, was er ihr sagen wollte... Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Er stieß hervor: „Konntest du... Konntest du aus dem Turm fliehen, bevor..." Seine Stimme brach. Eliza strich ihm sanft über die Wange. Diese zarte Berührung ließ seinen Körper erzittern. „Ja", antwortete sie. Wieder stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. „Aedion und ich konnten entkommen." Gavriel atmete erleichtert auf. „Ich schicke dich jetzt gleich zurück auf die Erde, damit deine Seele sich wieder in deinem Körper verankern kann", erklärte Eliza.

„Nein, nicht..." Er streckte eine Hand nach ihr aus. „Sag Aedion, dass ich ihn unglaublich liebe. Bitte", bat Eliza Gavriel. Er nickte. „Mache ich", versprach er. Eliza ging noch einen Schritt auf ihn zu. Nun schwebten ihre Gesichter dicht voreinander. Ihre Flügel raschelten, als sie sie ausbreitete und um sie beide schloss wie einen schützenden Kokon. Dann zog Eliza Gavriel an sich, legte ihm beide Hände ums Gesicht und küsste ihn. Heiße Feuerfunken stoben durch ihrer beider Körper. Zuerst war Gavriel völlig überrumpelt, dann schlang er ihr ebenfalls seine Arme um den Hals und erwiderte den Kuss. Seine Knie begannen zu zittern, denn dieser Kuss war so intensiv, so gefühlvoll und wunderschön... Und während er sich wünschte, dass dieser Kuss nie enden würde, löste sie sich von ihm und hauchte:

„Lebe wohl, Gavriel." Sie streifte seine Hand und sein Körper verblasste vollends. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, streckte die Hand nach ihr aus, doch da wurde er schon vom Wind davongetragen.

Es tut mir leid, dass ihr euch immer mit diesen Rückblenden herumschlagen müsst 🙈Dass ich das hier geschrieben habe, ist nun doch schon wieder ungefähr 3 Monate her und womit ich damals so zufrieden war, das würde ich jetzt am Liebsten wieder grundlegend überarbeiten. So ist das immer, nicht wahr? Nie kann man es einem selbst recht machen... Es wird bald besser, versprochen! (Also hoffe ich zumindest!)

Übrigens: Wie findet ihr die Kapitellänge? Sie ist fast ein bisschen kurz, oder? Soll ich in Zukunft wieder längere Kapitel veröffentlichen? Und, ach ja: Nein, keine Angst, ich veröffentliche jetzt nicht im 5-Minuten-Takt.

The Lion and his Angel - Throne of Glass FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt